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# taz.de -- Technische Selbsthilfe in Mexiko: Mobilfunk aus der Kiste
> Für 20 Peso zehnmal bei der Familie anrufen: Ein Dorf in Mexiko baut sich
> sein eigenes Netz, spart dabei und findet nun Nachahmer.
Bild: Letztes Kabel in Talea de Castro: Weg mit dem Festnetz.
TALEA DE CASTRO taz | Die Antenne steht gleich hinter dem Haus. Also habe
ich den besten Empfang“, lacht Juana García und deutet auf ihr
Mobiltelefon, das auf dem Tresen neben der Kasse liegt. Stolz ist die
Betreiberin des kleinen Supermarkts am Ortseingang von Villa Talea de
Castro darauf, dass das kleine mexikanische Dorf seit rund einem Jahr den
Anschluss an die moderne Handy-Kommunikation hergestellt hat.
Seitdem ist die Welt etwas näher an das Dorf im Süden Mexikos herangerückt.
Das liegt rund 120 Kilometer von Oaxaca de Juárez, der Hauptstadt des
Bundesstaates Oaxaca, entfernt und ist nur über eine nebelverhangene, von
Serpentinen gespickte Bergstraße zu erreichen.
Fünf Stunden dauert die Fahrt im Bus und früher war der Kontakt nach Oaxaca
de Juárez alles andere als einfach und recht kostspielig. „Da mussten wir
über die paar Festnetzanschlüsse, die es im Dorf gibt, alle
Telefongespräche abwickeln und die Minute kostete schnell mehr als ein
Peso“, erinnert sich Keyla Ramírez. „Heute kann ich für 20 Peso
(umgerechnet 1,10 Euro) zehnmal bei meiner Mutter in Oaxaca anrufen. Früher
hätte ich mir das nie leisten können“, erklärt die Besitzerin des
Internetcafés im Dorf. In dem Café wurde im Dezember 2012 die Idee geboren,
Villa Talea de Castro zum ersten Dorf Mexikos mit eigenem Mobilfunknetz zu
machen. Dafür lieferte Keyla Ramírez den Anstoß.
„Ich habe Peter Bloom erzählt, dass wir hier oben keine Chance auf ein
Mobilfunknetz haben. Da ist er ins Nachdenken gekommen“, erinnert sich die
quirlige Frau von Anfang dreißig. Peter Bloom ist ein technikbegeisterter
Gringo, in Philadelphia aufgewachsen und studiert in Mexiko ländliche
Entwicklung. Bloom hat mit drei Mitstreitern „Rhizomatica“ gegründet und
die kleine uneigennützige Organisation hilft abgelegenen Dörfern dabei,
kommunale Radiosender aufzubauen.
In Villa Talea de Castro heißt der zwölf Stunden täglich sendende Kanal
„Dizha Kiero“. Auf Zapateco, der Sprache der indigenen Gemeinde, in der
auch gesendet wird, heißt das „unser Wort“, so Ramírez. Sie ist eine der
Stimmen des Radios, welches die zapotekische Identität stärken soll und
genießt viel Respekt in dem rund 2.600 Einwohner zählenden Dorf. Sie war es
auch, die für das Konzept für das eigene Mobilfunknetz warb, mit dem Peter
Bloom im Februar 2013 in Villa Talea de Castro aufkreuzte.
## Open Software für den Standard
Erfolgreich wie das kleine Häuschen auf Betonstelzen am Ortseingang zeigt.
Dort drin steht der kleine blinkende Kasten der kanadischen Firma Nutaq,
der dafür sorgt, dass im Dorf nicht nur lokal, sondern auch regional und
international telefoniert werden kann. Für die Weiterleitung der
Funksignale sorgt die lange Antenne, die auf dem Dach des kleinen
Backsteinbaus auf Stelzen montiert ist; die freie OpenBSC-Software dafür,
dass die Mobilfunk-Basisstation im üblichen GSM-Standard läuft.
Zuständig für das System ist Alejandro López Canseco. Im Rathaus, gegenüber
vom Sportplatz und der Kirche, hat der 21-jährige, technikbegeisterte
Gemeindesekretär sein Büro. Von hier wird das kleine Funknetz mit 35
Leitungen gesteuert. López Canseco verwaltet die Zugänge und kassiert die
monatliche Nutzungsgebühr. Davon zeugt der Quittungsblock auf seinem
Schreibtisch auf dem der Name einer Frau steht, die zwanzig Peso entrichtet
hat.
## Eine Minute kostet nun Centavos, nicht Pesetos
„15 Peso beträgt die monatliche Pauschale. Lokale Gespräche sind umsonst,
Anrufe ins mexikanische Festnetz kosten fünfzig Centavos pro Minute, 83
Centavos ins Mobilfunknetz und für uns ist der Anruf in die USA mit zwanzig
Centavos pro Minute überaus günstig geworden“, erklärt Canseco und lächelt
stolz. Früher kostete der Anruf in die USA über das Festnetz 15 Peso pro
Minute, rund achtzig Euro-Cent. Das war kostspielig, denn fast alle
Familien haben Angehörige, die in die USA gezogen sind. Zwei Brüder sind es
bei López Canseco.
Für ihn ist Auswanderung jedoch kein Thema. Der Job in der
Gemeindeverwaltung macht Spaß und hat Perspektive. „Ich habe durch Peter
Bloom und Giovanni Civardi von Rhizomatica gelernt wie das Netz gesteuert
wird, kann kleine Probleme schnell beheben und sie kontaktieren, wenn es
kompliziert wird“, so López Canseco.
## Erste Gemeinden folgen dem Beispiel
Nach Anlaufschwierigkeiten und dem Austausch des ersten Geräts, läuft das
System jetzt stabil und gleich drei Nachbargemeinden von Villa Talea de
Castro wollen dem Beispiel des Dorfes folgen und in ein eigenes Handynetz
investieren. Das hat seinen Preis. 400.000 Peso, umgerechnet 22.400 Euro,
hat das Dorf, welches vom Anbau von Kaffee und Gemüse lebt, investiert. Ein
Kredit wurde von der Kaffeegenossenschaft aufgenommen und Gemeindepräsident
Gabino Martínez hat obendrein ein Grundstück verpfändet, um seinem Dorf den
Anschluss an den Rest der Welt zu ermöglichen.
Rund ein Jahr später sind die Schulden aber weitgehend getilgt und die
laufenden Einnahmen werden zur Seite gelegt, um irgendwann in ein
leistungsstärkeres Gerät zu investieren. „Derzeit telefonieren wir auf 35
Leitungen, das heißt nur 35 Leute können parallel Anrufe tätigen. Das ist
auch der Grund, weshalb nach fünf Minuten die Gespräche automatisch
abgebrochen werden“, erklärt Alejandro López Canseco das Modell.
Das funktioniert im Prinzip nicht viel anders als bei den großen Anbietern
wie Telmex. „Die weigerten sich jedoch im abgelegenen Talea de Castro zu
investieren, weil ihnen die Wartungskosten zu hoch und die Gewinne zu
niedrig waren“, so Gemeindepräsident Martínez. Der hat mit allen
Netzanbietern verhandelt, bevor Peter Bloom mit seiner Idee auftauchte.
Die hat bereits Schule gemacht. In Santa María Yaviche haben Bloom und
seine Mistreiter ein weiteres Mobilfunknetz installiert.
8 Jun 2014
## AUTOREN
Knut Henkel
## TAGS
Mexiko
Mobilfunk
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Kuba
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Guatemala
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