# taz.de -- Sexuelle Revolution in den Medien: Die Zeit der bösen Onkel | |
> Freiheit wurde in den 70ern und 80ern am Körperbild von Jugendlichen | |
> verhandelt. Mit Lolita-Filmen im Mainstream und Schamlosem in der | |
> Gegenkultur. | |
Bild: Jahre später noch en vogue: „Lolita“-Film mit Dominique Swain und Je… | |
Wir hatten Angst vorm bösen Onkel und eine vage Vorstellung von einem | |
dicken Kerl, der sich aus einem Auto beugen und uns Bonbons anbieten würde. | |
„Nimm nichts von Fremden“, hieß es. Alles andere verschwand in einem | |
furchtbaren Knäuel von Wissen und Nichtwissen. Einige von uns mussten | |
erfahren, dass es nicht Fremde waren, von denen die größte Gefahr ausging. | |
Und dann kam ein großer Diskurs der Befreiung. Die Kinder sollten befreit | |
werden, die Sexualität sollte befreit werden. Konsequenterweise sollte auch | |
die kindliche Sexualität befreit werden, von der schon die klassische | |
Psychoanalyse erzählte. | |
Sexuelle Provokation freilich gehörte auch zu den Waffen der | |
Counterculture. Es war ein Teil der Befreiung, sich „unschicklich“ | |
anzuziehen, „obszöne“ Texte zu singen, sich „schamlos“ zu bewegen. | |
Aber es war ein Unglück, dass sich dabei auch der böse Onkel befreite, in | |
neuer Gestalt. Er – und manchmal auch sie – gab sich als Teil der Revolte | |
aus. Er war ganz und gar verständnisvoll, und dick war er meistens auch | |
nicht. Natürlich ahnte niemand etwas von einem pädophilen Netz, das von den | |
Kommunarden bis zu den Grünen, von der taz bis zur Zeit, vom | |
Kinderschutzbund bis zu reformpädagogischen Schulen, von der Kunst bis in | |
den Sport reichte. Für die neuen Bösen Onkels gab es nicht einmal Worte, | |
keine Lieder, keine Warnungen… | |
## Verdruckste seuxuelle Gier der Medienwelt | |
Es war ein kollektiver böser Onkel, eine von einer verdrucksten sexuellen | |
Gier befallene Mediengesellschaft, die sich in den 70er Jahren ein neues | |
erotisches Beutebild fantasierte: die Kindfrau. In den | |
„Schulmädchen-Reports“ und den „Lolita-Movies“, in Gestalt von Nastass… | |
Kinski, Brook Shields oder Eva Ionescu. In den weichgezeichneten | |
Fotografien von David Hamilton, der von sich behauptete, er könne die | |
Jungfrauen am Geruch erkennen und der den Kamerablick zum | |
Deflorationsinstrument machte. | |
In den Wiederauflagen des Buchs „Josephine Mutzenbacher“, das man als | |
Sprachkunstwerk zu erkennen glaubte. In Filmen wie „Pretty Baby“, | |
„Maladoleszenza“ oder „Ausgerechnet ihr Stiefvater“, die das saturierte | |
Bürgertum an der empfindlichen Stelle treffen sollten. Und in den | |
Mainstream-Medien, die sich gern an den „Debatten“ beteiligten, mit vielen | |
Bildern. | |
Wenn sich der Mainstream empörte, dann nicht über die neuen bösen Onkels, | |
die realen wie die medialen, sondern über die Kids selber. Manches in | |
dieser subpornografischen Kultur für den Mainstream war in der Tat als | |
mediales „Selber Schuld“ zu lesen. Als ein „Sie haben es nicht anders | |
verdient“ und „Sie fordern es ja heraus“. Als die Umkehrung der | |
Täter/Opfer-Rollen. | |
War das andere, das Gegenkulturelle, das, nun eben, „Befreite“, dagegen auf | |
„Selbstbestimmung“ aus? Das Kind in der Kommune, deren Mitglieder sich | |
nackt fürs Poster fotografieren ließen, das enorm erfolgreiche | |
Aufklärungsbuch „Zeig mal“ – wo zum Teufel mochten die Grenzen sein | |
zwischen einem Medienkapitalismus, der sich auch noch die Kinder zum Ziel | |
der sexuellen Ausbeutung machte, der Vernetzung der neuen bösen Onkels und | |
einer „befreiten“ und „angstfreien“ Bejahung der kindlichen Lust an der | |
Körperlichkeit? Und wer profitierte von der Verwischung der Grenzen, wenn | |
es sie denn gab? | |
## Verschobene Grenzen | |
Die Grenze zwischen Verklärung und Kriminalisierung wurde jedenfalls | |
entschieden verschoben. Der böse Onkel konnte nur noch der verklemmte, | |
latent faschistische Gewalttäter sein; auf „unserer“, der richtigen Seite | |
dagegen konnten nur glückliche und befreite Wesen stehen. Widerspruch, ja | |
sogar bloße Skepsis konnte als Ausweis verklemmter Rückständigkeit gewertet | |
werden. | |
Aber mittendrin war die neue Freiheit vor allem eine moralische Unklarheit, | |
und es nahmen sich wieder nur diejenigen die Freiheit, die die Macht dazu | |
hatten. Jetzt haben wir Erzählungen dazu, furchtbare Erzählungen, und wir | |
haben Täter, Klaus Kinski, Roman Polanski, die Mutter von Eva Ionesco und | |
andere, in den verschiedensten Abstufungen der Schuld. Was wir nicht haben, | |
ist eine soziale und kulturelle Theorie. Und wie es aussieht, werden wir | |
diese auch nicht kriegen. | |
„Freiheit“ wurde in den siebziger und achtziger Jahren vorrangig an den | |
Körperbildern verhandelt und nicht zuletzt an denen der Jugendlichen und | |
Kinder. Sie waren die einzige Möglichkeit für den Erwachsenen-Mainstream, | |
sich am Aufbruch und an der Revolte zu beteiligen. Gewiss wurde durch die | |
„verkauften Lolitas“, wie der Spiegel das damals nannte, nicht Pädophilie | |
legitimiert. Aber es wurde eine Grauzone geschaffen, eine Strategie der | |
Blendung. | |
Sex sells – immer noch. Allerdings ist es in einer vollpornografisierten | |
Welt wie der heutigen nicht mehr möglich, von Befreiung zu faseln. | |
Wenigstens diese eine Grenze, die Grenze der Macht und der Gewalt gegenüber | |
dem Kind, wird neu und festgezogen. Und schon fühlt man sich als etwas | |
Besseres. Und vermeidet das Nachdenken über sexuelle Ausbeutungs- und | |
Machtbeziehungen, die politisch und ökonomisch gewollt sind. | |
## Reproduktion der alten Bilder | |
Wir erleben gerade eine neue Form der sexuellen Panik, zeitgleich und | |
unzeitig zur Befragung von Medien und Alltag nach dem, was damals die | |
Bilder und die Kodes so zu vergiften vermochte. | |
Kann eine ganze Kultur schuldig werden? Reorganisiert sich die Macht durch | |
die Sexualität ebenso, wie sich die Sexualität durch die Macht | |
reorganisiert? Die Organisation von Empörung jedenfalls dient noch stets | |
der Verhinderung von Aufklärung. Während nämlich die mediale Empörung auf | |
Lynchmob geschaltet wird, dreht der Staat ohne nennenswerte | |
gesellschaftliche Gegenwehr, den wissenschaftlichen und medizinischen | |
Formen von Prävention und Aufklärung den Geldhahn zu, und Männer mit | |
pädophilen Neigungen, die sich selbst als Gefahr erkannt haben, müssen als | |
Patienten abgewiesen werden. | |
Die Menschen werden von der Werbung und von den Medien dagegen immer | |
schneller zum Erwachsenen (Konsumenten) gestempelt. Mit der kollektiven | |
Begeisterung für Popstars als soziale Erfolgsmodelle ist eine neue Falle | |
aufgebaut. Insbesondere dort, wo man nichts anderes anzubieten, wo nichts | |
anderes nachgefragt wird als die Unterwerfung des Körpers. Natürlich wissen | |
die neuen bösen Onkels, dass man die Kinder von heute nicht mehr mit | |
Bonbons und Befreiungsfantasien erreicht, sondern in den elektronischen | |
Labyrinthen und in den Diskursen der Castingshows und der Karrieresucht. | |
Dort hat die Industrie ein ideales Terrain erzeugt. | |
Auch in der Jugendkultur erwischt uns eine ikonische und narrative | |
Gemengelage: „Lolita-Kleider“ sind in der Goth- und Cosplay-Szene beliebt. | |
Die Manga, die populären Comics aus Japan, haben nicht nur eine eigene | |
sexuelle Mythologie, das vollbusige großäugige Kind, das von tentakeligen | |
Aliens vergewaltigt wird, ist ein Leitmotiv, wie das „japanische | |
Schulmädchen“ eine pornografische Ikone geworden ist, die sich mit | |
kindlich-schüchternem Lächeln dem bösen Onkel unterwirft. Die Gesellschaft | |
ist so beschäftigt mit der Empörung über die alten bösen Onkels, dass sie | |
die Kulturen, in denen die neuen bösen Onkels arbeiten werden, nicht näher | |
betrachten mag. | |
## Macht ohne Gegenmacht | |
Sexualität, Macht und Moral verhalten sich in einer direkten Relation | |
zueinander. Das erklärt den Umstand, dass in den letzten Jahrhunderten die | |
Gesellschaft vom Wirken der bösen Onkels so viel wusste und so wenig | |
dagegen unternahm. Beinahe jeder und jede kennt Geschichten von | |
Gemeinschaften, die von dem Missbrauch von Kindern durch Geistliche, durch | |
Pädagogen, durch Verwandte wussten oder es hätten wissen müssen – und die | |
schwiegen. Weil man es gewohnt war, dass die Macht recht oder Rechte hat. | |
Die Moral wird dann umgemünzt in ein Mittel, sich der Opfer zu entledigen | |
oder sie zum Schweigen zu bringen. Böse Onkels werden auch in unserer | |
Gesellschaft in der Regel geschnappt, wenn sie arm, dumm, „angeschlagen“ | |
oder tot sind (wie im Fall des englischen Entertainers, noch so eine | |
schreckliche Geschichte). | |
Wie aber, wenn sich daran gar nicht so viel geändert hätte? Wenn die | |
Reinigung nur ein schlechtes Theaterstück wäre? Wir haben es damals selbst | |
lernen müssen, denn die Diskurse der Erwachsenen waren nie viel anderes als | |
Verschleierungen: Wo es Macht gibt, die keine Gegenmacht und keine | |
Kontrolle, keine Kommunikation und keinen Diskurs hat, da ist es | |
gefährlich. Die bösen Onkels kennen die Gesellschaft, in der sie auf die | |
Jagd gehen, immer besser, als die sich selbst kennt. Sie kennen ihre | |
Schwächen. Sie kennen die Schattenseite ihrer Hysterien. Die | |
Gleichgültigkeit. | |
5 Dec 2013 | |
## AUTOREN | |
Georg Seesslen | |
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