| # taz.de -- Verfassungsreferendum in Ägypten: Der Tag der Ja-Sager | |
| > Viele Wähler würden am liebsten gleich noch Armeechef Sisi zum | |
| > Präsidenten küren. Die Muslimbrüder boykottieren die Abstimmung. | |
| Bild: „Ja zur Verfassung“: Plakat vor einem Wahllokal in Kairo. | |
| KAIRO taz | Es ist ein Volksfest der Jasager. Mit Postern des ägyptischen | |
| Militärchefs Abdel Fattah al-Sisi stehen sie in Kairo vor den Wahllokalen, | |
| so als stimmen sie nicht für eine neue Verfassung, sondern auch gleich noch | |
| über ihren nächsten Präsidenten ab. | |
| „Ich würde noch tausendmal mit Ja stimmen“, sagt die Hausfrau Neamat Zeini, | |
| die auf einem Stock gestützt aus dem Wahllokal in einer Berufsschule in | |
| Kairoer Stadtteil Imbaba kommt. „Ich kann ja kaum gehen, aber heute zählt | |
| jede Stimme. Vor allem, weil ich Sisi unterstützen möchte. Hoffentlich wird | |
| er Präsident“, fährt sie fort. | |
| „Ich habe mit Ja gestimmt. Endlich haben wir unser Land zurück“, sagt auch | |
| die Lehrerin Azza Adel Halim. Die Verfassung sei tausendmal besser als die | |
| unter dem Muslimbruderpräsidenten Mohammed Mursi, erklärt die voll | |
| verschleierte Frau. Immer wieder betonen die Wähler, sie befürworteten die | |
| Verfassung, weil sie hofften, dass mit deren Verabschiedung endlich Ruhe im | |
| Land einkehrt. | |
| Gut zwei Stunden lang findet sich vor keinem der drei besuchten Wahllokale | |
| jemand, der offen erklärt, er hätte für Nein gestimmt. Nachdem im Vorfeld | |
| mehrere Menschen in Kairo festgenommen worden waren, weil sie für eine | |
| Neinstimme geworben hatten, hält sich dieser Teil der Bevölkerung mit | |
| öffentlichen Äußerungen offenbar zurück. | |
| ## Eine unabhängige Wahlbeobachtung gibt es nicht | |
| Der Widerspruch zur neuen Verfassung drückt sich ohnehin eher darin aus, | |
| erst gar nicht wählen zu gehen. Die Muslimbruderschaft und die | |
| Anti-Putsch-Bewegung hatten im Vorfeld zu einem Boykott aufgerufen. So | |
| dürfte die Wahlbeteiligung ein wichtiger Gradmesser dafür werden, ob die | |
| Armee und die Übergangsregierung durch das Referendum erstmals seit dem | |
| Putsch ein demokratisches Mandat bekommen. Das ist wohl auch der Grund, | |
| warum die Armee in einem bisher einzigartigen Vorgang gepanzerte Fahrzeuge | |
| herumschickte, die per Lautsprecher die Menschen dazu aufriefen, ihre | |
| Stimme abzugeben. | |
| Da es keine flächendeckende unabhängige Wahlbeobachtung gibt, dürften nach | |
| dem Referendum die offiziellen Angaben zur Wahlbeteiligung schnell von den | |
| Gegnern der Abstimmung in Zweifel gezogen werden. Die Beteiligung ist | |
| schwer abzuschätzen. In den Morgenstunden hatten sich vor manchen | |
| Wahllokalen in Kairo lange Schlangen gebildet, die dann aber im Laufe des | |
| Tages kürzer wurden. | |
| Dabei wurden die Wahllokale unterschiedlich stark besucht. Vor der | |
| Gawad-Honsi-Schule in Imbaba stand mittags eine Schlange von 40 Wählern. | |
| Die Schule liegt nur gute hundert Meter von einem Gerichtsgebäude entfernt, | |
| vor dem am Morgen zum Auftakt des Referendums ein Sprengsatz explodiert | |
| ist, der nur Sachschaden angerichtet hatte. | |
| ## Der Westen soll die Finger von Ägypten lassen | |
| „Weg mit den Muslimbrüdern“, und „Wir sind gegen Terror“, ruft ein kle… | |
| Häuflein von Demonstranten und schwingt ein paar Sisi-Plakate vor dem | |
| Gerichtssaal. Die Wähler in der Schlange vor der benachbarten Schule geben | |
| sich trotzig. Sie lassen sich nicht durch Bomben abschrecken, sagen sie. | |
| „Ich möchte, dass der Westen endlich die Finger von Ägypten lässt“, gibt | |
| der in der Schlange stehende Anwalt Ahmed Abdel Aal die seit Wochen von den | |
| Medien aufgeheizte nationalistische Stimmung wider. Im Westen stünde man | |
| doch auf Wahlurnen und dort sagen sie, das Militär habe geputscht. „Darum | |
| drücken wir dem eben jetzt einen demokratischen Stempel auf“, sagt er. | |
| ## Ohne politische Aussöhnung wird das Land nicht zur Ruhe kommen | |
| Nur fünf Autominuten liegt, ebenfalls in Imbaba, eine Berufsschule für | |
| Krankenpflege, die als Wahllokal dient. Dort herrschte mittags gähnende | |
| Leere. Alle paar Minuten schlendern einzelne Wählerinnen gemächlich über | |
| den Schulhof. „Warum kommt ihr ausgerechnet hierher?“ fragt denn auch der | |
| Offizier am Eingang. Woanders gäbe es sicher mehr Wähler zu sehen. | |
| Vereinzelt kommt es am Nachmittag zu gewalttätigen Auseinandersetzungen | |
| zwischen Sicherheitskräften und Anhängern Mursis, bei denen bis zum | |
| Redaktionsschluss mindestens fünf Menschen ums Leben kamen. | |
| Auf dem Weg zurück vom letzten der besuchten Wahllokale schüttelt Mahmud, | |
| ein 65-jähriger Taxifahrer, den Kopf über den Wahltag. Er sei kein Anhänger | |
| der Muslimbrüder, aber er werde trotzdem nicht wählen gehen, erklärt er. | |
| „Sie können so viele Referenden und Wahlen ansetzen, wie sie wollen“, sagt | |
| er. „Solange es keine Aussöhnung gibt, wird dieses Land nicht zur Ruhe | |
| kommen.“ | |
| 14 Jan 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Karim Gawhary | |
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