# taz.de -- Interview mit Judith Holofernes: "Ich muss aus der Hüfte schießen" | |
> Judith Holofernes ist keine Heldin mehr, sondern Solokünstlerin. In Kürze | |
> erscheint ihr Album "Ein leichtes Schwert". Ein Gespräch über den | |
> Abschied von der Band, Kreuzberg und Rio Reiser. | |
Bild: "Berlin ist die einzige bezahlbare Hauptstadt, die ich kenne, und das ver… | |
Ein sonniger Tag in der Hasenheide. Frühling im Januar. Ein Hippie-Pärchen | |
jongliert mit Bällen, Schulkinder cruisen mit ihren Fahrrädern durch den | |
Park. Judith Holofernes hält ein Diktiergerät in der Hand und beantwortet | |
im Gehen die Fragen des Interviewers. Weil sich „Frau Holofernes“ oder | |
„Frau Holfelder-Roy“ komisch anhört, beschließt man, sich zu duzen | |
Judith Holofernes: Danke, dass wir spazieren gehen können. | |
taz: Kein Problem. Wenn du lieber im Laufen sprichst. | |
Ich kann draußen manchmal besser denken. | |
Zurzeit kommst du ja viel an die frische Luft. Neulich bist du als Ritter | |
und Pferd durch Berlin gehüpft, habe ich in dem Video zu deinem neuen Album | |
„Ein leichtes Schwert“ gesehen. | |
Der Dreh war lustig. Die Leute haben das Pferd so schamlos angegafft, es an | |
den Hintern gefasst, das war abenteuerlich. Die hatten keine | |
Berührungsängste: „Is det niedlisch! Kuck ma, de Hufe! Kannste ooch | |
Galopp?“ An der Mediaspree war interessanterweise der einzige Ort, an dem | |
wir weggejagt wurden: „Haben Sie eine Drehgenehmigung?“, hat uns da so ein | |
Wächter gefragt. Hatten wir natürlich nicht. | |
Hast du dabei neue Ecken von Berlin kennengelernt? | |
Ja, die Britzer Mühle kannte ich nicht. Wir haben extra recherchiert, wo es | |
Mühlen gibt. | |
„Ein leichtes Schwert“ heißen der Song und auch das Album. Wie kam es zu | |
dem Titel? | |
Erst mal gab es das Lied. Als ich einmal Ärger mit einer Marketing-Agentur | |
hatte, habe ich zu Pola, meinem Mann, gesagt: „Ich muss künftig wieder ein | |
leichteres Schwert führen.“ Ich denke, dieser Ausdruck passt einfach zu | |
mir, wie ich so rolle (lacht). | |
Wie du so rollst? | |
Um gut zu sein in dem, was ich mache, und gleichzeitig glücklich zu sein, | |
muss ich sehr aus der Hüfte schießen – spontan sein, begeisterungsfähig und | |
leichtfüßig. Und ein leichtes Schwert ist auf jeden Fall ein | |
schlagkräftiges Schwert, ein präzises, schnelles. | |
Was waren denn die schwersten Kämpfe, die du in den letzten Jahren | |
ausgefochten hast? | |
Eine Band loszulassen, an der ich wahnsinnig hing. Und nicht nur ich, | |
sondern auch ein paar andere Leute. An der Band war nichts zerrüttet – und | |
ich musste mich doch davon losreißen. Das war ein harter innerer Kampf. | |
Warum wolltest du Wir sind Helden auf Eis legen? | |
Ich hab mich abgekämpft. In den letzten Festivalsommern war ich eigentlich | |
schon müde und traurig, habe mir aber lange was vorgemacht. Es fühlte sich | |
einfach nicht mehr gut an. Gleichzeitig ist man in einem Beruf, den man | |
liebt und doch toll finden will. Aber wenn man merkt, es fühlt sich nicht | |
mehr richtig an, sollte man es nicht herauszögern. Immerhin haben wir zwölf | |
Jahre gemeinsam Musik gemacht. | |
Du hast zuletzt viel über Kreuzberg gebloggt und bist dem Stadtteil sehr | |
verbunden. Welches sind denn die wichtigsten Kämpfe, die hier zurzeit | |
ausgefochten werden? | |
Was mich ärgert, sind die vielen oberflächlichen Scharmützel und dass viele | |
Leute zu viel Energie auf die falschen Feindbilder verschwenden. Zum | |
Beispiel werden aus dem sehr gerechtfertigten Gefühl heraus, dass in der | |
Mietpolitik einiges schiefläuft und Bevölkerungsteile verdrängt werden, | |
falsche Schlüsse gezogen: Dann laufen Leute mit Jutebeuteln rum, auf denen | |
„Ausländer raus“, nee, sorry, „Touristen raus“ steht. | |
Im Hamburger Schanzenviertel hat sich an einem dieser „Kauf Dich | |
glücklich“-Shops der ganze Frust der Gentrifizierungsgegner entladen: keine | |
Scheibe mehr heile, zig Farbbeutelattacken. Wissen die nicht, wohin mit | |
ihrer Wut? | |
Am Ende des Tages sind viele Leute auch einfach nicht so schlau. Es gibt ja | |
die passenden Feindbilder. Warum bündelt man die Kräfte nicht dagegen und | |
hält sich mit dieser Zeichensprache auf? Ich wäre dafür, dass man ganz | |
oldschool das Wort „Spekulanten“ revitalisiert und sich mit dem Kern des | |
Problems beschäftigt. Und sich darüber klar wird, dass es keine coole Art | |
gibt, „Ausländer raus“ zu sagen, ob das nun spanische Hipster sind oder | |
sonst etwas. Oh sorry, noch so ein Ärgerniswort. | |
Was ist daran ein Ärgernis? | |
Ach, letztendlich sind Hipster sowas von egal, und auch Latte | |
macchiato-Muttis sind so was von egal im Vergleich zu anderen Dingen. | |
Manchmal hab ich das Gefühl, es bleibt eine Gartenzaunmentalität in den | |
Leuten, egal wie links, Indie oder was auch immer sie sich geben. | |
Und wie geht es Kreuzberg sonst so? Was war dir persönlich noch wichtig? | |
Das Thema Mietpreise ist mir wirklich wichtig. Weil ich aus eigener | |
Anschauung sagen kann, dass Berlin einzigartig – wirklich einzigartig! – | |
darin ist, wie man hier über Jahre hinweg Kunst machen kann, auch verquere | |
Kunst, und sich nicht voll der Erwerbstätigkeit verschreiben muss. Und | |
nicht früh aufgeben muss, weil man doch lieber den IT-Job nimmt. Das ist | |
für mich das hervorstechendste Merkmal Berlins. Es ist die einzige | |
bezahlbare Hauptstadt, die ich kenne, und das verlieren wir gerade. Vor ein | |
paar Jahren habe ich das noch nicht geglaubt, mittlerweile aber schon. Na | |
ja, es gibt vieles, was mich bewegt, die Schulpolitik etwa bewegt mich | |
natürlich auch – spätestens, seit ich Kinder habe. | |
Dein Sohn ist gerade eingeschult worden, oder? Und hat eine SPD-Schultüte | |
gekriegt, wie du im Blog schreibst. | |
Ja, Heidewitzka. Die verteilen an den Schulen Werbematerialien – an den | |
Eltern vorbei. | |
Aber das meintest du nicht mit Schulpolitik? | |
Die Regelung mit den Einzugsgebieten ist eine Katastrophe. Die sind viel zu | |
eng, die schaffen echt Gettos. Wenn du ’nem Skandinavier erzählst, wie das | |
bei uns läuft, der würde es nicht glauben. Da brauchen wir uns nicht | |
wundern, wenn Kinder nicht aus ihren Milieus herauskommen. Das geht so | |
nicht, in einer Stadt, die Gott sei Dank so inhomogen ist. | |
Inwiefern hast du das selbst mitgekriegt? | |
Auf unserer Einzugsgebietsschule haben 98 Prozent der Kinder einen | |
Migrationshintergrund. Wir hätten unser Kind da hingegeben, aber die | |
wollten gar nicht, dass unser Kind auf diese Schule geht. Die Direktorin | |
selbst sagt, sie bemüht sich nicht mehr um deutschsprachige Kinder. Die, | |
die dabei am meisten verlieren, sind die Kinder mit Migrationshintergrund. | |
Selbst einige türkische Eltern aus unserem Kinderladen würden sich eher die | |
Hand abhacken, als ihr Kind auf eine solche Schule zu schicken. Die ziehen | |
dann auch nach Zehlendorf, wenn sie können. | |
Waren deine Kinder eigentlich auch ein Grund, mit den Helden zu pausieren? | |
Das war schon mit ausschlaggebend, aber nicht nur – ich will das nicht | |
meinen Kindern in die Schuhe schieben. Aber mit den Kindern und Babysitter | |
zu touren war natürlich hart. | |
Und wenn du jetzt tourst, gibt es eine klare Teilung: er die Kinder, sie | |
die Konzerte? | |
Genau, wir haben entschieden, dass Pola jetzt nicht mit auf Tour geht. Und | |
wenn er dann mit seiner jetzigen Band (namens Per Anders, d. Red.) | |
unterwegs ist, bleibe ich daheim. | |
Rein inhaltlich könnte dein neues Album auch eine Platte von Wir Sind | |
Helden sein, oder? | |
In dem Sinn, dass ja eh immer ich die Texte geschrieben habe: klar. Das | |
Neue ist, dass die Musik komplett von mir ist, wobei ich mich da in den | |
Helden auch gut wiedergefunden habe und auch die ganzen Gesangsmelodien und | |
so geschrieben habe. Der Unterschied ist, dass ich von vorne bis hinten auf | |
mich allein gestellt war, was sehr lustig war. War schön. Doch, kann man so | |
machen. | |
Gleich im ersten Song, „Nichtsnutz“, gründest du eine „Müßig-Gang“, … | |
sich dem Leistungsdruck, der Verwertungslogik verweigert. Gleichzeitig | |
fällt dir das Nichtstun enorm schwer, oder? | |
Nicht so, wie man vielleicht denken würde. Ich finde, dass Müßiggang sich | |
nicht so doll mit Produktivität ausschließt. Aber Geschäftigkeit schließt | |
sich ganz doll mit Produktivität aus. Müßiggang passt ganz gut zu einem | |
produktiven Künstlerleben – zumindest mehr, als wahnsinnig busy zu sein. | |
Wie sieht bei dir dann Müßiggang aus? | |
In dem Zeitraum, in dem die Platte entstand, bin ich zum Beispiel viel | |
spazieren gegangen. Ich war auch oft auf Konzerten, habe viel Musik gehört. | |
Klar, driftet das auch schnell in semiberufliche Sphären ab. Ich hab etwa | |
nächtelang das Werk der Slits aufgearbeitet. Dann wird daraus auch wieder – | |
in Anführungsstrichen – Arbeit, weil am Ende ein Song dabei rauskommt. | |
War die Produktion des Albums denn harte Arbeit? | |
Ich hatte eine gute Zeit im Studio. Eine fast unanständig gute Zeit | |
(lacht). Es war sehr entspannt. Mit langen Mittagspausen, viel | |
Kaffeetrinken und gutem Essen. Das alles im Sommer. Die Studioarbeit hat | |
etwas schön Eindeutiges: Du gehst morgens hin, weißt genau, was du machst | |
und wann du fertig bist. Viele Dinge um das Musikmachen herum – Videos, | |
Artwork, Interviews, Marketing – fallen mir schwerer. | |
Hat es sehr lange gedauert? | |
Nein, nicht unbedingt. Ich hab ein Jahr lang Demos gemacht und geschrieben. | |
Dann haben wir irgendwann beschlossen, dass der Weg von den Demos zur | |
fertigen Platte nicht so weit ist. Es sollte schrabbelig bleiben. Am Ende | |
waren wir zweimal sechs Wochen im Studio, was natürlich luxuriös ist für | |
heutige Verhältnisse. Es ist unser eigenes Studio, in der Skalitzer, da | |
haben wir keine Studiomiete. Es steckt viel Arbeit drin, aber nichts, was | |
sich nach Arbeit angefühlt hat. Mein Produzent Ian Davenport und ich sind | |
uns da immer sehr einig, wie es klingen soll. Das macht es einfacher. | |
Kürzlich ist ein langer Spiegel-Artikel über dich erschienen. Darin hieß es | |
sinngemäß, Vermarktung interessiere Judith Holofernes nicht. Damit belügt | |
man sich aber selbst, oder? | |
Ich habe auch nur davon gesprochen, dass mich Vermarktung nicht | |
interessiert, während ich Songs schreibe, also im Entstehungsprozess. Da | |
interessiert mich die spätere Rezeption nicht. Wenn so ein Album fertig | |
ist, vermarkten wir es natürlich entsprechend. Und ich finde nicht mal | |
alles, was Marketing ist, schlimm. Wenn ich coole Sachen machen kann, die | |
Spaß machen – wie als Pferd und Ritter durch Berlin laufen, woraus dann ein | |
Video wird –, habe ich überhaupt nichts dagegen. | |
Das Album hat bei Songs wie „Danke, ich hab schon“ und „Nichtsnutz“ ein… | |
deutlichen Punk-Einschlag. Den wirst du auch nicht mehr los, oder? | |
Nein, das gehört zu mir. Aber Punk bitte nicht in dem Sinne, dass man ihn | |
musikalisch sehr eng definiert. | |
Was ist denn am Punk für dich bis heute wichtig? | |
Die Ästhetik, die Haltung. Es passt natürlich gar nicht zu Punk, wenn | |
musikalisch sehr wenig Spielraum ist. Ich mochte immer so | |
Groovepunk-Sachen. Es gab eine Zeit, als Punkbands fantastische Bassisten | |
hatten. Das waren Bands, in denen alle spielten, als ob ’n Sack Kartoffeln | |
die Treppe runterfällt, aber dahinter stand eine tierische Rhythmus-Gruppe. | |
Das mochte ich immer. The Slits sind eben ein Beispiel. | |
Und was bleibt gut an der Ästhetik der Verweigerung? | |
Na ja, ich merke auch beim neuen Album, da tauchen Themen auf, die mich | |
einfach immer begleiten. „Nichtsnutz“ ist dann etwa der kleine Bruder von | |
„Müssen nur wollen“ (ein Wir-Sind-Helden-Song, d. Red.). Der „Nichtsnutz… | |
muss nichts mehr … (lacht dreckig). Zu formulieren, was man so alles muss, | |
nämlich eigentlich erst mal gar nichts – dabei empfinde ich viel Vergnügen. | |
Und in „M.I.L.F.“ zählst du einfach deine Plattensammlung auf? | |
Ja, im Prinzip leiere ich da die ganze Playlist meines Computers runter. | |
Einige Titel sind aber rausgeflogen. Schweren Herzens. | |
Rio Reiser wird zum Beispiel nicht erwähnt – dabei war der immer wichtig | |
für dich, oder? | |
Stimmt, der kommt nicht vor. Mist, müssen wir noch mal neu aufnehmen | |
(lacht). Rio Reiser war schon immer wichtig, aber dass mir das so anhängt, | |
liegt vielleicht auch daran, dass ich immer Rio Reiser genannt habe, wenn | |
ich gefragt wurde, welche deutschsprachige Musik ich höre. | |
Dabei müsstest du mit Rio Reiser ja groß geworden sein. In der Kommune, in | |
der du mit deiner Mutter aufgewachsen bist, lief das doch bestimmt den | |
ganzen Tag. | |
Klar, (leicht grölend) „Keine Macht für Niemand!“ Ich bin in einer WG | |
aufgewachsen, ’ne richtige Kommune war das nicht. Aber da wohnte man schon | |
an einem Tag mit dem und am nächsten Tag wieder mit jemand anderem | |
zusammen. Mit der Musik meiner Mutter bin ich damals sozialisiert worden. | |
Und deine Mutter lebte später mit einer Frau zusammen? | |
Ja, die ersten drei Jahre meines Lebens lebte sie in einer Beziehung zu | |
meinem Vater, später lebte sie mit einer Frau zusammen. Mit ihr zog ich | |
dann nach Freiburg, als ich sechs war. | |
Dort hast du’s nicht so lange ausgehalten. | |
Das war auch ein Kulturschock! Wenn man so aufwächst wie ich … da ist | |
Freiburg dann doch ziemlich konservativ. Die Kinder dort haben mich erst | |
„Punker“ genannt wegen der strubbeligen Haare und so. Und dann hieß ich | |
„Niemand“, weil ich nicht getauft war. Die haben mich echt „Niemand“ | |
genannt! | |
25 Jan 2014 | |
## AUTOREN | |
Jens Uthoff | |
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