# taz.de -- Kolumne 30C3 –Tag 4: Paranoia vor dem Wasserkocher | |
> Koffeinsüchtig, aber gar nicht so chaotisch. Was wir am vierten Tag des | |
> 30C3 gelernt haben. | |
Bild: Der Kongress mahlt – nämlich die Kaffeebohnen. | |
Der Netzaktivist Jacob Appelbaum und der Spiegel veröffentlichen neue | |
[1][Snowden-Dokumente]. Doch auch wenn die Nachrichtenlage zur NSA immer | |
deprimierender wird, gibt es am letzten Tag des 30C3 einige Dinge, die | |
glücklich machen. Was wir auf dem vierten Tag des 30C3 gelernt haben. | |
1. Der Chaos Club ist gar nicht so chaotisch. „Das ist wirklich | |
erstaunlich“, sagt die Verkäuferin am Kaffeestand, „Eigentlich sehen die | |
Räume nach so einem Kongresstag anders aus.“ Die Teilnehmer nehmen ihre | |
Flaschen mit, schmeißen herumliegenden Müll weg und verteilen die | |
Steckerplätze an ihren Verlängerungskabeln solidarisch. | |
Neben der gegenseitigen Rücksichtnahme liegt es aber auch an den über | |
tausend ehrenamtlichen Helfern, die Engel genannt werden, dass alles seine | |
Ordnung hat. Sie unterstützten bei der Tontechnik, der Übersetzung oder | |
beim Einweisen. Und bekamen dafür nichts, außer Dank und ein T-Shirt – wenn | |
sie länger als acht Stunden gearbeitet haben. Den vollen Eintrittspreis | |
bezahlten sie trotzdem. Neben den Engeln halfen dieses Jahr erstmals | |
weitere 30 ChaospatInnen, die Kongress-Neulinge begleiteten. So konnten | |
auch schüchterne Besucher angelockt werden. Außerdem kam eine Gruppe | |
AutistInnen, die den Kongress ohne die Begleitung der PatInnen nicht | |
besucht hätte. | |
2. Das Mate-Klischee stimmt. Die 30C3 Organisatoren und Teilnehmer sind | |
Koffein-Junkies. Rund Tausend Espresso wurden in den vier Tagen an den | |
Ständen der „Coffee-Nerds“ getrunken, einer halben Etage voller | |
Kaffeemaschinen, bei denen man mit einer Konstruktion aus Fahrrad und | |
Kaffeemühle seine Bohnen selbst zermahlen konnte. Am zweiten Tag gab es | |
trotzdem eine Krise auf dem Kongress: Die Club Mate – nicht umsonst | |
[2][Hackerbrause genannt] – war ausverkauft. Glücklicherweise gab es noch | |
die Schwesterlimo Flora Mate zu kaufen. Wer trotzdem kurz vor dem | |
Koffeinentzug stand, konnte sich an einem Stand sehr koffeinhaltiges | |
Brausepulver zusammenmischen. | |
3. Auf dem Kongress sprach [3][Peter Schaar], der ehemalige | |
Bundesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit, über das | |
Rollenverständnis von amtlichen Datenschützern. Vor zwei Wochen ging seine | |
[4][Amtszeit zu Ende]. „Ich gehöre jetzt zur Zivilgesellschaft und kann | |
über die amtlichen Datenschützer herziehen“, sagte er und tat es dann auch: | |
„Datenschutz ist zu wichtig, um ihn den Behörden zu überlassen“, so Schaa… | |
Ansicht. Ihnen würden die geeigneten Instrumente fehlen, um Vergehen | |
nachhaltig zu ahnden. Er begrüße etwa den Vorschlag aus Europa, die | |
Höchstgrenze der Bußgelder auf 100 Millionen Euro zu erhöhen. Schaar | |
erzählte, dass er oft gefragt wurde, warum die Gesetze so sind, wie sie | |
sind – dabei sei er nur der Kontrolleur. Er mache die Gesetze nicht, das | |
hätten viele nicht verstanden. Zu seiner Nachfolgerin [5][Andrea Voßhoff], | |
wollte sich Schaar nicht öffentlich äußern. | |
4. Psst, nicht vor dem Wasserkocher! – Nach vier Tagen 30C3 hat die eigene | |
Paranoia ein beachtliches Level erreicht. Das ist wohl normal, es geht ja | |
ständig um fehlende Privatsphäre, Spionage und Backdoors. Man will sich | |
sofort gegen alles schützen, lernt dann aber auch, dass viele | |
Verschlüsselungen sowieso geknackt werden und Virenprogramme Mist sind. Das | |
entmutigt und man möchte sich abschotten, das Internet nicht mehr nutzen | |
und für Telefonate seine eigene Geheimsprache erfinden. Oder nur noch | |
Dialekt sprechen – die Chancen stehen gut, dass die NSA das nicht versteht. | |
Doch der allerletzte Funke Hoffnung, dass man der Spionage entkommen | |
könnte, wurde einem am letzten Tag von Frank Rieger und Ron beim Vortrag | |
„Security Nightmares #14“ genommen. Die beiden erzählten von den | |
schlimmsten Sicherheitslücken des Jahres. Nicht nur, dass es Netzteile | |
gibt, die Informationen von Handys abziehen, es wurden im November auch | |
Fernseher von LG entdeckt, die Sehgewohnheiten der Nutzer an den Hersteller | |
weiterleiten. Man könnte meinen, das betrifft nur diese neumodischen Geräte | |
– aber nein. In Russland wurden Wasserkocher und Bügeleisen gefunden, die | |
mit einem Spionagechip versehen waren. Der verbindet sich mit dem W-Lan, | |
verbreitet Viren, versendet Spam und kann die private oder kommerzielle | |
Internetkommunikation anzapfen. Das ist doch ein einziger Albtraum. | |
31 Dec 2013 | |
## LINKS | |
[1] http://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/neue-dokumente-der-geheime-werkz… | |
[2] /!84371/ | |
[3] /!129568/ | |
[4] /Neue-Bundesdatenschutzbeauftragte/!129536/ | |
[5] /Schaar-Nachfolgerin-Vosshoff/!129680/ | |
## AUTOREN | |
Svenja Bednarczyk | |
Saskia Hödl | |
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