# taz.de -- Aufs Abstellgleis geschoben: Zähes Ringen um sinnvolle Arbeit | |
> Weil die Rentenversicherung einem mittlerweile 58-jährigen Bremer keine | |
> Qualifizierungsmaßnahme finanzieren wollte, zog er vors Sozialgericht - | |
> mit Erfolg. | |
Bild: Weil ein 58-Jähriger nicht mehr als Drucker arbeiten konnte, erklagte er… | |
BREMEN taz | Eine Komission der Bundes-Antidiskriminierungsstelle hat vor | |
drei Tagen gefordert, älteren Menschen das Recht einzuräumen, länger | |
arbeiten zu dürfen als bis zu ihrem Eintritt in das Rentenalter – wenn sie | |
das möchten. Es handele sich um Diskriminierung, Menschen ein Ehrenamt oder | |
auch eine reguläre Tätigkeit aufgrund ihres Alters zu verwehren. Mit dem | |
Thema „Umschulung“ hat sie sich indes nicht beschäftigt – dabei ist es | |
ausgerechnet die Deutsche Rentenversicherung, die hier diskriminiert. | |
Das hat das Sozialgericht Bremen festgestellt. Knapp drei Jahre und zwei | |
Klagen hat es gebraucht, bis Harald Braun eine Umschulung durch die | |
Rentenversicherung bewilligt wurde. Aufgrund eines Bandscheibenvorfalls | |
konnte er nicht mehr in seinem Beruf als Drucker arbeiten. | |
Für eine Umschulung, so die Rentenversicherung damals, sei er mit 56 Jahren | |
zu alt. Falsch, urteilte das Sozialgericht und rügte den | |
„Ermessensfehlgebrauch“ der Rentenversicherung, „wenn sie Umschulungen | |
ausschließlich mit Hinweis auf das Alter des Klägers und die aus diesem | |
Grunde fragliche Wirtschaftlichkeit dieser Maßnahmen ablehnt“. | |
Als Braun zum ersten Mal in seinem Leben arbeitslos wurde, war bereits über | |
50: „Deswegen bin ich vom Arbeitsamt im Rahmen eines Ü-50-Programms | |
vermittelt worden.“ Der Arbeitgeber bekam für seine Bereitschaft, einen | |
über 50-Jährigen einzustellen, zwölf Monate lang einen Zuschuss von 40 | |
Prozent der Lohnkosten für Braun und beschäftigte ihn auch danach weiter. | |
Aber dann erlitt der inzwischen 55-Jährige einen Bandscheibenvorfall: | |
„Bereits nach einer Woche Krankmeldung bekam ich die Kündigung“, so Braun. | |
„Dagegen konnte ich nichts tun, da kurz zuvor der Kündigungsschutz für | |
Betriebe mit weniger als zehn Beschäftigten abgeschafft worden war.“ | |
Nach der Reha war klar: Als Drucker konnte er nicht wieder arbeiten, mehr | |
als drei bis sechs Stunden leichte Arbeit pro Tag war ihm nicht mehr | |
zuzumuten. Deswegen bekommt er seither eine Teilerwerbsrente in Höhe von | |
knapp 280 Euro: „Ich wollte nicht nebenher irgendeinem Billigjob nachgehen, | |
sondern etwas Sinnvolles tun.“ | |
Er bewarb sich bei sozialen Einrichtungen wie dem Bremer Martinsclub, „aber | |
egal, wo ich vorgesprochen habe: Alle haben mich abgelehnt, weil ich keine | |
Qualifikation habe – und das, obwohl die Betriebe in Form von | |
Wiedereingliederungshilfe sogar einen Lohnkostenzuschuss bekommen hätten.“ | |
Also beantragte er bei der Rentenversicherung eine Qualifizierungsmaßnahme. | |
Nichts zu machen, hieß es dort, 40 Jahre sei die Altersgrenze für | |
Umschulungen. Im Ablehnungsbescheid argumentierte die Versicherung mit | |
Wirtschaftlichkeit und Verantwortung für kommende Generationen. Braun | |
machte sich schlau, ohne Anwalt, auf eigene Faust: „Ich habe keine | |
Rechtsschutzversicherung.“ | |
Er konsultierte Beratungsstellen, las im Juridicum der Bremer Uni | |
Gesetzestexte, formulierte eine Klage gegen die Rentenversicherung und | |
vertrat sich selbst – mit Erfolg: Die Wiedereingliederungshilfe, so das | |
Sozialgericht, reiche als Beitrag zur Teilhabe am Arbeitsleben nicht aus, | |
die Versicherung möge Braun ein neues Angebot machen. „Auf diesen Vergleich | |
habe ich mich leider eingelassen“, sagt der. „Dabei war er viel zu | |
schwammig.“ In der Folge bekam er auch fortan keine | |
Qualifizierungsmaßnahme, „sondern absurde Angebote wie einen Crash-Kurs zum | |
Lagerarbeiter – ein Job, den ich mit meinem kaputten Rücken gar nicht | |
machen kann!“ | |
Also ging es erneut vors Sozialgericht, und diesmal wurde ein deutliches | |
Urteil gefällt. Das war im Mai. „Ich hätte am 20. Juni mit der Umschulung | |
zum Sozialbetreuer für Behinderte starten können“, sagt Braun, „aber es h… | |
ein halbes Jahr und die Ankündigung einer Untätigkeitsklage gedauert, bis | |
die Rentenversicherung sie bewilligt hat.“ Nun beginnt der 58-Jährige im | |
April die 12-monatige Umschulung. | |
Ihr langes Zögern begründet ein Sprecher der Rentenversicherung | |
Oldenburg-Bremen damit, „dass wir keine weiteren Fehler machen wollten. Für | |
uns war dieser Fall ja auch etwas Besonderes.“ Vielleicht, sagt er, müsse | |
die Versicherung in Zukunft mehr darüber nachdenken, wie sie mit älteren | |
Arbeitnehmern verfahre: „Solche Fälle kommen jetzt bestimmt noch öfter auf | |
uns zu.“ | |
5 Dec 2012 | |
## AUTOREN | |
Simone Schnase | |
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Bremen | |
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