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# taz.de -- Jacobs-Museum mit neuem Konzept: Das ganze Aroma
> Der Ex-documenta-Leiter Roger M. Buergel will das einst biedere
> Kaffee-Museum in Zürich zu einem globalisierungskritischen
> Vorzeigeinstitut umgestalten.
Bild: Die Grundlage des Jacos-Erfolgs: Kaffeebohnen.
Am Ufer des Zürichsees promenieren die Sonntagsspaziergänger, Segelboote
dümpeln in ihren Winterquartieren. Von der Villa des Johann Jacobs Museums
hat man einen prächtigen Ausblick auf das Geschehen. Flach und grau liegt
der See da, der gegenüberliegende Uetliberg ist im Hochnebel verschwunden.
Den Weg in die 1913 im Berner Landhausstil errichtete Villa am Seefeldquai
weist ein Schild mit ungewohnt ungelenken Großbuchstaben. „Johann Jacobs
Museum“ steht da am schmiedeeisernen Zaun von Hausnummer 17.
„Die Schweizer haben eine sehr starke Designtradition“, sagt Roger M.
Buergel, „auf Schrift und Typografie reagieren sie am schnellsten.“ Und
schnell, sehr schnell, wenn es nach Buergel geht, sollen die Besucher hier
am vornehmen Seefeldquai merken, dass sich etwas geändert hat. Was heißt
etwas? Alles! Buergel, der frühere Documenta-Leiter, ist Gründungsdirektor
des seit Herbst neu gestalteten Johann Jacobs Museums, einer Einrichtung,
die der Jacobs Foundation untersteht.
Konzernchef Klaus J. Jacobs, genannt KJJ, hatte die Villa einst erworben
und hier 1984 das Jacobs Suchard Museum einrichten lassen – Kaffee und
Schokolade, Markenpflege handsome und smart. Mit dem Verkauf der Jacobs
Suchard AG 1990 änderte man den Namen in Johann Jacobs Museum, nach dem
Ahnherrn der ursprünglich norddeutschen Kaffeedynastie.
Johann Jacobs hatte 1895 in Bremen ein Geschäft für „Caffee, Thee, Cacao,
Chocoladen und Biscuits“ gegründet und somit den Grundstein für eines der
mächtigsten Familienimperien der Welt gelegt. Deren verschiedene
Konzernzweige – unter anderem Adecco (Zeitarbeit) und Barry Callebaut
(Schokolade) – werden heute von der Jacobs Holding in Zürich geführt.
„Als ich hier ankam, wirkte es sehr muffig“, sagt Direktor Bürgel. Ähnlich
empfanden das wohl auch die Erben des letzten großen Familienpatriarchen
Klaus J. Jacobs. Der ließ sich noch 2007 in „Der Jacobs Weg. Die
autorisierte Biografie des Unternehmers Klaus J. Jacobs“ (Verlag Orell
Füssli) von zwei Auftragsschreibern ins rechte Licht rücken und mögliche
Schatten der Vergangenheit wegretouchieren. Klaus J. Jacobs galt als
kompromissloser Geschäftsmann, der 1973 aus Groll gegen sozialliberale
Koalition und deutsche Steuerbehörden den Firmensitz von der Bundesrepublik
in die Schweiz verlegte. Er starb 2008.
## Umfassender Neustart
Seine Erben bemühten sich um einen Neuanfang auch im Kaffeemuseum. Und sie
entschieden sich für, wie es Roger M. Buergel nennt, die „große Lösung“,
also eine umfassende Neukonzeptionierung des Museums. Vieles spricht nun
für einen selbstkritischeren Umgang mit der eigenen Geschichte, Kaffee ist
schließlich ein Rohstoff, an dessen Produktion wie bei Erdöl zunächst das
unfreundliche Zeitalter des Imperialismus klebt.
Man ließ also im Hause Johann Jacobs nicht nur die alten Teppiche
zusammenrollen und die Kegelbahn im Keller zugunsten eines
Ausstellungsraums für konzeptionelle Kunst entfernen. Die herrschaftliche
Villa am See wurde von den Basler Architekten Miller & Maranta zu einem
offenen Haus umgestaltet, das in einem raffinierten Spiel das Vorgefundene
neu inszeniert, die großbürgerliche Herkunft nicht leugnet, aber
entschieden andere Betonungen setzt.
In einem der repräsentativen Räume im Erdgeschoss ist nun die Bibliothek
Klaus J. Jacobs untergebracht. Der Unternehmer ließ Bücher rund um den
Kaffee kaufen und sammelte sie. Eindrucksvoll reihen sich die historischen
Ausgaben in schmucken Einbänden bis unter die Decke, vor Staub durch
verglaste Bücherschränke geschützt, maßangefertigt aus Tropenholz wie man
meinen könnte.
Doch das Holz ist irgendwo von hier und lediglich dunkelbraun lasiert, wie
Buergels Mitarbeiterin Sophia Prinz erklärt. Also ein Spiel mit Wirkung und
Vorstellung von Patina. Die Bibliothek selbst ist noch völlig unsortiert,
harrt noch der Aufarbeitung, wie Buergel sagt.
Auch der zentrale Raum der Villa, der erste, den man nach dem Eingang
betritt, erscheint licht und repräsentativ. Er beherbergt die
Antiquitätensammlung Klaus J. Jacobs. Über Händler in London, so Buergel,
ließ Jacobs wertvolles Porzellan mit Verzierungen und (nicht nur)
exotischen Darstellungen kaufen, aber auch Dosen, Schöpflöffel, metallene
Kannen oder frühe Espressomaschinen.
Buergel hat die Funde aus Jacobs Sammelwelt zu einem „Fries“ gestalten
lassen. Auf einem blauen Farbband sind nun die Jacobs’schen Trouvaillen
rings ums Zimmer am oberen Teil der Wände und unterhalb des Stucks
versammelt und befestigt. Tapete und Ornament einer noch zu erforschenden
Welt konkreter Symbolik.
## Deren und Lina Bo Bardi
Einzelne Gegenstände werden zum Ausgangspunkt künftiger Ausstellungen
werden, sagt Buergel. Nicht in einem exotischen und nicht in einem rein
dokumentarischen Sinne will er das verstanden wissen. Buergel nutzt die
alten Handelsrouten und das klischee- oder fetischhafte Sammeln
kunstgewerblicher Alltagsgegenstände für eine eher dekonstruktive,
ikonografische Beschäftigung, auch wenn er sich nicht allein auf diese
festlegen lassen möchte. Statt falscher Ehrfurcht vor dem Vorgefundenen
setzt er auf eine eigene Ästhetik.
Fasziniert steht Buergel vor einer Voodoofahne aus der
Eröffnungsausstellung. Die Avantgardefilmerin und Anthropologin Maya Deren
hatte sie von einer ihrer Reisen aus Haiti Ende der 1940er mitgebracht.
Deren nahm an Voodoo-Zeremonien teil und bewahrte Filme darüber in
Kaffeedosen auf, ungeschnitten wie Buergel erzählt. Wortreich kann er die
Symbolsprache der Voodooflagge erklären und sich wie Deren für deren
schlichte Schönheit begeistern.
Buergel scheint an Deren die Bereitschaft zur Aufnahme von globalen und
lokalen Traditionen zu interessieren, eine Öffnung der klassischen Moderne,
wie sie auch die italienische Architektin und Designerin Lina Bo Bardi
betrieb. Bo Bardi wanderte 1947 nach Brasilien aus. Sie brach ihre
sagenhaft modernistischen Glas- und Betonbauten auf, indem sie lokale
Ästhetiken und die Umgebung in die Gestaltung mit einbezog.
## Sammlung des Museu de Arte Popular
Buergel deutet auf die Kopie eines Fotos einer aus einer roten Öldose
gefertigten Henkeltasse. Im Sommer will er Lina Bo Bardis berühmte und von
der Militärdiktatur 1964 zur Seite geräumte Sammlung des Museu de Arte
Popular aus Salvador do Bahia im Johann Jacobs Museum rekonstruieren und
zeigen. Vier Jahre habe er dazu bereits recherchiert.
Doch bevor er Bo Bardis Sammlung den Zürchern präsentiert, möchte er etwas
Analytisches einstreuen. Bo Bardis Sammlung von Alltagskultur aus den
1960er Jahren soll auf keinen Fall „ein zu eins“ rüberkommen, so der
Direktor, auf keinen Fall als ein authentischer und bestaunenswerter neuer
Kunstfetisch.
Komisch, man nimmt ihm das ab. Auch, dass er in dieser Schweiz der
geflohenen deutschen Steuersünder die idealen Voraussetzungen dafür
gefunden hat, hier am territorialen Verwertungsende so vieler globaler
Handelswege, unaufgeregt eine kritische Wissens- und Kunstpraxis zu
betreiben. Und das mittels dieser salonhaft eingerichteten Räume in der
Museumsvilla am Zürichsee.
Auf einem Tischchen steht ein angeschnittener Schoko-Nuss-Gugelhupf, an
einem anderen Tisch versenkt sich eine Besucherin in einen
Bo-Bardi-Katalog. Und das Museumspersonal bietet – zumindest heute – ein
Tässchen Kaffee an. Mit dem Blick durch die Verandafenster auf den See
könnte man glauben, Teil einer privaten Verabredung zu sein. Irgendwie
irritierend.
26 Jan 2014
## AUTOREN
Andreas Fanizadeh
## TAGS
Zürich
Museum
Kaffee
Eurozentrismus
Jacobs University
Starbucks
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