| # taz.de -- Die Wahrheit: Leben ohne Leberwurst | |
| > Abgewöhnen geht nicht immer ohne Probleme ab – auch nicht zum | |
| > Jahreswechsel. Von einem, der aufhört, weil es am schönsten ist. | |
| Bild: „Würdest du bitte auch mal was eesen?“ | |
| Jeden Tag kommt etwas Neues hinzu. Gestern waren es Yogi Chai und | |
| Macadamianüsse. „Sind schlecht für die Stimmbänder!“, hatte ihm jemand | |
| versichert. Walter hatte sich aufrichtig gefreut: „O, prima!“ Gleich zwei | |
| Artikel für die Liste. Dabei war Chai erst vor Kurzem an die Stelle von | |
| Pu-Erh-Tee getreten, nachdem irgendwelche Wissenschaftler lobenswerterweise | |
| herausgefunden hatten, dass sogar die magenfreundlichste Plörre langfristig | |
| den Magen angreifen kann, selbst wenn sie Hildegard von Bingen persönlich | |
| angesetzt hat. | |
| Zucker bekommt ihm nicht. Auf Hülsenfrüchte bläht er. Orangensaft zum | |
| Frühstück – ein Attentat! Gute Butter ist das schiere Gift. Kürbis stellt | |
| ihn vor Probleme. Von Eiern kann er Zustände bekommen. Salz – o weh! | |
| Selbstverständlich ist er Vegetarier, Veganer sogar, seit er mal an eine | |
| Leberwurst geriet, die nicht nur grob, sondern geradezu handgreiflich | |
| geworden war. Essen an sich ist ein Angriff auf die körperliche | |
| Unversehrtheit und sollte vom Grundgesetz verboten werden. | |
| Walters Karriere begann mit Fenchel. Das war vor fünf Jahren. Er | |
| verzichtete auf Fisch wegen des Cadmiums, und er verzichtete durchaus | |
| aggressiv. Voller Enthusiasmus sah er sich im Fernsehen alle | |
| appetitzügelnden Politmagazine an, in denen die skandalöse Aufzucht von | |
| Genusstieren gegeißelt wurde. Triumphierend verfolgte er die Debatten über | |
| BSE, Ehec und Pferdefleisch. | |
| Weltanschauliche Wut fegte Zimt, Schweinefleisch und Sandelholz aus seinem | |
| Nahrungsmittelspektrum. Bereits vor zehn Jahren hatte er sich das Rauchen | |
| abgewöhnt, genussvoll, Zug um Zug: Zigaretten, Zigarillos, Zigarren, | |
| Pfeife. Eigens hatte er sogar über einen Monat hinweg seinen täglichen | |
| Zigarettenkonsum verdreifacht; als er dann abrupt aufhörte, sparte er auf | |
| einen Schlag 70 Euro die Woche. | |
| ## Walters Liste wird Tag für Tag länger | |
| Abgewöhnen geht nicht immer ohne Probleme ab. Es bedurfte verschiedener | |
| Therapien, um mit dem Lesen von Kochbüchern aufzuhören. Bei Mozartkugeln | |
| lässt er nun den Mozart weg. Den Martini nimmt er ohne Olive, und wenn mal | |
| keine Oliven da sind, verzichtet er auf den Zitronenschnitz. | |
| Und auf den Martini selbstverständlich, von der flüssigen zur überflüssigen | |
| Ernährung ist es nur ein kleiner Schritt. Gerade versucht er eine | |
| Akupunktur gegen Vokale, weil sie die Rachenmandeln angreifen sollen. Mit | |
| Ikea hat er gebrochen, ein für alle Mal, Pressspan liegt im Magen wie | |
| Zement. | |
| Walters Liste jedenfalls wird Tag für Tag länger, gerade jetzt vor den | |
| Feiertagen macht es besonders Spaß, hoffentlich geht ihm nicht eines Tages | |
| der Stoff aus. Die verträglichen Dinge verabschieden sich allmählich von | |
| diesem Planeten, die Umwelt fordert immer mehr Zuwendung ein. | |
| Selbstverständlich ist er nicht abhängig: Das Aufhören könnte er von einem | |
| Tag auf den andern drangeben – wenn es denn sein müsste. Mittlerweile kann | |
| er sogar eigene Verzichtworkshops anbieten: „Selbstversagen leicht | |
| gemacht“. Vielleicht, dass er einmal für einige Zeit das Atmen einstellt? | |
| Da stand gerade ein hochinteressanter Artikel in Sterbehilfe aktuell, der | |
| einzigen Zeitung, die er noch liest … – zumindest die Konsonanten. | |
| 20 Dec 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Thomas C. Breuer | |
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