# taz.de -- Gepflegt Feiern in Berlin: „Zu Silvester passt Champagner“ | |
> Stefan Weber und Beate Hindermann, Betreiber und Bartenderin der Victoria | |
> Bar, über Berliner Bars und die Poesie der Trunkenheit. | |
Bild: Flasche? Leer! Ist ja Silvester. | |
taz: Frau Hindermann, Herr Weber, es ist Ende Dezember, früher Abend, wir | |
sind etwas angeschlagen. Welcher Drink passt da am besten? | |
Stefan Weber: Oh, in der kalten Jahreszeit natürlich ein Heißgetränk. Statt | |
Grog empfehle ich den Klassiker Whiskey Sour, den gibt es auch in einer | |
heißen Version mit Orangenscheibe, Nelke und Honig, die heißt dann Hot | |
Toddy. | |
Beate Hindermann: Ich bin auch ein bisschen krank. Ich nehme einen „Pick Me | |
Up“, damit geht es einem schnell besser, mein Getränk seit 15, 20 Jahren. | |
Was ist da drin? | |
Hindermann: Das ist ein berühmter Cocktail von 1923 aus Harry’s Bar in | |
Paris. Eine spritzige Mischung auf der Basis von Cognac, dazu kommt | |
Granatapfelsirup, ein paar Tropfen Angostura (ein Bitter, Anm. d. Red.) und | |
eiskalter Champagner. Champagner, sagt man, ist der Wein der Bar. Und zum | |
Jahresende passt der sowieso. | |
Sie betreiben seit 2001 zusammen die Victoria Bar hier in der Potsdamer | |
Straße in Schöneberg. Warum haben Sie Ihren Laden eigentlich nach der | |
Siegesgöttin benannt? | |
Weber: Meine Tochter heißt so. Aber der Name sollte auch eine gewisse | |
klassische Ausstrahlung haben. | |
Hindermann: Und wir wollten einen Namen, der international ist, den man | |
überall versteht. | |
Weber: … und den man auch halb betrunken noch aussprechen kann. | |
Seit zehn Jahren halten Sie hier in der Bar die „Schule der Trunkenheit“ | |
ab, nun gibt es die Lektionen als Buch. Wie läuft so ein Unterrichtsabend | |
ab? | |
Hindermann: Wir komponieren immer ein Getränkemenü um eine Sorte Alkohol | |
herum. Es ist ein strammes Programm, man bekommt fünf Drinks serviert, vom | |
leichten Aperitif bis hin zum alkoholischen Höhepunkt. Und dazu erzählen | |
wir, welche Historie sich hinter den Drinks verbirgt. | |
Wie kam es dazu? | |
Weber: Um die Jahrtausendwende herum gab es eine Bewegung weg von diesem | |
farbstoffgetränkten Zeug, hin zu den Ursprüngen. Das war beim Essen ja | |
genauso. | |
Hindermann: Es war eine Qualifizierungsoffensive, für uns und unsere | |
Stammgäste: Wenn du weißt, was du da trinkst, warum das Getränk so heißt, | |
welche Zutaten verwendet werden und welche Geschichte dahintersteckt, | |
kannst du es ganz anders genießen. | |
Man ist also trunken statt betrunken, wenn man weiß, was man trinkt? | |
Hindermann: Für viele ist der Begriff Trunkenheit negativ besetzt. Aber wir | |
meinen damit eben nicht das Besoffensein, sondern auch etwas Beseeltes, | |
Geistvolles. Trunkenheit ist ja auch ein sehr poetisches Wort. | |
„Gepflegtes Genießen“ eben, wie der Untertitel Ihres Buchs. | |
Hindermann: Ja. Wir fordern die Leute nicht zur Maßlosigkeit oder zum | |
absoluten Rausch auf. Wir fordern sie auf, die Vielfalt der Drinks zu | |
erkunden. | |
Sie machen auch Berlin-Wanderungen. Wieso gehen Sie denn raus aus der Bar? | |
Hindermann: Die Gäste haben mich immer mal gefragt, wo denn dieses oder | |
jenes Lokal war, also habe ich einen Rundgang organisiert – so kann man | |
sehen, wie eng das früher alles beieinanderlag. Ein Abend des Programms | |
widmet sich daher der Berliner Bargeschichte, von den Anfängen der | |
Kaiserzeit bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs. Ich habe Geschichte | |
studiert, mich interessieren die verschiedenen Lokale um 1900, die Cabarets | |
und Literatencafés der 20er Jahre, die Zeit der Tanzpaläste und die | |
Massenvergnügungsstätten der 30er Jahre. Das Epizentrum war damals rund um | |
die Gedächtniskirche. | |
Gibt es eigentlich einen typischen Berliner Cocktail? | |
Hindermann: Meine Recherche ist noch nicht abgeschlossen. Es gibt eine | |
gewisse Likörtradition aus dem Kaiserreich, das reichte bis zu den | |
Kantorowicz-Likören (berühmter Likörfabrikant in Berlin Ende 19./Anfang 20. | |
Jh.; d. Red.). Aber ich fürchte, den Berliner Cocktail gibt es nicht. | |
Sie arbeiten eng zusammen. Wie haben Sie sich eigentlich kennengelernt? | |
Hindermann: In der Weißen Maus am Ludwigkirchplatz, einer ganz kleinen Bar | |
im Stil der 20er Jahre, die es leider nicht mehr gibt. Da habe ich während | |
des Studiums gearbeitet. Stefan war damals in der Harry’s New York Bar. | |
Wenn er Feierabend hatte, kam er immer noch auf einen Drink bei mir vorbei. | |
Als nach der Wende die erste echte Designbar Berlins eröffnete, das war die | |
Bar am Lützowplatz, haben wir dort ab 1990 vier Jahre lang gearbeitet. Ein | |
heißes Lokal, tolle Gäste, Superteam, tolle Drinks. Und in der Zeit reifte | |
bei uns der Gedanke, ein eigenes Lokal aufzumachen. Das wurde 1995 das | |
Green Door am Winterfeldtplatz, nur ein paar hundert Meter von hier. | |
Wieso sind Sie denn nicht nach Ostberlin? Da sind doch alle hin. | |
Hindermann: Ja, es wäre zu der Zeit naheliegend gewesen, in den Ostteil der | |
Stadt zu gehen. Aber wir waren uns sicher, dass wir dort nicht verwurzelt | |
genug sind, um uns wohl zu fühlen und einschätzen zu können, welches | |
Publikum zu uns kommt. Das Green Door wurde unser Gesellenstück – die | |
Victoria Bar ist unser Meisterstück. | |
Na ja, Sie tauchen wirklich in allen einschlägigen Hitlisten auf. | |
Hindermann: Ich meinte es eher im handwerklichen Sinne – wenn man das | |
Gesellenstück fertighat, baut man mit mehr Erfahrung das Meisterstück. Das | |
sollte die Victoria Bar sein. Wir haben uns mit der Zeit einen sehr treuen | |
Kundenstamm erarbeitet. Ich bediene heute Rechtsanwälte oder | |
Schönheitschirurgen, denen ich schon Drinks gemischt hab, als sie noch | |
nicht mal ’nen Führerschein oder ihr Abi hatten. | |
Apropos Gäste: Die Potsdamer Straße hat sich sehr gewandelt, lauter | |
Galerien, Modeläden, die früher in Mitte waren. Kommen jetzt nur noch | |
Hipster? | |
Weber: Nein. Aber es ist doch klar, dass die Leute aus den Galerien auch | |
hier verkehren. Wenn die Vernissagen haben, kommen sie danach hier vorbei. | |
Insgesamt aber hat sich die Sozialstruktur des Bezirks kaum geändert. Wir | |
sind damals hierhergegangen, weil die Bar sowohl von Mitte, Charlottenburg, | |
Schöneberg und Kreuzberg gut zu erreichen ist. | |
Wie hat sich denn das Trinkverhalten der Berliner in all der Zeit | |
gewandelt? | |
Weber: In den 80er und 90er Jahren gab es noch mehr Longdrinks, Drinks mit | |
viel Saft oder Sirupen und Sahne. Als Barkeeper mag man natürlich eher die | |
Sachen, die den Alkohol betonen, also Shortdrinks. | |
Wieso? | |
Weber: Sonst kann ich auch in eine Saftbar gehen. Der Ursprung liegt eben | |
in den Shortdrinks, das begann vor gut 200 Jahren in Amerika, Ende des 19. | |
Jahrhunderts gab es auch die ersten Cocktailbücher. | |
Sie erfinden regelmäßig selbst Cocktails. Wovon lassen Sie sich | |
inspirieren? | |
Hindermann: Wenn man so lange im Geschäft ist, weiß man: Wir erfinden keine | |
neuen Drinks mehr, nur neue Varianten. | |
Weber: Es kommen nun mal neue Aromen auf. Wie Holunderblüte im Zuge des | |
ganzen Bionadezeugs. Parallel dazu kam das auch als Spirituose auf den | |
Markt. | |
Herr Weber steht heute hinter der Bar, Frau Hindermann, Sie haben frei – | |
trinken Sie eigentlich auch Alkohol, wenn Sie hinter der Theke stehen? | |
Hindermann: Nein, das geht natürlich nicht, wir haben hier 120 Drinks auf | |
der Karte mit komplexen Rezepturen – der Barkeeper, der das angetrunken | |
mixen kann, muss erst noch geboren werden. Eigentlich müssten wir | |
Gefahrenzulage bekommen. Als Intro in den Abend gibt es einen schönen | |
Kaffee, dann trinke ich mich einmal durch die ganzen Säfte, später dann | |
Wasser. | |
Wie lange geht denn eine normale Schicht? | |
Hindermann: Wir arbeiten bis drei oder vier Uhr morgens, zum Feierabend | |
gibt’s dann mal ’nen Gin Tonic. Aber man muss sich seine Kräfte schon | |
einteilen, es geht ja am nächsten Tag gleich weiter. Bis ich zu Hause bin, | |
ist es sechs, dann mache ich mir noch eine Kanne Tee. Und bis ich schlafe, | |
wird es in der Regel acht Uhr. Stefan und ich sind so lange ein Team, wir | |
haben uns das ganz gut aufgeteilt. | |
Seit wann machen Sie den Job eigentlich? | |
Hindermann: Schon fast ein Vierteljahrhundert. Im Winter ist es hart, da | |
vergehen manchmal Wochen, ohne dass wir Tageslicht sehen. | |
Wieso gerade dieser Beruf? | |
Hindermann: Abgesehen von der Faszination fürs Nachtleben, die es bei | |
jungen Menschen eben gibt, kam bei mir dazu, dass meine Mutter und meine | |
Oma in der Hotellerie und Gastronomie gearbeitet haben. Der Aufschrei, als | |
ich mein Geschichts- und Publizistikstudium hier in Berlin noch vor dem | |
Hauptstudium abbrach, war dennoch groß. Die Oma war schwer enttäuscht. Sie | |
wusste, wie anstrengend das ist. Sie sagte: Kind, dann musst du immer | |
arbeiten, wenn die anderen frei haben, Weihnachten, Ostern, Silvester? | |
Wie bezeichnet man Sie denn korrekt? Als Bardame wohl kaum, oder? | |
Hindermann: Ursprünglich spricht man von Barmaid. Mit dem Begriff tue ich | |
mich schwer, weil er so altbacken klingt. Bartender oder Barmixer ist | |
besser. Ich habe mir nie viele Gedanken über „Female Bartending“ gemacht. | |
Ich stehe für mich als Person, unabhängig von Geschlecht, Herkunft oder | |
Hautfarbe. Aber es ist immer noch ein männerdominierter Beruf. | |
Sind weibliche Bartender heute akzeptierter als zu Ihren Anfangszeiten? | |
Hindermann: Heute gibt es ein paar mehr Bartenderinnen. Das liegt aber auch | |
daran, dass es mehr Bars gibt, damals waren es in Berlin gerade mal sieben | |
oder acht. Mittlerweile dürfte wohl auch dem Letzten klar sein, dass | |
Barfrauen keine Animierdamen sind. Überhaupt sind Bars inzwischen | |
gesamtgesellschaftlich akzeptierter. | |
Weber: Aber wenn du zur Bank oder zum Vermieter gehst, schauen sie immer | |
noch etwas komisch, wenn du sagst, du arbeitest in einer Bar – auch als | |
Mann. | |
Dass Bars populärer werden, merkt man in Berlin seit einigen Jahren an dem | |
Trend zu Speakeasys, Geheimbars wie zur Zeit der Prohibition. Der Name | |
„Green Door“ war auch eine Reverenz an diese Tradition. | |
Weber: So etwas finde ich extrem lächerlich. | |
Warum lächerlich? | |
Weber: Ich mach mal ein Gleichnis: Das ist genauso wie ein Bistro, in dem | |
die Kellner mit Ringelshirt und Baskenmütze rumlaufen. Das ist Quatsch, das | |
ist eine Mode. Wenn das damals schon so gewesen wäre, als wir die Green | |
Door gemacht haben, hätten wir das nie erwähnt. | |
In Mitte gibt es Flüsterbars wie das Butcher’s und das Buck and Breck, die | |
man nur findet, wenn man weiß, wo sie sind … | |
Weber: Ein Speakeasy ist was Illegales, meines Wissens gibt es in Berlin | |
keine einzige illegale, ernstzunehmende Cocktailbar. Die würden nie von | |
sich selbst behaupten, dass sie Speakeasys sind. Und geheim sind die nicht, | |
sie haben ja sogar eine Homepage. Dass kleine Bars eine Klingel haben, ist | |
nichts Außergewöhnliches. Man will ja nicht, dass da auf einmal eine Horde | |
von 20 Touristen reinkommt. | |
Was sollen wir eigentlich heute trinken? | |
Weber: Champagner. Oder Champagner-Cocktails. | |
Sie machen sowieso erst um halb eins auf. Also geht es an Neujahr gleich | |
weiter mit Schampus? | |
Weber: Klar. | |
Da passt ja auch Ihre Eigenkreation, das Marlene-Dietrich… | |
Weber: … Hildegard Knef! Sie meinen das Hildegard-Knef-Gedächtnis-Gedeck! | |
Das war ’ne Schnapsidee von Beate. In Anlehnung an das bekannte | |
Herrengedeck hat sie das erfunden, als Hilde gestorben ist. Schluck Wodka, | |
Schluck Champagner, zusammen serviert. Das erfreut sich seitdem großer | |
Beliebtheit. | |
31 Dec 2013 | |
## AUTOREN | |
Anne Haeming | |
## TAGS | |
Silvester | |
Berlin | |
Alkohol | |
Silvester | |
Erzählungen | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Irische Geschäftsidee: Whiskey hinter Gittern | |
Wo die IRA-Führung in Haft war, will ein Geschäftsmann nun Hochprozentiges | |
brennen. Das „Alcatraz Nordirlands“ in Belfast soll Touristen anlocken. | |
Silvester-Sause in Berlin: Die Eine-Million-Menschen-Frage | |
Wahrscheinlich feiern ganz offiziell wieder eine Million Menschen am | |
Brandenburger Tor. Diese Zahl ist falsch: Für so viele reicht der Platz gar | |
nicht. | |
Eine Silvester-Erzählung: Das Gute ist das Leben, das man kennt | |
Silvester mit alten Freunden in einem Haus auf dem Land: Das kann | |
grauenhaft schief gehen. Vor allem, wenn plötzlich der kranke Ex-Freund auf | |
der Matte steht. | |
was fehlt ...: ... Silvester |