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# taz.de -- Vom Boxer zum Politiker: Dr. Eisenfaust und Mr. Volkstribun
> Vitali Klitschko hat sich als Boxer im Westen bewährt. Nun will er die
> Ukraine dahin führen. Ob ihm seine Eigenschaften als Kämpfer dabei
> nutzen?
Bild: Vitali Klitschko, versteht sich als Kämpfer für die Ukraine.
In diesen aufreibenden Wochen ist Vitali Klitschko immer beides gewesen,
einer von vielen und gleichzeitig ein herausragender Akteur. Die
Fernsehkameras hatten wenig Mühe ihn mit seinen 2,01 Meter einzufangen,
wenn sie in Kiew das Hin und Her am zentralen Platz der Unabhängigkeit, dem
Majdan, aufzeichneten.
Der ehemalige Boxchampion im gefütterten Parka ist unter den Demonstranten
weder zu übersehen noch zu überhören gewesen. Das Mikrofon war sein
Taktstock, mit dem er sie bald ermutigen und bald in ihrer Rage bremsen
wollte. „Lasst Euch nicht provozieren!“, rief er dann beispielsweise,
„Bleibt besonnen!“ und noch so allerlei, ohne dabei selbstgefällig zu
wirken.
Ausgerechnet ein gefürchteter König des K.O. wird nun nicht müde, im
Protest gegen den auf Russland fixierten Regierungskurs der Ukraine ein
gewaltloses Vorgehen anzumahnen. Der „Champion Emeritus“, so nennt man
Titelträger des angesehenen World Boxing Council im Ausstand, zeigt auf
diese Weise Führungsqualitäten auf einem völlig anderen Gebiet. Und wer
darin eine Bewerbung auf höchste politische Ämter sehen will, liegt
vermutlich nicht so falsch. Vielleicht auch schon für das kommende Jahr.
Klitschko fordert ja Neuwahlen.
Den Unbezwingbaren mit dem Kampfnamen „Dr. Eisenfaust“ kann Vitali
Klitschko in seinem 43. Lebensjahr ohnehin nicht viel länger geben. In der
revolutionären Situation in seinem Heimatland könnte er gebraucht werden.
Hilft ihm dabei irgendwie auch seine Erfahrung als Boxer?
## Deckunglücken nutzen
Vorteile ausnutzen, wenn der Augenblick es hergibt: das hat er in mehr als
17 Profijahren im Ring verinnerlicht. Er versucht, mit seiner Fraktion
„Udar“, also: Faust, und mit anderen Oppositionsparteien in die
Deckungslücken hineinzustoßen, die die Regierung Viktor Janukowitschs
zeigt.
Die Chance für die Opposition liegt im Unmut all jener Ukrainer, die im
Assoziierungsvertrag mit der EU eine historische Chance sehen, die marode
Wirtschaft des Landes aufzurichten und westwärts auszurichten. Und gegen
seine kurzfristige Aussetzung protestieren, weil das für sie eine Chance
ist, die man sich durch keine Lockung oder Drohung aus Moskau entgehen
lassen dürfe. Darum sagt Klitschko der Ältere: „Wir müssen kämpfen für
unsere Vision und unser Land.“
Wann immer der Kämpfer in Kiew deutsche Reporter empfing, erwies er sich
als leidenschaftlicher Botschafter der jungen Republik. Wie ein offizieller
Repräsentant führte er uns, seine Gäste, an Kirchen und Denkmälern entlang
– und entschuldigte sich jedes Mal, wenn hier ein Platz nicht sauber, dort
ein Hotel oder Café zu nachlässig gemanagt war. Das ergab öfters seltsame
Wortwechsel. Schöne, breite Boulevards? Könnten gepflegter sein. Ein
Abstecher zur Krim? Lieber erst, wenn da wieder ein Grand Hotel eröffnet.
Da will einer stolz sein auf seine Nation in ihrer Aufbruchstimmung. Und
Aufbruch ist für Klitschko immer eine Bewegung zu Demokratie und zum
Westen. Ähnlich wie auch er und sein Bruder Wladimir sich in der westlichen
Welt bewährt haben: zwei dominante Schwergewichte, die über die Jahre
Champions, Publikums-Magneten und Promoter wurden. Nicht durch Protektion
von zweifelhaften Box-Tycoons wie Don King, sondern indem sie mit Leistung
und solidem, mehrsprachigen Auftritt am Weltmarkt überzeugten.
Gut oder böse, korrupt oder makellos: Es gibt im Klitschko-Kosmos nicht
viel Platz für Zwischentöne. Das macht Vitali so populär wie auch suspekt:
Bringt er neben dem Gespür für die kurzfristigen Deckungslücken auch das
Kalkül für die Schlangengruben im politischen Alltag mit? Seine
Geradlinigkeit, sein Charme, könnte auch zum Handicap werden. Was zum Teil
erklärt, warum er trotz aller Sympathie schon zwei Mal daran gescheitert
ist, Bürgermeister der Hauptstadt zu werden.
## Aufstehen nach Niederschlägen
Du darfst ein, zwei Runden verlieren, sagt man beim Boxen, nur nicht den
ganzen Kampf. Klitschko ist wieder aufgestanden, um stärker zurückzukommen.
Inzwischen schließt er nicht mehr aus, für das Amt des Staatspräsidenten zu
kandidieren, wie er jüngst mehrfach angedeutet hat. Das macht ihn zur
Jahreswende zum erklärten Hoffnungsträger – vor allem für jene, die sich
eine neue, richtungweisende Politik jenseits etablierter Seilschaften im
Machtgefüge erhoffen.
„Vieles hat sich in der Ukraine in den letzten Jahren getan“, heißt es in
der Doppel-Autobiographie der Klitschkos mit dem Titel „Unter Brüdern“ dazu
– „trotzdem gibt es noch einen riesigen Berg von Problemen. Die Demokratie
ist längst nicht so weit vorangeschritten, wie sich die Bevölkerung das
wünscht. Und die Kriminalitätsrate ist zwar gesunken, aber nach wie vor
erschreckend hoch.“
Dieser neun Jahre alte Befund gilt mehr oder weniger unverändert, wie
Klitschko Mitte Dezember in einem Interview mit dem Spiegel betont hat. Das
Magazin machte den unverbrauchten Quereinsteiger zum Ziel diverser
Projektionen. Endlich sei da einer, hieß es, der sich nicht kaufen lasse.
Und der nicht einzuschüchtern oder zu umgarnen sei von Putins Russland, das
dem klammen Nachbarn kürzlich durch neue Kredite und gesenkte Ölpreise fürs
Erste den Arsch gerettet hat.
Ob das reicht, um am Ende erfolgreich zu sein? Im Ring hat er in 47 Kämpfen
nur zwei Mal verloren, als er jeweils wegen Verletzungen aus dem Kampf
genommen wurde. Er selbst hätte vor allem im Prestigeduell mit Lennox Lewis
2003 trotz einer klaffender Wunde über dem Auge weitergemacht. Solche
Episoden haben den Mythos vom willensstarken Helden weiter befeuert. Ihr
Mann könne einfach alles erreichen, was er sich in den Kopf setze, gab sich
seine Frau Natalie nach einem WM-Triumph zuversichtlich.
In langen Hosen wird die Gemengelage naturgemäß etwas komplexer. Gerade hat
Vitali Klitschko nun seinen WM-Titel zurückgegeben. „Meine Konzentration
gilt der Politik in der Ukraine“, hat er vor ein paar Tagen wieder betont,
„ich spüre, dass die Menschen mich brauchen.“ So spricht der Volkstribun
von eigenen Gnaden.
28 Dec 2013
## AUTOREN
Bertram Job
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