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# taz.de -- Große Koalition zum Doppelpass: SPD vergrätzt Türken
> Berliner Türken sind enttäuscht, dass mit dem Koalitionsvertrag nun doch
> nicht der Doppelpass für alle kommen soll.
Bild: Der Bundesvorsitzende der Grünen, Cem Özdemir (Mitte), demonstriert mit…
Nie wieder SPD: So denken viele Berliner Türken nach der
Koalitionsvereinbarung zum Doppelpass. Die Enttäuschung, dass es nun doch
keine doppelte Staatsbürgerschaft für alle geben wird, sitzt tief. SPD-Chef
Sigmar Gabriel habe versprochen, dass es ohne Doppelpass keinen
Koalitionsvertrag geben werde, empört sich etwa Bekir Yilmaz, Präsident der
türkischen Gemeinde Berlins (TGB) und SPD-Mitglied, am Donnerstag. Er werde
den Koalitionsvertrag daher ablehnen bei der Mitgliederbefragung. Der
Sprecher des Türkischen Bundes Berlin-Brandenburg (TBB), Hilmi Kaya Turan,
sagt, so dächten viele: „Alle Sozialdemokraten, die ich kenne, werden
ablehnen.“
Der zwischen SPD und CDU/CSU ausgehandelte Koalitionsvertrag legt fest,
dass für in Deutschland geborene Kinder ausländischer Eltern der bisherige
Optionszwang entfällt. Sie dürfen zwei Pässe, den deutschen und den des
elterlichen Herkunftslandes, behalten und müssen sich nicht mehr mit 23
Jahren für eine Staatsbürgerschaft entscheiden. Bestehen bleibt aber die
Ungleichbehandlung bei älteren Ausländern: Viele dürfen zwei
Staatsbürgerschaften haben, etwa EU-Ausländer und Iraner – nicht aber
Türken, die größte Einzelgruppe.
## Verbesserung für Junge
In Berlin leben laut Landesamt für Statistik rund 104.000 türkische
Staatsbürger, dazu kommen 25.000 deutsch-türkische Doppelstaatler unter 23
Jahren. Wie die Senatsinnenverwaltung auf taz-Anfrage mitteilt, haben
aufgrund der Optionspflicht seit Jahresbeginn 18 Berliner ihre deutsche
Staatsbürgerschaft verloren, bis Jahresende müssten sich insgesamt 277
junge Menschen für eine ihrer beiden Staatsbürgerschaften entscheiden –
wenn diese Regelung nicht bis dahin abgeschafft wird.
Dass dies nun geplant ist, begrüßen alle Befragten. Auch die Senatorin für
Integration, Dilek Kolat (SPD) sagt, sie hätte sich zwar die doppelte
Staatsbürgerschaft „ohne Wenn und Aber gewünscht, aber die Abschaffung der
Optionspflicht ist ein Schritt in die richtige Richtung“.
Dennoch fühlen sich viele türkische Berliner wegen der fortgesetzten
Ungleichbehandlung diskriminiert. Es sei schwer zu vermitteln, dass die
erste Einwanderergeneration keinen Doppelpass bekommen soll, sagt etwa die
SPD-Abgeordnete Ülker Radziwill. Auch Turan findet, für die
gesellschaftliche Inklusion der Migranten sei die Entscheidung fatal.
Schließlich könne das alte Argument der CDU, Menschen mit Doppelpass kämen
in Loyalitätskonflikte, nicht mehr ernsthaft angeführt werden – da es schon
jetzt viele Doppelstaatler gebe und diese mit der entfallenden
Optionspflicht künftig noch mehr würden. „Die Botschaft ist daher ganz
klar: Ihr seid hier nicht gewollt.“
Yilmaz ergänzt, viele türkische Migranten würden dadurch in ein
„emotionales Problem“ gestürzt. Durch ganze Familien gehe ein Riss, weil
die Kinder einen deutschen Pass haben, die Eltern aber nicht. Oder
umgekehrt: Eine 63-jährige Kioskbesitzerin am Kottbusser Tor erzählt, sie
habe sich einbürgern lassen, ihr hier geborener Sohn jedoch nicht. „Besser
wäre es, beide Pässe zu haben“, findet sie.
Solange dies nicht geht, sagen die beiden Vertreter von TGB und TBB
übereinstimmend, würden viele Türken der ersten und zweiten
Einwanderergeneration davon Abstand nehmen, Deutsche zu werden – weil sie
dann ihren türkischen Pass abgeben müssten. „Ich selbst bin so einer“,
erklärt TBB-Sprecher Turan.
Tatsächlich sind die Einbürgerungszahlen unter türkischen Berlinern
ernüchternd: Seit Inkrafttreten des neuen Staatsbürgerschaftsrecht Anfang
2000 haben nur gut 31.000 einen deutschen Pass beantragt und bekommen.
Dabei ist davon auszugehen, dass viele der 100.000 Berliner Türken das
Recht auf einen deutschen Pass hätten.
„Die Deutschen wollen uns einfach nicht. Wir schuften hier seit 50 Jahren –
aber uns Türken werden sie nie akzeptieren“, sagt Ahmed, der eigentlich
anders heißt und in einem Süßwarenladen am Kottbusser Tor arbeitet. Und
fährt fort: „Ich habe die SPD gewählt, meine Familie hat die SPD gewählt.
Wir haben darüber diskutiert: nie wieder SPD!“
1 Dec 2013
## AUTOREN
Pavel Lokshin
Susanne Memarnia
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