Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Die Wahrheit: Bling-Bling für die Seele
> Auktionsportal, Egoshooter und ein erotischer Kirchen-Onlineshop: Die
> Pläne der Katholischen Kirche für einen Relaunch im Webzeitalter.
Bild: Ums heilige Geschäft geht es den deutschen Bischöfen.
„Wir bringen das Kirchenschiff wieder auf Kurs, glauben Sie mir“, ruft Timo
Bell in die Runde der anwesenden deutschen Bischöfe. Es ist der zweite
Adventssonntag. Der 32-jährige Unternehmensberater und Marketingexperte aus
Berlin-Friedrichshain hat soeben ein bahnbrechendes Vermarktungskonzept für
den Relaunch der katholischen Kirche vorgestellt, im Auftrag der Deutschen
Bischofskonferenz.
Der Zeitpunkt war bewusst gewählt. Denn kurz vor Weihnachten, wenn die
Konzernkassen in aller Welt dank des Weihnachtsgeschäfts klingeln, leidet
die Kirche besonders. Zwar sind die Gotteshäuser in großen Teilen der
Republik in dieser Zeit meist gut gefüllt, die Geldsäckerl sind es jedoch
nicht. Ein bisschen Schnee und viel Glühwein können schon lange nicht mehr
darüber hinwegtäuschen, wie schlecht es um die Bindung der Gläubigen an ihr
göttliches Produkt steht.
Zum Glück gibt es Bell. Ein ganzes Paket an Maßnahmen hat der
Jungunternehmer mit BWL-Masterabschluss entwickelt und den höchsten
Vertretern der deutschen Kirche an diesem Adventstag in Bonn von der Kanzel
herab schmackhaft gemacht. Bell weiß, wovon er spricht. Der Titel seiner
Abschlussarbeit lautete „Unique Selling Point: Katholizismus 2.0“.
Da gibt es zum Beispiel das neue Auktionsportal „ePray“. „Mit dieser
Online-Beichtstuhlplattform erreichen Sie die sündige Kundschaft auch
außerhalb des maroden Beichtstuhls, ohne jede Hemmschwelle“, frohlockt Bell
und erklärt, wie ePray funktioniert. Je nach Sünde können dort digitale
Sündenerlass-Betpakete ersteigert werden. „Der Höchstbietende kommt,
zumindest digital, in den Himmel.“
Dabei soll ePray nur ein kleiner Teil einer groß angelegten digitalen Web-
und Werbeoffensive der katholischen Kirche in Deutschland sein. Jüngere
Gläubige will man mit grafisch ansprechenden und spannungsgeladenen
Computerspielen ködern. „Sim Christi“ zum Beispiel ist ein Strategiespiel,
in dem man das Leben von Jesus nachspielen, Messiaskonkurrenten brutal aus
dem Weg räumen und ein eigenes Glaubensimperium aufbauen kann.
Besonders beliebt unter Pfarrern sei zudem der Egoshooter „Gay Boy“, in dem
es darum geht, als homosexueller, aidskranker Mann soviel ungeschützten
Verkehr wie möglich zu haben und am Ende vom Teufel, je nach Höhe des
Infekt-Punktestands, in der Hölle möglichst brutal missbraucht und
gefoltert zu werden. Das Spiel wurde ursprünglich für kircheninterne
Schulungen programmiert, fand jedoch so großen Anklang, dass es nun
weltweit erhältlich ist. Sogar Russlands Präsident Wladimir Putin soll es
hin und wieder in seiner Freizeit spielen.
Fest steht: Die Kirche in Deutschland hat eine Kehrtwende hingelegt. Statt
Sex hells heißt es hierzulande jetzt auch bei den Katholiken Sex sells.
Deshalb gibt es im eigens für die kuschelige Weihnachtszeit eingerichteten
erotischen Kirchen-Onlineshop wetbelieve.de für heterosexuelle Paare das
SM-Folterset „Die Leiden des jungen Christi“. Es besteht laut Werbetext aus
einer Echtlederpeitsche, Ketten, einem Stacheldrahtkranz und vielem mehr.
Passend dazu ist die Foltergeschichte in einer erotisch erzählten Version
zum Nachlesen und Einpeitschen erschienen.
„Genauso wichtig wie der Onlinemarkt ist jedoch noch immer das
Basisgeschäft in den Gotteshäusern selbst“, betont Bell. Offenes W-LAN,
verschiedene Cateringangebote und DJ- statt Orgelmusik sollen den Kirchgang
in Zukunft wieder populär machen, auch für junge Menschen. Hostien könnten
dann in den Geschmacksrichtungen Waldmeister, Cola und Blutorange gereicht
werden.
Überhaupt sei die Jugend, anders als der langsam aussterbende Kundenstamm,
die Zukunft des Unternehmens Kirche. So verwundert es auch nicht, dass
Jesus 2013 zu Weihnachten erstmalig nicht mehr halbnackt am Kreuz hängen,
sondern hierzulande die aktuelle Wintermode von H&M tragen wird. Esel und
Ochsen im Krippenspiel werden von Tönnies-Fleisch gesponsert und können
direkt nach Ende des Spiels gegrillt und verzehrt werden. Die Krippe selbst
trägt das Hornbach-Label.
„Wenn erst das Geld bei Praypal klingt, die Seele aus dem Fegefeuer
springt“, rappt Bell mehr schlecht als recht, reckt seine Arme in die Höhe
und blickt von der Kanzel herab in die zufriedenen Gesichter der
Kirchenfürsten. Nachdem man sich lange gegen grundsätzliche Reformen
gewehrt hat, scheint die Bischofskonferenz endlich begriffen zu haben, dass
Kapitalismus und Katholizismus letztlich ein und dasselbe Ziel verfolgen –
die Erlösung der Menschheit.
„Und dieses Armutsgetue, diese ganze Anti-Bling-Bling-Kampagne erledigt
sich bald von selbst“, beruhigt der erfahrene Motivator Bell die
verunsicherten Manager in der Soutane. Er ist sich sicher, der Markt wird’s
richten und schließlich den wahren Wert des neuen Leaders zum Vorschein
bringen. „Franziskus ist ein Eins-a-Spitzenlevel-Verkäufer seiner New
Church on the Block.“ Der Einkauf des argentinischen Showstars sei das
Beste, was der katholischen Kirche seit mindestens 2.000 Jahren passiert
sei. Spätestens da leuchten die Augen der Bischöfe wieder.
16 Dec 2013
## AUTOREN
Sven Stickling
## TAGS
Deutsche Bischofskonferenz
Katholische Kirche
Relaunch
Marketing
USA
China
Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
Usain Bolt
Boat People
Internet
## ARTIKEL ZUM THEMA
Die Wahrheit: Donutschwer mit Bär
Unterwegs im Land der eingezäunten Möglichkeiten wird man schnell mal ins
Weiße Haus eingeladen, wo Fressen und Gefressen werden auf der Tagesordnung
steht.
Die Wahrheit: Bär mit Frühlingsrolle
Per Rikscha unterwegs im raffgierigen Peking fallen so einige
Ungereimtheiten ins Auge zwischen Ying und Yang. Und auch Angela Merkel ist
mit von der Partie.
Die Wahrheit: Scherbenmeer mit Bär
Unterwegs im olympisch vergeistigten Moskau kann man erleben, was eine
russische Affäre alles an Absonderlichkeiten aufweisen kann.
Google kauft Roboter-Entwickler: Schneller als Usain Bolt
Google kauft sich einen Roboter-Hersteller: „Boston Dynamics“. Dieser hat
bisher so einiges entwickelt – unter anderem für das US-Militär.
Die Wahrheit: Mann an Mann
Mauretanien, Libyen, Marokko: Ein neuer Extremsport auf hoher See etabliert
sich. Wird Boatpeopleing bald eine olympische Disziplin?
Die Wahrheit: Beute vor Ebay
Auf dem Nord@tlantik kommt es zur großen Seeschlacht um das schwer beladene
Handels- und Sklavenschiff „Amazon“.
Die Wahrheit: Der Braune Hai
Weltweit spielt das deutsche Kino keine Hauptrolle mehr. Doch Til Schweiger
sorgt für einen Neuanfang. Er erfindet nazi-nautisches Filmgenre.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.