Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Indigene Gemeinschaften werden aktiv: Wiederentdeckung des Eigenen
> Jahrelang besuchten vor allem Touristen die Ruinenstätten der Maya in
> Guatemala. Nun entdecken die indigenen Nationen ihre Geschichte wieder.
Bild: Frauen protestieren 2009 in Guatemala-Stadt für mehr Rechte für die ind…
„Man muss doch wissen, woher man kommt. Das ist der Grund, weshalb wir
heute früh aus Nebaj nach Huehuetenango gereist sind, um die Tempel zu
besuchen“, sagt Rosaura Garillo etwas schüchtern.
Die Frau Mitte dreißig ist eine der Wortführerinnen der mehr als 60
Personen umfassenden Reisegruppe aus dem benachbarten Verwaltungsbezirk
Quiché. Rund 200 Kilometer brachte die aus sechs Familien bestehende Gruppe
hinter sich, um die Ruinen von Zaculeu zu besuchen.
Die befinden sich zwei Kilometer vor der Provinzstadt Huehuetenango, im
Norden Guatemalas, kurz vor der Grenze zu Mexiko. „Unsere Geschichte kommt
in den Schulen zu kurz, deshalb sind wir hier, um unseren Kindern zu
zeigen, woher wir kommen“, schiebt Rosaura hinterher.
Die kleine, stämmige Frau trägt anders als ihre Mitreisenden nicht die
farbenfrohe traditionelle Kleidung der Mam-Maya, sondern ein weißes Hemd
zum dunkelblauen Pullunder, den das Emblem der weiterführenden Schule von
Pulay ziert.
Dort unterrichtet sie und engagiert sich dafür, dass die Jugend etwas von
der eigenen Geschichte mitbekommt und die eigene Sprache, das Ixil,
versteht und spricht. Das ist längst nicht überall so in den Dörfern Nord-
und Zentralguatemalas, wo der indigene Bevölkerungsanteil besonders hoch
ist.
„Gleich sieben indigene Sprachen werden im Verwaltungsbezirk Huehuetenango
gesprochen, und bilingualer Unterricht ist die Ausnahme und nicht die
Regel“, erklärt der Bischof von Huehuetenango Álvaro Ramazzini.
Der 65-jährige Geistliche hat erst vor einem Jahr die Arbeit in der Diözese
aufgenommen und gilt als kritischer Beobachter der sozialen und politischen
Verhältnisse in Guatemala. „Wir brauchen mehr Partizipation in den
Gemeinden. Mehr Respekt für die Rechte der indigenen Völker ist notwendig
und wird immer vehementer eingefordert. Das ist nach vielen Jahren des
bleiernen Schweigens neu“, so der Bischof.
## 17 Jahre nach dem Bürgerkrieg
Rund 17 Jahre nach dem Ende des Bürgerkriegs ist die Stimme der
Zivilgesellschaft in Guatemala wieder deutlicher zu hören und die indigenen
Nationen spielen eine aktivere Rolle. Die Förderung der eigenen Sprache ist
dabei wesentlich, so Rosaura Garillo.
Die Lehrerin unterrichtet in Ixil und Spanisch und verweist auf die Arbeit
der staatlichen Akademie für Maya-Sprachen in Guatemala (ALMG). Die fördert
die Sprachvielfalt und setzt sich für Erhalt von Achi, Ixil, Uspanteko und
Co. ein.
22 von mindestens 26 Sprachen, die in Guatemala gesprochen werden, stehen
im Fokus der Akademie. Seit 1990 gibt es sie, und dort haben die indigenen
Gemeinden ein Mitspracherecht, wählen die Repräsentanten der Akademie. „Das
sorgt für Akzeptanz“, sagt Rosaura Garillo zufrieden lächelnd. „Die
Regierung fördert zwar den bilingualen Unterricht, und auch an den
Universitäten nehmen die Angebote zu, aber wir stehen immer noch am
Anfang.“
## Indigene Gemeinden im Wandel
Gleichwohl hat sich in den indigenen Gemeinden ein Wandel vollzogen. „Wir
sind aktiver, informieren uns über unsere Rechte und unsere eigenen
Wurzeln“, berichtet Hacinto Hernández. Er gehört auch zur Reisegruppe aus
Nebaj und reist zum ersten Mal, um die eigenen Wurzeln zu entdecken. Mit
großen Augen ist er wie viele andere aus der Reisegruppe in der imposanten
Anlage von Zaculeu unterwegs.
Die weist ein halbes Dutzend Plätze auf, die von Pyramiden, Palästen und
langgezogenen Verwaltungsgebäuden eingefasst wurden. Insgesamt 43 Gebäude
wurden von den Archäologen freigelegt, und unter einigen der Hügel, welche
die nur von einer Seite zugängliche Hochebene prägen, könnten sich noch
weitere befinden.
Für die jugendlichen Teilnehmer der Reisegruppe ist der Ballspielplatz
besonders attraktiv, und einige der Jungs kicken vor der langgesteckten
Anlage, während mehrere junge Frauen eine der großen Pyramiden erklimmen,
um sich einen Eindruck von oben zu machen. Die Anlage dient den rund um
Huehuetenango und weiter nördlich lebenden Mam-Gemeinden auch heute noch
als spiritueller Ort, an dem mehrere Feiertage begangen werden.
## Hauptstadt der Mam-Maya und Handelszentrum
Die Stadt, in der mehrere tausend Menschen lebten, war jedoch nicht nur
Hauptstadt der Mam-Maya, wo alle wichtigen Zeremonien in und um die
staatlichen Pyramiden stattfanden, sondern auch wichtiger Handelsplatz.
Güter aus dem benachbarten Mexiko wurden hier umgeschlagen, wovon
Keramikarbeiten und architektonische Details zeugen.
Beeindruckt sind die Besucher aber auch vom langen Widerstand der
Mam-Kämpfer gegen die Spanier. „Ich wusste nichts davon, dass die Stadt
über vier Monate belagert wurde“, sagt Hacinto Hernández, während zwei etwa
zwölfjährige Jugendliche neben ihm angeregt über Kaibil Balam sprechen. So
hieß damals, im 16. Jahrhundert der Anführer der Mam, die sich schließlich
ergaben, weil sie in der zur Festung ausgebauten Stadt verhungerten.
## Kaum Förderprogramme
„Geschichte, die für unsere Kinder weitgehend unbekannt ist. Doch da liegen
unsere Wurzeln“, sagt Rosaura Garillo, die die Fahrt gemeinsam mit zwei,
drei anderen vorbereitet hat. Nach Tikal, in die weltberühmte
Maya-Ruinenstadt hoch im Norden, würde sie auch gern fahren.
Doch dafür reicht das Geld nicht, denn dann müsste die Gruppe übernachten.
Das ist nicht drin, und Förderprogramme zur Weiterbildung sind in
Guatemala, wo wenige über viel und viele über wenig verfügen, rar gesät.
Trotzdem gibt es in den oft bettelarmen indigenen Gemeinden einen Trend zum
Eigenen. Dörfer, die Genossenschaften aufbauen, um gemeinsam bessere Preise
für ihre Produkte zu erzielen, sind nicht mehr so selten, und Gemeinden
fragen öfter nach, was der Staat oder ein Investor mit einem Bauprojekt
bezwecken will, bestätigt der Rektor der Universität Rafael Landívar,
Victor Manuel Calderón.
Er sagt: „Wir haben Zulauf von Studierenden aus indigenen Gemeinden, die
sich für die Zukunft ihrer Gemeinden engagieren: Dank internationaler
Stipendien unter anderem aus Deutschland können wir bei der Finanzierung
des Studiums helfen.“
## Stipendien für Benachteiligte
Domingo Calmo Pablo, der an der Universität Sozialarbeit studiert, ist so
ein Stipendiat. „Wir müssen uns selbst helfen, denn die Regierung redet
viel und handelt wenig“, kritisiert der 34-jährige Familienvater. Er
studiert am Wochenende an der Universität von Huehuetenango und arbeitet
während der Woche in der Genossenschaft in seinem Dorf Malacatancito.
„Wir leben vom Gemüseanbau und von Handarbeit. Doch um Perspektiven
aufzubauen, müssen wir dazulernen, deshalb bin ich hier“, erklärt er und
fährt sich über die hohe Stirn. Er will sich für die Gemeinde, für den
Aufbau tragfähiger Strukturen und mehr Bildung in der Region rund um
Malacatancito einsetzen.
## Interesse an der eigenen Geschichte
Domingo Calmo Pablo ist kein Einzelfall an der Universität, wo mehrere
Dutzend junge Studenten aus indigenen Gemeinden studieren. „Zurückkehren,
um es besser zu machen, lautet die Devise“, so Rektor Victor Manuel
Calderón. Der unterstützt den indigenen Nachwuchs nach Kräften, weil er
weiß, dass die oftmals abgelegenen Gemeinden mit Hilfe aus den eigenen
Reihen am Besten fahren. Sie kennen schließlich die Verhältnisse vor Ort en
détail.
So wie die Lehrerin Rosaura Garillo. Sie tritt mit mehreren jungen Frauen
gerade aus dem Museum von Zaculeu, wo neben einer Mumie auch allerlei
Keramik und Werkzeuge ausgestellt sind. Viel wichtiger ist der Gruppe
allerdings die Geschichte hinter der spektakulären Ruinenstadt – denn die
ist schließlich ihre eigene.
7 Jan 2014
## AUTOREN
Knut Henkel
## TAGS
Guatemala
Indigene
Maya
Nachrichtenagentur
Mexiko
Landwirtschaft
Guatemala
Mexiko
Zapatisten
Guatemala
Guatemala
## ARTIKEL ZUM THEMA
Neue Nachrichtenagentur in Mexiko: Eigene Stimme für indigene Frauen
Die Nachrichtenagentur „Notimia“ kämpft gegen Diskriminierungen in der
Berichterstattung. Bei rund 68 Sprachen in Mexiko kein einfaches Ziel.
Technische Selbsthilfe in Mexiko: Mobilfunk aus der Kiste
Für 20 Peso zehnmal bei der Familie anrufen: Ein Dorf in Mexiko baut sich
sein eigenes Netz, spart dabei und findet nun Nachahmer.
Solidarische Landwirtschaft: Unterstützung für den Bauernhof
Man bezahlt den Bauern dafür, dass sein Hof insgesamt läuft. Was man dafür
bekommt, ist irgendwie offen. Hat das Charme oder ist es bekloppt?
Ríos-Montt-Fall in Guatemala: Rückkehr korrupter Richter
Der Fall des Exdiktators Efraín Ríos Montt soll vor dem Interamerikanischen
Gerichtshof für Menschenrechte neu aufgerollt werden.
Kämpfe um mexikanische Stadt: Bürgerwehr überrennt Drogenkartell
Gewalt gegen Gewalt: Bewaffnete Zivilisten lieferten sich in der
mexikanischen Stadt Nueva Italia Feuergefechte mit Mitgliedern des
Tempelritter-Kartells.
Aufstand der Zapatisten: Revolte aus dem Dschungel
Vor 20 Jahren rebellierten die Zapatisten gegen Neoliberalismus und die
Unterdrückung der Ureinwohner in Mexiko. Verändert hat sich seitdem nicht
viel.
Massaker in Guatemala: Rückgabe der Toten
Während des Bürgerkriegs richteten Soldaten im Dorf Dos Erres Hunderte
Menschen hin. Jetzt sind die Gebeine der Opfer an ihre Familien überreicht
worden.
Streit um Wasserkraftwerk in Guatemala: Hilfe für aggressives Unternehmen
Indigene protestieren gegen einen spanischen Investor. Sie fordern den
Dialog, doch die Regierung geht mit Polizei und Militär gegen sie vor.
Ein Film über Unterwasserarchäologie: An den Pforten des Totenreichs
Der Film „Verborgene Welten 3D – Die Höhlen der Toten“ zeigt, wie Kieler
Unterwasserarchäologen in gefluteten Höhlen das Leben der Maya in Mexiko
erforschen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.