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# taz.de -- Tarifstreit in Behindertenbetreuung: Rollentausch beim Martinsclub
> Während Ver.di froh ist über die Einführung eines Stufentarifs beim
> Martinsclub, fürchtet der nun, künftig keine Fachkräfte mehr zu bekommen.
Bild: Könnten beim Martinsclub demnächst fehlen: qualifizierte AssistenInnen …
Die Tarifverhandlungen zwischen Ver.di, GEW und dem Beschäftigungsträger
Martinsclub (MC) nähern sich ihrem Ende. Und während anderswo üblicherweise
die Gewerkschaften nie so recht zufrieden sind mit den geschlossenen
Kompromissen, ist es in diesem Falle umgekehrt: „Perspektivisch okay“ nennt
Ver.di-Vertreter Uwe Schmid die bisherigen Ergebnisse, „ein Drama“ sagt
hingegen MC-Geschäftsführer Thomas Bretschneider.
„Wir bekommen“, sagt er, „nicht so viele Verbesserungen, dass unsere
Mitarbeiter damit glücklich sein können.“ Der bisher tariflose MC erhält
für seine rund 500 Angestellten, von denen die meisten im Bereich der
Schulassistenz arbeiten, einen Haustarif, und zwar laut Schmid „auf Basis
des TVL mit martinsclubspezifischen Regelungen“.
Mindestens einen solchen Tarif müsste der MC eigentlich schon seit Februar
2011 haben. Denn damals hatte die Bildungssenatorin eine Vereinbarung mit
dem Personalrat Schulen getroffen, nach der pädagogische MitarbeiterInnen
externer Beschäftigungsträger für „nichtunterrichtende“ Betreuung von
SchülerInnen „entsprechend oder gleichwertig“ dem Tarifvertrag des
Öffentlichen Dienstes (TVL) bezahlt werden sollten.
Dass der MC erst jetzt einen „gleichwertigen“ Tarif bekommt, liegt an
seiner Finanzierung: 90 Prozent seiner Stellen werden über die
Bildungsbehörde refinanziert – und die hat sich lange geweigert, die
Tariflosigkeit des MC überhaupt anzuerkennen. Hinzu kam die
Neustrukturierung der Angestellten im Assistenzbereich: Als „persönliche
AssistentInnen“ betreuten die bis September 2012 SchülerInnen mit
Behinderungen. Dann wurden aus persönlichen AssistentInnen
„SchulassistentInnen“, zuständig für mehrere Kinder gleichzeitig.
Individuelle Assistenz steht seither nur noch SchülerInnen mit besonderem
Hilfsbedarf zu. Und wer die genehmigen und finanzieren sollte, war bis
August 2013 unklar. Erst dann haben sich die Staatsräte darauf geeinigt:
allein das Bildungsressort ist zuständig.
Während das endlich geklärt war, setzte die Bildungsbehörde die Ansprüche
an AssistentInnen herab. Bestimmte Arbeiten, die zuvor von Fachkräften
durchgeführt wurden, sollten laut Bildungsressort nun auch von HelferInnen
oder AbsolventInnen des Bundesfreiwilligendienstes erledigt werden –
notfalls auch von anderen Beschäftigungsträgern als dem MC, dessen
AssistentInnen ausschließlich mindestens ausgebildete ErzieherInnen oder
Pflegefachkräfte waren. Also musste umgedacht werden, denn damit war klar,
dass viele Stellen nur noch mager refinanziert würden.
Der MC sei bereit, sagte Bretschneider damals, zwanzig Prozent der
Assistenztätigkeiten mit Hilfskräften zu besetzen, „aber mehr sind nicht zu
verantworten“. Und jetzt fürchtet er, dass er gar keine qualifizierten
MitarbeiterInnen mehr bekommt: „Das Einstiegsgehalt wird bei uns künftig so
niedrig sein, dass sich nur noch Hilfskräfte beim Martinsclub bewerben
werden – alle, die jetzt neu beim MC anfangen, zahlen den Tarif für die
anderen.“
Ja, räumt auch Uwe Schmid ein, der Tarifvertrag beinhalte keine
„Luxuseinstufung, aber die Ausgangslage war ja auch extrem ungünstig – wir
mussten von überhaupt keinem Tarif rauf auf einen Stufentarif, und das im
Haushaltsnotlageland Bremen.“ Künftig werden MC-Angestellte, genauso wie
ihre KollegInnen im öffentlichen Dienst, mit der Anzahl ihrer
Beschäftigungsjahre in den Tarifstufen hochklettern.
„Martinsclubspezifisch“ wird die Bewertung der Berufsausbildungen sein:
„Die Formalqualifikationen“, sagt Bretschneider, „stehen an zweiter Stell…
dafür wird die Tätigkeit höher bewertet.“
Statt 90 Prozent wird es in Zukunft nur noch 75 Prozent Weihnachtsgeld
geben. „Das gleicht sich aber durch den Stufentarif wieder aus“, sagt
Schmid, der die Einigungen „perspektivisch okay“ findet. Bretschneider
bleibt auf dem Boden: „Herr Schmid verkauft als Erfolg, was keiner ist,
denn unsere Mitarbeiter werden eine ganze Gehaltsklasse tiefer eingestuft
als es sein sollte.“
Gleichwohl rechnet Bretschneider „mit ungedeckten Schecks, denn die
Deckungslücke ist groß.“ Im Januar werde es ein Gespräch mit der
Bildungsbehörde geben: „Ich gehe zwar davon aus, dass der Tarif im
kommenden Doppelhaushalt berücksichtigt wurde“, sagt er, „aber genau weiß
ich es nicht.“ Mitte Januar werden sich die Verhandlungsparteien noch
einmal zusammensetzen – höchstwahrscheinlich ein letztes Mal: „Ich bin
optimistisch, dass der Tarifvertrag dann rückwirkend zum Jahresbeginn
umgesetzt wird“, sagt Bretschneider. „Aber: unser größtes Problem wird
ohnehin der Fachkräftemangel sein.“
Angesichts all dieser Sorgen beunruhigt ihn nur wenig, dass acht Mitglieder
des Betriebsrats gegen den MC geklagt haben wegen der Behinderung ihrer
Betriebsratsarbeit. „Ach“, sagt Bretschneider, „der Betriebsrat ist im Mai
gewählt worden, und da gibt’s halt noch Synchronisierungsprobleme – im
ersten Jahr gibt’s immer erstmal Stress.“ Schmid ist sich sicher, dass die
KlägerInnen Recht bekommen werden, „aber dass sie an ihrer Arbeit gehindert
werden, muss nicht unbedingt mit mangelnder Wertschätzung von Seiten des
Martinsclubs zu tun haben.“ Hierfür könnten auch die schlechten
Rahmenbedingungen und schlechte Ausstattung beim MC verantwortlich sein –
in diesem Punkt dürften Gewerkschaft und Martinsclub ausnahmsweise einer
Meinung sein.
18 Dec 2013
## AUTOREN
Simone Schnase
## TAGS
Bremen
Inklusion
Tarif
Assistenz
Streik
Inklusion
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