# taz.de -- Demonstranten vom Maidan in Kiew: „Ich will und werde nicht schwe… | |
> Viele Menschen auf Kiews umkämpftem Platz trauen weder der Regierung noch | |
> der Opposition. Sie kämpfen schlicht für ihre Rechte. | |
Bild: Protest mit der Trommel, statt mit Steinen und Molotowcocktails. | |
KIEW taz | Wenn man aus der Metrostation „Maidan Nesaleschnosti“ in Kiew | |
kommt, hat man das Gefühl, als befände man sich nicht in der Ukraine, | |
sondern in einem anderen Land – einem Land, in dem die Menschen immer | |
bereit sind, einander zu helfen. Doch das gilt nur für die eine Seite der | |
Barrikaden. Auf der anderen wird gekämpft, es gibt Tote und Verletzte. Die | |
Ukrainer verteidigen ihr Recht auf ein Leben in einem freien Land. Frauen | |
und Kinder werden in der Regel nicht auf den Maidan gelassen, sondern nur | |
Personen, die bereit sind zu kämpfen, und Journalisten. | |
Der Maidan und die Hauptstraße Kiews, der Chreschtschnyk, sind überfüllt | |
mit Zelten und Demonstrierenden. Trotz des spartanischen Lebens der | |
Protestler, die sich dort selbst versorgen, und trotz der vielen Leute ist | |
der Maidan erstaunlich sauber, viel sauberer als noch zu „Friedenszeiten“, | |
als die Stadt für seine Reinigung verantwortlich war. Jetzt räumen die | |
Demonstranten selber auf. | |
Der Maidan ist praktisch eine Stadt in der Stadt, umgeben von bewachten | |
Barrikaden. Vorbeikommende werden relativ herzlich empfangen. Dennoch gibt | |
es Posten, die den Zugang zu den wichtigsten Orten bewachen – dem „Stab“, | |
der Klinik, der Küche und dem Pressezentrum. | |
Die Leute akzeptieren diese Kontrollen. Die verhindern, dass Provokateure | |
der Regierung durchschlüpfen, wie es schon mehrfach versucht wurde. | |
Außer den ständigen Anwohnern kommen viele Kiewer nach der Arbeit auf den | |
Platz. Einige sind einfach so da, andere unterstützen die Demonstranten mit | |
Lebensmitteln und Medikamenten, wieder andere helfen beim Bau der | |
Barrikaden mit. Nach ihrer Schicht im Krankenhaus behandeln Ärzte | |
Demonstranten. Fast niemand hat Angst vor Kampfhandlungen, die Leute sind | |
sehr entschlossen. | |
## Egal, was die Opposition sagt | |
Igor, der aus Lwiw angereist ist, ist schon einige Tage auf dem Maidan. | |
Seine Eltern waren gegen seine Reise nach Kiew, sie haben Angst um sein | |
Leben – er ist erst 19. „Als ich im Fernsehen gesehen habe, was die | |
Regierung anrichtet, konnte ich nicht mehr still sitzen“, berichtet er. | |
„Ich bin hier, weil ich das jetzt für das Wichtigste im Leben halte.“ Es | |
interessiere ihn nicht, was die Opposition sagt: „Die will nur selber die | |
Macht an sich reißen. Ich bin hier für meine Freiheit und weil ich in einem | |
Land leben möchte, in dem ich Rechte habe, die eingehalten werden“, sagt | |
Igor: „Ich will und werde nicht schweigen.“ | |
Galina stammt aus dem Gebiet Ternopolsk und lebt schon seit fast zehn | |
Jahren in Kiew. Sie hat einen guten Job, eine heranwachsende Tochter und | |
eine eigene Wohnung. Nach der Arbeit fährt sie jeden Tag zum Maidan. „Wenn | |
ich ins Büro komme, merke ich, dass ich mich gar nicht konzentrieren kann. | |
Ich weine oft und kann nicht schlafen. Ich will nicht, dass meine Tochter | |
in einem Land aufwächst, wo sie von Milizionären im Hinterhof vergewaltigt | |
und umgebracht werden kann, und die dann behaupten, sie sei versehentlich | |
gestorben.“ | |
Alina ist ehemalige Journalistin, die ihren Beruf nach der Geburt ihres | |
Kindes aufgegeben hat. Sie hatte eigentlich nicht vor, auf den Maidan zu | |
gehen. „Mein Mann rief mich an und sagte mir, er hole mich gleich von der | |
Arbeit ab“, erzählt sie. Er kam aber zwei Stunden später, weil er in | |
Werkstätten 21 alte Reifen für die Barrikaden gesammelt hatte. | |
Sie fuhren zum Maidan. „Ohne Helm war es mir dort mulmig zumute“, sagt sie | |
„Ich habe vergeblich versucht, bei vorbeifliegenden Granaten nicht | |
zusammenzuzucken. Ich bin eben ein Angsthase.“ Auf dem Heimweg hielt sie | |
unwillkürlich nach Reifen Ausschau. „Der Maidan hat mich gelehrt, weniger | |
feige zu sein.“ | |
Fast alle Demonstranten auf dem Maidan sind einfache, nicht politisierte | |
Leute, Manager, Kellner, Dienstleister. Sie glauben weder den Regierenden | |
noch den Oppositionellen. Sie haben nur ein Ziel: Janukowitsch und seiner | |
Bande in den Hintern zu treten. Da der Präsident sich aber nicht auf dem | |
Platz blicken lässt, müssen jetzt Polizisten und Sondereinheiten dafür | |
herhalten. | |
23 Jan 2014 | |
## AUTOREN | |
Andrej Nesterko | |
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