# taz.de -- Irische Geschäftsidee: Whiskey hinter Gittern | |
> Wo die IRA-Führung in Haft war, will ein Geschäftsmann nun | |
> Hochprozentiges brennen. Das „Alcatraz Nordirlands“ in Belfast soll | |
> Touristen anlocken. | |
Bild: Whiskey-Brenner Peter Lavery im ehemaligen Gefängnis in der Crumlin Road. | |
BELFAST taz | Anfangs wirkt er etwas mürrisch. Doch wenn Peter Lavery von | |
seinem großen Projekt erzählt, taut er auf. Der 52-Jährige hat den A-Flügel | |
des ehemaligen Gefängnisses in der Crumlin Road im nordirischen Belfast für | |
99 Jahre gepachtet und will dort eine Whiskeybrennerei mit Besucherzentrum | |
und Pub einrichten. „Den Namen für das Wirtshaus haben wir bereits“, sagt | |
Lavery. Es wird „The Clink“ heißen – das Kittchen. | |
Bisher hausen in dem Gefängnisflügel nur fünf Tauben, die bei der | |
Renovierung des Daches eingeschlossen wurden und überall ihre Spuren | |
hinterlassen. „Die meisten Zellen sollen bleiben“, sagt Lavery, „damit der | |
Gefängnis-Charakter erhalten wird. Die Brennerei kommt ins Erdgeschoss. | |
Dort werden wir eine Decke aus Glas einziehen, damit die Besucher vom | |
ersten Stock aus den Brennprozess beobachten können.“ | |
Das Licht ist schummerig, die Wände sind gelb gestrichen, die meisten der | |
grünen Zellentüren stehen offen. Man blickt in kahle Räume: 3,65 mal 2,13 | |
Meter groß und mehr als drei Meter hoch. | |
Als das viktorianische Gefängnis 1846 eröffnet wurde, sollte jede Zelle nur | |
einen Gefangenen beherbergen. Aber nach Ausbruch des Nordirlandkonflikts | |
vor 45 Jahren mussten sich oft drei Gefangene eine Zelle teilen. Crumlin | |
Road Jail war ein Hochsicherheitsgefängnis, es galt als Nordirlands | |
Alcatraz. | |
## Museum, Besucherzentrum, Whiskey | |
„Der A-Flügel ist mit 62 Zellen auf jedem der drei Stockwerke der längste | |
der vier Flügel“, erklärt Lavery und öffnet eine Tür am Ende des Flurs. S… | |
führt in den kreisförmigen Kontrollbereich, von dem die Flügel abzweigen. | |
Hier ist alles renoviert, die Regierung hat den gegenüberliegenden Flügel | |
für fünf Millionen Pfund zu einem Museum ausbauen lassen. | |
Lavery will in seinen Flügel weitere fünf Millionen investieren. „Das | |
Museum ist sehr gut besucht“, sagt er, „und davon werden wir profitieren. | |
Ich rechne mit 150.000 Besuchern im Jahr, und wenn nur jeder Fünfte eine | |
Flasche Whiskey kauft?“ | |
Die Produktion soll im Dezember beginnen. „Bis die erste Flasche verkauft | |
werden kann, vergehen drei Jahre“, sagt Lavery. „So lange muss Whiskey laut | |
Gesetz lagern, er darf auch bei guter Führung nicht vorzeitig raus.“ Bis | |
zum St. Patrick’s Day, dem irischen Nationalfeiertag im März, soll auch das | |
Besucherzentrum fertig sein. | |
Die Regierung will das alte Gerichtsgebäude auf der anderen Seite der | |
Crumlin Road in einen Veranstaltungsort umbauen. Es ist mit dem Gefängnis | |
durch einen Tunnel verbunden, weil man befürchtete, dass die Mitglieder | |
paramilitärischer Organisationen nach ihrer Verurteilung auf der kurzen | |
Strecke über die Straße befreit werden könnten. | |
## Bürokratische Hürden | |
Eigentlich sei er ja Wodkatrinker, gesteht Lavery. „Aber ich dachte, | |
Whiskey sei einfacher zu verkaufen. So einfach ist es aber nicht. Ich | |
wusste im Grunde gar nicht, worauf ich mich einließ.“ Er musste viele | |
bürokratische Hürden überwinden, Architekten und Ingenieure zu Rate ziehen | |
und eine Baugenehmigung beantragen. Das alles kostete eine Viertelmillion | |
Pfund. | |
Dabei sieht Lavery nicht aus wie ein gewiefter Geschäftsmann. Er ist | |
ziemlich rundlich, mit seiner Schiebermütze und dem gestreiften Schal sowie | |
einem breiten Belfaster Akzent wirkt er wie einer aus der Arbeiterklasse. | |
Dort kommt er auch her. Er stammt aus Short Strand, einer kleinen | |
katholischen Enklave im protestantischen Ost-Belfast, wo der nordirische | |
Konflikt seine Spuren hinterlassen hat. „Ich bin mit 15 von der Schule | |
abgegangen, ohne Abschluss“, sagt er. Danach ging er bei einem Klempner in | |
die Lehre, arbeitete einige Jahre in dem Beruf und wurde schließlich | |
Busfahrer. | |
Dann kam der „Glücksfall“, und für Lavery begann eine neue Zeitrechnung: | |
„Nach dem Glücksfall.“ Im Mai 1996 hat er nämlich im Lotto gewonnen – 1… | |
Millionen Pfund. „Ich bin noch ein paar Tage zur Arbeit gegangen, weil ich | |
die Leute nicht im Stich lassen wollte“, sagt er. „Dann habe ich Urlaub auf | |
St. Lucia in der Karibik gemacht, um einen klaren Kopf zu bekommen. Als ich | |
nach Belfast zurückkam, lagen 9.000 Briefe hier – fast alles Bettelbriefe.“ | |
Lavery gründete die „Rita-und Charles-Stiftung“ in Gedenken an seine | |
Eltern, sie unterstützt ein Kinderhospiz, die Schlaganfallforschung und | |
andere wohltätige Einrichtungen. Er investierte in Immobilien und kaufte | |
eine Kneipe mit großem Biergarten im Zentrum Belfasts. Im obersten | |
Stockwerk befindet sich ein „Speak Easy“ im Stil der illegalen Kneipen in | |
den USA während der Prohibition. Der Raum ist für Mitglieder des | |
Whiskeyclubs vorgesehen, die ihre eigene Flasche in einem Gitterschrank | |
aufbewahren, der mit einem Original-Vorhängeschloss aus dem Gefängnis | |
gesichert ist. | |
## „Belfast war berühmt für Whiskey“ | |
2006 bot ihm ein gescheiterter Geschäftsmann die Whiskey-Marke „Danny Boy“ | |
zum Kauf an. „Der Mann hatte sich den Namen für seinen Whiskey gesichert, | |
nachdem er acht Stunden auf dem Flughafen von Hongkong festsaß, während die | |
gelangweilten Fluggäste ’Danny Boy‘ sangen“, sagt Lavery. „Aber das Ge… | |
kam nicht so schnell herein, wie er erhofft hatte. So bot er mir ’Danny | |
Boy‘ zum Kauf an.“ Das Lied, von einem Engländer vor hundert Jahren | |
geschrieben, gilt in den USA als irischstes aller Lieder. | |
Lavery ließ „Danny Boy“ seitdem bei Cooley’s brennen, der damals einzigen | |
unabhängigen Brennerei Irlands, die inzwischen zu Jim Beam gehört. „Belfast | |
war früher berühmt für seinen Whiskey“, sagt Lavery. „Nirgendwo wurde me… | |
von dem Stoff produziert als hier.“ Ende des 19. Jahrhunderts gab es 18 | |
Whiskeybrennereien in der nordirischen Hauptstadt. Dunville’s zum Beispiel | |
verkaufte fast zwölf Millionen Liter im Jahr. Die Brennerei hatte sogar | |
eine eigene Fußballmannschaft, Distillery F.C., einer der ältesten Klubs | |
Irlands. | |
Nach der Unabhängigkeit des Südens der Insel im Jahr 1922 verbot die | |
britische Regierung jeglichen Import von Whiskey aus ganz Irland, obwohl | |
Nordirland beim Vereinigten Königreich verblieben war. Die Prohibition in | |
den USA machte der Belfaster Whiskeyindustrie endgültig den Garaus. | |
Dunville’s war die letzte Brennerei, sie schloss 1936. | |
„Wir wollen die Tradition wieder aufleben lassen“, sagt Lavery. „In den U… | |
haben wir den Danny-Boy-Whiskey schon recht bekannt gemacht.“ Als er hörte, | |
dass der Besitzer von Foley’s Pub gegenüber des Empire State Building in | |
New York voriges Jahr verboten hatte, jemals „Danny Boy“ in seiner Kneipe | |
zu singen, flog Lavery in die USA. „Foley’s hatte wegen des Verbots jede | |
Menge Publicity erhalten“, sagt er. „Ich schlug vor, unseren Whiskey | |
ausgerechnet dort auf den US-Markt zu bringen, und der Besitzer war | |
einverstanden.“ | |
## Unterstützung von der Regierung | |
Ein geschickter Werbeschachzug, denn erneut gab es große öffentliche | |
Aufmerksamkeit. Der Reklamespruch lautete: „Danny Boy ist bei Foley’s | |
wieder willkommen. Trinkt es, aber singt es nicht.“ | |
Die nordirische Regierung unterstützt Laverys Projekt. „Die Hälfte von | |
denen saß ja auch früher in Crumlin Road ein“, sagt er. „Premierminister | |
Peter Robinson und sein Stellvertreter Martin McGuinness, Ian Paisley und | |
Gerry Adams sowie Irlands früherer Premierminister und langjähriger | |
Präsident Eamon de Valera – alles ehemalige Insassen.“ | |
Einer, der sich mit dem Gefängnis besonders gut auskennt, ist Billy McKee. | |
Der ehemalige Chef der Irisch-Republikanischen Armee (IRA) war in den | |
vierziger, fünfziger, sechziger und siebziger Jahren im Crumlin Road Jail | |
jeweils eine Zeit lang interniert. Inzwischen ist er 92 und ärgert sich, | |
dass die IRA ihre Waffen abgelegt hat. „Er hat gute und schlechte | |
Erinnerungen an den Knast in der Crumlin Road“, sagt Lavery, „aber er hat | |
mir alles Gute gewünscht.“ | |
Ein anderer Ex-IRA-Mann, der heutige Abgeordnete Gerry Kelly, ließ sich von | |
Lavery seine alte Zelle zeigen und sagte, dass er schon damals im | |
Crumlin-Road-Gefängnis Whiskey gebrannt habe – allerdings schwarz. „Wie das | |
Zeug ausgesehen oder geschmeckt hat, weiß ich nicht“, sagt Lavery. „Aber | |
sie brauchten ja etwas, um sich zu betrinken, denn hereinschmuggeln konnte | |
man nichts.“ | |
## Illegal gebrannter Schnaps | |
Lavery will an die Tradition des Schwarzbrennens im Gefängnis erinnern und | |
plant, nebenbei auch Poitín zu produzieren. Das Wort bedeutet eigentlich | |
„kleiner Topf“, aber jeder weiß, dass damit ein illegal aus Kartoffeln | |
gebrannter, farbloser Schnaps gemeint ist, dem früher wundersame Heilkräfte | |
nachgesagt wurden. So sollte er unter anderem „Fleischwürmer töten, die | |
jugendliche Kraft verstärken, den Darmwind pfeifen lassen und das Herz | |
erleuchten“. | |
Lavery wird seinen Poitín natürlich legal herstellen, und einen Namen hat | |
er auch schon. „Den verraten wir aber erst, wenn es soweit ist“, sagt er, | |
aber dann erzählt er es doch: „JHP – Jail House Poitín, early release“. | |
Letzteres kann „Vorabveröffentlichung“ bedeuten, oder auch „vorzeitige | |
Haftentlassung“. In der Gegend um das Crumlin-Road-Gefängnis im Norden | |
Belfasts sind mehr Menschen während des Konflikts getötet worden als in | |
irgendeinem anderen Teil Nordirlands. | |
Noch immer trennen hier hohe Mauern die katholischen und protestantischen | |
Viertel. Lavery will Menschen aus beiden Bevölkerungsgruppen einstellen. | |
„Das Gefängnis soll nicht mehr länger ein Symbol für Menschen ohne Zukunft | |
sein“, sagt Lavery, „sondern für Veränderung und Belfasts große Zukunft.… | |
16 Jun 2014 | |
## AUTOREN | |
Ralf Sotscheck | |
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