Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Alkoholkonsum im Iran: Auf ein Bitterbier in Teheran
> Alkohol ist im Iran streng verboten. Doch wer sich auf die Suche macht,
> kommt auch in der Islamischen Republik an Bier, Wein und Wodka.
Bild: Eine Pro-Bier-Einstellung pflegen auch viele Iraner – allerdings nur im…
Im Supermarkt in Teheran reiht sich eine braune Plastikflasche an die
andere: Pfirsichbier, Birnenbier, Melonenbier. Auf dem Etikett steht „0,0 %
alcohol“ – schließlich sind wir in der Islamischen Republik Iran. Seit die
Mullahs im Jahr 1979 die Macht übernommen haben, ist den muslimischen
Bürgern das Herstellen von Alkohol, der Verkauf und der Konsum streng
verboten.
Doch die Iraner lassen sich davon nicht abhalten. Einen Liter reinen
Alkohol trank der durchschnittliche Iraner über 15 Jahren im Jahr 2005,
sagt die WHO. Das ist natürlich nur ein Bruchteil der fast 13 Liter, die
ein Deutscher pro Jahr vertilgt. Aber immer noch erstaunlich viel für ein
Land, in dem auf Alkoholkonsum 80 Peitschenhiebe, Geldbußen und eine
Gefängnisstrafe stehen – und beim dritten Vergehen möglicherweise sogar die
Todesstrafe. Trotzdem gibt es laut der iranischen Polizei mehr als 200.000
Alkoholiker im Gottesstaat.
Aber wie kommen die Iraner an den verbotenen Stoff? Es ist Muharram im
Iran, das höchste Trauerfest der Schiiten im November. Zehn Tage trauern
sie um Imam Hussein, der 680 n. Chr. im Kampf gegen die herrschende
Kalifenlinie fiel. Auf den Straßen prozessieren die Männer in schwarzen
Hemden und schlagen sich im Takt der Klagemusik auf die Brust. Manche
geißeln sich den Rücken.
Alkohol im heiligen Trauermonat? Wir sind im Süden des Iran, 30 Kilometer
außerhalb von Schiras, der fünftgrößten Stadt des Landes. Hier, im Tal von
Ghalat, ist vom Gottesstaat nur noch wenig zu spüren. Der Spätherbst hat
die Laubbäume orange und rot gefärbt. Zwischen den Granatapfelbäumen essen
junge Paare frische Pistazien, ein paar Jugendliche zelten mitten auf dem
Weg, der hoch zu den roten Felsen führt. An den felsigen Hängen stehen alte
Rebstöcke mit vertrockneten Trauben.
## Selbst gekelltert
„Wollt ihr echten Wein aus Schiras probieren?“, fragt uns ein etwa
vierzigjähriger Mann, der mit einem Freund durch die Berge wandert.
Selbstverständlich selbst gekeltert, nur ein paar Minuten mit dem Auto
entfernt. Er lächelt und streckt seine Hand aus. Aber sind die beiden
wirklich heimliche Winzer und Wanderfreunde? Oder doch Religionspolizisten
in Zivil, die unverheiratete Paare verhaften und aufpassen, dass Frauen ein
Kopftuch tragen? Das Risiko ist uns zu groß, dankend lehnen wir ab. Zum
Abschied gibt der Mann uns noch seine Handynummer, für den Fall, dass wir
es uns anders überlegen.
Wir probieren es lieber im armenischen Klub in Teheran. Denn für die
christliche Minderheit im Land gelten Ausnahmen. Genau wie Juden und
Zoroastrier dürfen sie Alkohol einführen und trinken – solange sie nichts
an Muslime verkaufen. Vielleicht auch deshalb schaut uns der Mann am
Eingang streng ins Gesicht, bevor er uns das Tor passieren lässt. Das
Restaurant ist gediegen: Die Wände sind mit cremefarbenem Stoff bespannt,
vergoldete Wandlampen beleuchten dunkle Holztische. Die Bedienungen tragen
ihr Haar offen, in der Lobby zupft sich eine junge Sängerin ihr tief
ausgeschnittenes schwarzes Cocktailkleid zurecht.
„Alkohol? Führen wir leider nicht, Monsieur“, sagt der höfliche Kellner im
grauen Anzug. Einer seiner Kollegen gesellt sich zu uns. Ja, früher habe
man hier auch Alkohol bestellen können, sagt er. Aber jetzt sei es zu
riskant. „Wenn sie herausfinden, dass wir Alkohol verkaufen, schließen sie
den Club!“ Die Privilegien der christlichen Minderheit sind zu wichtig, um
sie für einen Rausch zu riskieren. Man könne aber selber Bier oder Wein
mitbringen, wie es die Diplomaten tun, die manchmal hier essen. Warum
versuchen wir es nicht einmal in einem der großen Hotels in der Nähe? Dort
könnten wir mehr Glück haben, gibt er uns mit auf den Weg, bevor wir uns
verabschieden.
Auf der Straße quälen sich die Autos durch den Feierabendverkehr, es riecht
nach Benzin. Sollen wir wirklich in den Hotels fragen? Manche der großen
Hotels werden von der staatlichen Tourismusbehörde betrieben. Dort nach
Alkohol zu fragen scheint uns keine gute Idee, zumal in der Trauerzeit
Muharram die Strafen auf Alkoholkonsum besonders streng sind. Eine Iranerin
rät uns von dem Vorhaben ab, und wir gehen nach Hause. Unsere letzte Chance
ist jetzt: eine Party.
Und wir haben Glück. Eine Iranerin feiert mit Freunden und lädt uns ein.
Das graue Mehrfamilienhaus erinnert an Paris und auch die Wohnung wirkt
westlich vertraut: offene Küche, großes Wohnzimmer mit Möbeln im
Siebziger-Design, in der Ecke ein Kamin, in dem blaue Gasflammen Wärme
spenden.
## Heimliche Kleinbrauer und Winzer
Die anderen Gäste sitzen schon auf der Couch, im Fernseher dudelt
persischer Pop. Auf dem Tisch stehen Schalen mit Erdnussflips und braune
Flaschen mit alkoholfreiem Halal-Bier. Aber diesmal enthält es doch
Alkohol. Wie ist das möglich? Die iranische Gastgeberin grinst: „Wir
mischen Zucker und Hefe in das alkoholfreie Bier und vergären es in
Plastikkanistern.“ Nach zehn Tagen enthält das entalkoholisierte Bier
wieder Alkohol.
Das Resultat schmeckt stark und ein wenig bitter. Nur die Hefeablagerungen
im Glas erinnern daran, dass es doch kein normales Bier aus dem Supermarkt
ist. Viele ihrer Freunde vergären das Bier selbst, sagt unsere Gastgeberin.
Die Iraner, ein Volk von heimlichen Kleinbrauern und Winzern, die sich das
Feiern auch von Ajatollahs nicht verbieten lassen wollen.
Plötzlich klingelt es an der Haustür. Obwohl wir keine weiteren Gäste
erwarten, erschrickt niemand. Ein junger Mann mit Motorradhelm rennt die
Treppe herauf. Es ist der Alkohollieferant, der eine Flasche Bordeaux
vorbeibringt, per Telefon bestellt. Die Nummer ist ein gut gehütetes
Geheimnis, das man nur mit Freunden teilt, sagt unsere Gastgeberin.
## Wodka und Whiskey für 40 Dollar
Umgerechnet 20 Dollar muss sie für den Bordeaux auf den Tisch legen, der in
einem deutschen Supermarkt wahrscheinlich 4 Euro gekostet hätte. Wodka und
Whiskey kosten 40 Dollar, aber wer öfter bestellt, bekommt Rabatt. Die
hohen Preise sind hier völlig normal. Denn jede Flasche wird aus dem
kurdischen Nordirak oder der Türkei ins Land geschmuggelt. Zwischen 60 und
80 Millionen Liter Alkohol landen laut einer iranischen Polizeistatistik
jedes Jahr auf dem iranischen Schwarzmarkt. Ein Milliardengeschäft.
Der Bordeaux glitzert dunkelrot im Glas und riecht so gut nach Tanninen und
Beeren, wie es wohl nur im Iran möglich ist. Als wir uns zuprosten, sitzt
der junge Mann vom Lieferservice schon wieder auf seinem Motorrad. Es ist
Donnerstagabend, Wochenende im Iran, und die Liste der Kunden ist noch
lang.
17 Jan 2014
## AUTOREN
Martin Fuchs
## TAGS
Bier
Schwerpunkt Iran
Muslime
Alkohol
USA
Schwerpunkt Iran
Schwerpunkt Atomkraft
Schwerpunkt Iran
Schwerpunkt Iran
Atom
## ARTIKEL ZUM THEMA
Irische Geschäftsidee: Whiskey hinter Gittern
Wo die IRA-Führung in Haft war, will ein Geschäftsmann nun Hochprozentiges
brennen. Das „Alcatraz Nordirlands“ in Belfast soll Touristen anlocken.
US-Verhandlungen mit Iran: Der Achsenbruch des Bösen
Einst als „Schurkenstaat“ beschimpft, wird der Iran heute als Regionalmacht
wichtig. Deswegen suchen die USA vermehrt den Kontakt.
Kommentar Iranpolitik der USA: Dialog mit Feinden
Der Deal mit Teheran ist ein historischer Einschnitt. Die USA gehen ein
großes Risiko ein. Egal. Die Politik der harten Linie ist vollends
gescheitert.
Atom-Zwischenabkommen: 550 Millionen US-Dollar für den Iran
Für den Kompromiss im Atomstreit erhält der Iran nun die eingefrorenen
Ölzahlungen aus den USA. Am 1. Februar wird die erste von sechs Tranchen
ausgezahlt.
Irans Atomprogramm: Alle Streitpunkte gelöst
Teheran und die 5+1-Staatengruppe legen die Streitpunkte um das
Atomprogramm des Landes bei. Die Ergebnisse müssen nur noch ratifiziert
werden.
Debatte Irans Intellektuelle: Wenn Freiheit möglich wird
Seit Rohani Präsident ist, macht sich Optimismus unter Teherans
Intellektuellen breit. Vorsichtig sind sie trotzdem, denn hinter ihnen
liegen dunkle Jahre.
Inspektion iranischer Atomanlage: Obama überraschend skeptisch
Der Atom-Kompromiss mit dem Iran hat seine erste Belastungsprobe. Ein Team
der IAEA inspiziert die Schwerwasserfabrik Arak.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.