# taz.de -- Gespaltene Opposition in der Ukraine: Ein dreiköpfiger Drachen | |
> In Kiew demonstrieren erneut Zehntausende gegen die Regierung. Doch der | |
> Zusammenhalt der Opposition ist eine Zweckgemeinschaft von Antisemiten | |
> und Liberalen. | |
Bild: Kiew am Sonntag: Im Protest sind die Demonstranten geeint, ansonsten habe… | |
LEMBERG taz | Es waren Studenten, die als erste aus Protest auf die Straßen | |
gingen. Die jungen Leute fühlten sich durch die plötzliche Abkehr von der | |
Europäischen Union und den Schwenk der ukrainischen Regierung Richtung | |
Russland in ihren Hoffnungen auf eine europäische Zukunft betrogen. | |
Eine ihrer ersten Forderungen lautete im November 2013: „Keine Politiker!“ | |
Als die ersten Camps in der Hauptstadt Kiew aufgeschlagen wurden, gab es | |
zunächst zwei Zeltstädte. Die eine auf dem Unabhängigkeitsplatz (Majdan) – | |
ohne Parteifahnen. Die andere, von den Oppositionsparteien organisiert, | |
wenige hundert Meter weiter auf dem Europäischen Platz. Erst das brutale | |
Vorgehen der Polizei gegen friedliche Demonstranten führte beide | |
Protestlager zusammen. | |
Es sind die Oppositionsparteien, von denen heute in entscheidendem Maße die | |
Zukunft der Ukraine abhängt. Ein schneller Erfolg der Massenproteste | |
erscheint immer unwahrscheinlicher. Man ist müde geworden, von der | |
winterlichen Kälte, von den Übergriffen der Polizei, aber auch davon, dass | |
sich die Regierung keinen Zentimeter bewegt hat. Immerhin haben sich am | |
Sonntag noch einmal Zehntausende in Kiew versammelt. | |
Erst für 2015 stehen Präsidentschaftswahlen an – Zeit genug, damit sich die | |
Opposition formiert oder gegenseitig demontiert. Aber kann man überhaupt | |
von einer Opposition sprechen? Sind es nicht sehr unterschiedliche | |
Parteien, die da auf die Macht spekulieren, geeint nur im Feindbild der | |
bestehenden Regierung und von Präsident Janukowitsch? In der Europäischen | |
Union, dem leuchtenden Vorbild der ukrainischen Demokraten, wären | |
gemeinsame Proteste von Liberalen und offenen Antisemiten nur schwer | |
vorstellbar. In der Ukraine findet genau das statt. | |
## Eine bunte Truppe | |
Drei oppositionelle Parteien kämpfen um die Zustimmung des Volkes: die | |
liberale UDAR, die liberalkonservative Vaterlandspartei und das | |
rechtsradikale Bündnis Swoboda. Da ist Vitali Klitschko, der frühere | |
Boxweltmeister im Schwergewicht. Der bislang größte Coup seiner Partei ist | |
der Name selbst: UDAR ist eine Abkürzung für Ukrainische Demokratische | |
Allianz für Reformen, bedeutet gleichzeitig aber auch „Faustschlag“ –, e… | |
klare Anspielung auf die Qualitäten des Profiboxers. | |
Klitschkos Popularität erklärt sich nicht nur dadurch, dass er als Sportler | |
im ganzen Land bekannt ist und verehrt wird, sondern auch durch seine | |
Unverbrauchtheit. Er ist ein neues Gesicht in der Politik, von vielen als | |
integrer Mann mit westlicher Erfahrung angesehen, jemand, der sein Land | |
verändern will. | |
Seine Partei ist eine bunte Truppe von alten und neuen Gesichtern. Hier | |
finden sich auch einige Politiker des ehemaligen Präsidenten Wiktor | |
Juschtschenko, der im Zuge der Orangen Revolution 2004 die | |
Präsidentenstichwahl gewann. Im Parteiprogramm stehen Grundsätze über die | |
Zivilgesellschaft, die Stärkung des Mittelstands, eine Justizreform, die | |
Verbesserung der kommunalen Selbstverwaltung, Bürgernähe und | |
Korruptionsbekämpfung. | |
UDAR tritt für einen Einheitsstaat mit Ukrainisch als einziger | |
Staatssprache auf. Diese beiden Punkte gelten als eine heilige Kuh für die | |
Opposition. Sie tragen einerseits zur Mobilisierung bei, verbauen aber | |
letztlich die Chancen im Osten des Landes, dort, wo die meisten | |
russischsprachigen Menschen leben. So hat UDAR in den Regionen Donezk und | |
Lugansk zuletzt nicht einmal fünf Prozent der Stimmen erhalten. | |
Klitschko behauptet, der Hauptgeldgeber von UDAR zu sein. Doch Beobachter | |
bezweifeln das. So soll auch der Oligarch Dmytro Firtasch die Partei | |
finanziell unterstützen. | |
In allen Meinungsumfragen ist Klitschko der aussichtsreichste Kandidat im | |
Zweikampf mit Präsident Janukowitsch. Doch der Weg bis zur Wahl ist noch | |
lang. Beobachter halten es für möglich, dass man versuchen wird, Klitschko | |
von den Wahlen auszuschließen, wenn er zu gefährlich wird. Und das | |
Klitschko als gemeinsamer Kandidat der Opposition bereits in die erste | |
Runde startet, erscheint derzeit eher unwahrscheinlich. | |
Denn auch Arsenij Jazeniuk, der Fraktionsvorsitzende der Vaterlandpartei, | |
rechnet sich Chancen aus. Vaterland, das ist die Partei der ehemaligen | |
Regierungschefin Julia Timoschenko, die seit August 2011 aufgrund eines | |
dubiosen Urteils im Gefängnis sitzt. Dadurch hat der 40-jährige studierte | |
Jurist praktisch den Vorsitz übernommen. | |
Jazeniuk hat in seinem Leben bereits zahlreiche Ämter bekleidet. Er war | |
Vizepräsident der Nationalbank, Wirtschaftsminister, Außenminister und | |
Parlamentspräsident. Das Programm der Vaterlandspartei, die ebenfalls von | |
Oligarchen wie dem Mäzen und Unternehmer Wiktor Pintschuk unterstützt wird, | |
bleibt wolkig. Dort ist von Strukturreformen der Staatsmacht, einem | |
gerechten Staat, der ein würdiges Leben ermöglicht sowie einem europäischen | |
Weg, der den ukrainischen Eigenarten am besten entspreche, die Rede. | |
Auch wenn die Vaterlandspartei traditionell als links der Mitte eingestuft | |
wird, gibt es kaum große programmatische Unterschiede zur UDAR. Auch | |
Jazeniuk würde in der Stichwahl gegen Janukowitsch mit klarem Vorsprung | |
gewinnen, allerdings wäre dieser nicht mehr so deutlich. | |
## Derbe Sprüche und kaputte Lenin-Denkmäler | |
Der dritte Partner in dieser seltsamen Opposition ist die nationalistische | |
Partei Swoboda (deutsch: Freiheit). Deren Vorsitzender Oleh Tjahnybok hat | |
ebenfalls Ambitionen auf das Präsidentenamt, auch wenn er wohl die | |
geringsten Chance hätte. Seine Partei bewegt sich zwischen Rechtspopulismus | |
und Rechtsradikalismus mit rassistischen Elementen und hat sich bisher vor | |
allem durch derbe Sprüche und die Zerstörung von Lenin-Denkmäler | |
hervorgetan. | |
Der Swoboda-Abgeordnete Igor Miroschnischenko sorgte im November 2012 für | |
einen Skandal, als er die ukrainischstämmige US-Schauspielerin Mila Kunis | |
als „dreckige Jüdin“ bezeichnete. Vor 13 Tagen veranstalteten | |
Swoboda-Anhänger in Kiew unter Schlachtrufen wie „Sieg der Ukraine und Tod | |
den Feinden“ einen Marsch zum Gedenken an Stefan Bandera. Der | |
Partisanenkämpfer im Zweiten Weltkrieg wird im Westen der Ukraine als Held | |
verehrt, im Osten gilt er als ein Kollaborateur mit den Nazis. | |
Swoboda findet vor allem im Westen der Ukraine Unterstützung, aber auch bei | |
jungen Leuten, die die Sowjetzeit nicht mehr erleben mussten, eine heftige | |
Abneigung gegen Russland hegen und nach einer Identität für sich und ihr | |
Land suchen. | |
Die Partei ist ein mehr als problematischer Partner für die beiden anderen | |
Oppositionsparteien. Diese müssen aber befürchten, nicht nur die | |
Nationalisten, sondern auch zahlreiche Protestwähler an die Rechtsradikalen | |
zu verlieren, sollten sie die Zusammenarbeit beenden. | |
So muss der dreiköpfige Drachen zusammenhalten und hoffen, dass man | |
zusammen eine durchschlagende Strategie entwickelt, und das Vertrauen der | |
Wähler nicht verliert. | |
Dennoch bleibt die Frage, welchen Weg die Ukraine nimmt, sollte diese | |
Opposition wirklich ans Ruder kommen. Zumindest eines ist klar: Schafft es | |
Swoboda, ihre Position zu stärken und zu einem maßgeblichen Player in einer | |
neuen Regierung zu werden, verheißt das für die Zukunft des Landes nicht | |
Gutes. | |
Mitarbeit: Andrej Nesterko, Kiew | |
12 Jan 2014 | |
## AUTOREN | |
Juri Durkot | |
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