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# taz.de -- Viel Wirkung auf wenig Fläche: Der Geist der Kunst im Hinterhof
> Zig Kulturinstitutionen in Bremen, Niedersachsen, Köln, Frankreich und
> Seoul begehen das 20-jährige Bestehen des Bremer Künstlerhauses am Deich:
> Die vielleicht unbekannteste Kulturinstitution der Stadt ist nämlich
> wichtig - für die Kunst
Bild: Mit einem Koffer aus Bremen in die weite Welt: Tramperin im Dienste der K…
BREMEN taz | Das klingt doch jetzt bombastisch, oder? Mit 45 oder noch mehr
Ausstellungen, mit einem Grußwort der Kulturstaatsrätin und mit einem Tag
der offenen Ateliers, heute, von 19 bis 24 Uhr, begeht das Bremer
Künstlerhaus am Deich sein 20-jähriges Bestehen. Noch einmal: 45!
Ausstellungen – meine Herren. So was kann nur ein großer Kulturtempel
wuppen – und das ist schon mal der falsche Eindruck. Denn das Künstlerhaus
am Deich ist eher das Gegenteil. Es ist klein. Und es ist weitgehend
selbstverwaltet. Und sein Ruhm …
Ruhm hat interessante Indikatoren: Er ist ja sehr vergänglich. Während der
drei Jahre, als Susanne Pfeffer die Galerie führte, merkten die
Großfeuilletons bei jeder Ausstellungsankündigung auf. Sie schickten
Personal in den Hinterhof auf der Bremer Neustadtseite, etwa um Marc
Weischers erste Solo-Ausstellung zu bewundern, und hatten ihre Aufregung
selbst schon wieder vergessen, als die Kuratorin mit der untrüglichen
Intuition –schwupp! – von den viel größeren Kunstwerken Berlin abgeworben
worden war.
Bremens "unbekannteste Kulturstätte"
Zum anderen heißt Ruhm, dass auf jedes Detail faktischer
Geschichtsschreibung pedantisch gelinst wird, von den Siegelbewahrern und
vom Schwarm der Schwärmer. Und je größer er ist, desto genauer. Von diesem
Gesetz lässt sich ableiten, dass der Satz wahr geblieben ist, mit dem die
taz das Künstlerhaus schon 1991 charakterisiert hat, dass es nämlich die
„unbekannteste Kulturstätte Bremens“ sei.
Ein Satz voller Zuneigung, übrigens, und geschrieben im Rückblick aufs
zweijährige Bestehen der Institution sowie auf weitere zwei Jahre der
Vorbereitung: 1987 hat Bremen in Person des Kultursenators Horst Werner
Franke das Gebäude einer Edelholzfirma erworben, für 1,75 Millionen D-Mark,
und um die Kunstszene dafür zu entschädigen, dass ihr angestammter Spiel-
und Arbeitsplatz, der Teerhof, also die Weser-Insel vis-à-vis der City,
bebaut werden sollte. Dazu gab’s noch eine Viertelmillion Zuschuss für den
Umbau der anderthalb gekostet hat. Nun feiert’s, 25 Jahre danach, sein
20-jähriges Bestehen, weil es vor zehn Jahren Zehnjähriges gefeiert hatte.
So viel nur, um sich eine Vorstellung von der Größe seines Ruhms zu machen.
Vier Mark warm für die Kunst
Bitter? Es geht so. Denn das Konzept des Künstlerhauses nimmt Ruhm zwar in
Kauf, für die Galerie. Aber er ist nicht entscheidend. Die Hauptsache sind
die Werkstätten und 14 Ateliers zur sensationell günstigen
Quadratmetermiete von vier Mark warm gewesen, und daran hat sich, außer
Währungswechsel und Inflationsausgleich, nix geändert. Weil es nach wie vor
deutlich mehr Nachfrage als Räume gibt, werden die Räume immer noch von
einer Fachjury vergeben. Und sie sind weiterhin befristet auf fünf, mit
Verlängerung maximal sieben Jahre.
Eine einzige Ausnahme ist jemals gemacht worden, nämlich bei Gustav
Gisiger, der vom Theater gekommen war, ein Schauspieler, der dann auch als
Regisseur, Projektionsdesigner, Lichtmaler und Aktionskünstler wirkte, der
die Bremer Szene aufmischte, und Ideen hatte, die viel zu groß waren, für
diese Stadt. Er ist 2002 gestorben, und sein Atelier war seit 1989 im Haus
am Deich gewesen, weil er es ja gemeinsam mit dem Grafiker Horst Griese
erfunden hatte.
Dieses Haus ist also kein Kulturtempel. Eher ist es Teil einer Matrix,
Knotenpunkt einer sich verzweigenden Struktur, die man als Bremen based
Kunst bezeichnen mag.
Dieses Netzwerk ist selten so sichtbar wie jetzt: Denn von den mehr als 40
Ausstellungen zum Jubiläum findet natürlich nicht mehr als eine in der
160-Quadratmeter Galerie statt: Andree Korpys und Markus Löffler – ein Duo,
das sonst Häuser wie die Wiener Secession, die Nationalgalerie in Warschau
oder das Münchner Lehmbruck-Museum bespielt – haben gemeinsam mit Dieter
Schmal den „Geist“ des Künstlerhauses eingefangen – und zeigen ihn auch
dort.
Die anderen Ausstellungen aber werden von großen und kleinen
Kunstinstitutionen in und um Bremen ausgerichtet, die sich dem
Kreativzentrum verbunden wissen: Von der Städtischen Galerie Delmenhorst
übers Syker Vorwerk bis zum Kasch in Achim, die großen Bremer Kunstmuseen
und das kleine Atelierhaus Roter Hahn im Arbeiterstadtteil Gröpelingen.
Und das Netz reicht weiter bis Göttingen, Köln, Strasbourg und sogar Seoul:
In der Hanbit Media Art Gallery und simultan in der Bremer Gesellschaft für
Aktuelle Kunst und dem Weserburg-Museum performt Kyungwoo Chun. Der zählt
zu den weltweit am steilsten aufstrebenden Foto- und Video-Künstlern:
Zwischen 2002 und 2009 hatte der ein Atelier mit Blick auf den toten
Weserarm in Bremen.
Die Internationalität der Exmieter
Eine Reihe Exmieter sind mittlerweile international gefragte Größen, die
nur verbindet, dass sie mal im selben Haus gearbeitet haben: Nie gab’s dort
eine gemeinsame ästhetische Richtung. Und komplett verschieden waren auch
die drei im Laufe der Jahre für die Galerie zuständigen Kuratorinnen, und
eben Griese, der Mann des Anfangs:
Die erste offizielle Ausstellung war die Installation „Weitergehen“ des
diesen Januar gestorbenen hannoverschen Bildhauers Hans-Jürgen Breuste,
gestaltet aus rostigen Pressformen und anderen Fundstücken vom Gelände der
Batterie-Fabrik in Stöcken, wo einst Zwangsarbeiter untergebracht waren.
Eröffnung war am 28. Juni ’91. Ein schwermütiger Beginn – mit wuchtiger
Dynamik.
Grieses Nachfolgerin stand dann eher für einen platzsparenden
mentalgymnastischen Ansatz: Höhepunkt ihrer Ära war eine Schau, bei der als
Star ein externer Kurator gewonnen wurde: Roger M. Buergel. Sie hieß „Das
Privatleben der Werder-Spieler“, hatte mit dem aber nichts zu tun und
hätte, wie Buergel informierte, nur deshalb nicht „Leckt mich doch alle am
Arsch!“ heißen können, weil er sein Publikum so vulgär nie adressiere.
Die Galerie ist eine kuratorische Herausforderung geblieben: „Man gewöhnt
sich daran, mit der Ungewissheit umzugehen“, sagt die aktuelle Kuratorin
Stephanie Böttcher über die Situation des Hauses: Die Kunst, dort
Ausstellungen zu machen, besteht darin einerseits den Etat zu vervielfachen
– und andererseits in einer radikalen Konzentration, einer Beschränkung
auf, na, sagen wir: nicht mehr als zwölf Exponate.
Das heißt auch: Jedem einzelnen kommt mehr Gewicht zu. Es erhält Bedeutung,
eine schwer kalkulierbare Wucht. Und wo das glückt, kann das zu
intensivsten Kunst-Erfahrungen führen, zum Schock und bleibender
Erinnerung, wie der an jenes abgefuckte, grüne Karteischränkchen, das die
Schwedin Sophia Hultén auf einem Flohmarkt aufgelesen hat. Sie restaurierte
es nach allen Regeln der Kunst, versetzte es zurück in den ruinösen Zustand
des Fundstücks und wuchtete es in die Mitte des Raums.
„Die Kunst ist ein Schrank“, hatte schon Daniil Charms einst erkannt. Und
das Bremer Künstlerhaus am Deich ist ein Ort, an dem man erfahren kann,
mitunter, dass dieser Satz nicht nur Nonsens ist, sondern wahr. Obwohl sein
Autor verhungert ist.
## Vernissage Korpys/ Löffler: Geist und Offene Ateliers: 14. 9., 19 Uhr.
Weitere Infos und das komplette Jubiläums-Programm:
13 Sep 2012
## AUTOREN
Benno Schirrmeister
## TAGS
Bremen
Zürich
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nun schon die zweite Ausstellung.
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