# taz.de -- Kitas fehlen Erzieher: Schlechtes Standing, schlecht bezahlt | |
> Der Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz verstärkt die Nachfrage nach | |
> Erziehern. Weil die fehlen, greifen Kitas auf weniger qualifiziertes | |
> Personal zurück. | |
Bild: Allein unter Kindern: Betreuerin in einer Kita in Köln. | |
BERLIN taz | Wenn Martina Schwarz* ihrer Tochter frühmorgens die dicke | |
Winterjacke überstreift, um sie in eine Kindertagesstätte in | |
Berlin-Lichtenberg zu bringen, hat sie manchmal ein mulmiges Gefühl. Zehn | |
Monate musste Schwarz auf den Betreuungsplatz warten. Sie war froh, als sie | |
einen erhielt. | |
Fragen zur Qualifikation der Erzieherinnen und Erzieher stellte sie sich da | |
nicht. „Ich bin davon ausgegangen, dass alle eine entsprechende Ausbildung | |
haben“, sagt sie. Doch nach wenigen Tagen stellt sie fest, dass einige der | |
Betreuer in der Kita nur ein Praktikum machen. „Das hatte ich nicht | |
erwartet“, sagt die junge Mutter heute. „Natürlich gibt mir das zu denken.… | |
Seit August haben alle Eltern einen Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz für | |
ihre ein- und zweijährigen Kinder. Bundesweit wurden dafür viele neue | |
Betreuungsmöglichkeiten geschaffen. Nun stürmen Eltern und Kinder die | |
Kitas. Doch die haben jetzt ein großes Problem: Sie finden oft kein | |
qualifiziertes Personal. | |
Gründe dafür gibt es viele: die schlechte Bezahlung, eine hohe | |
Arbeitsbelastung und mangelnde Anerkennung machen den Erzieherberuf wenig | |
attraktiv. Das Angebot an Fachpersonal geht seit Jahren zurück. Der | |
Rechtsanspruch hat dieses Problem nicht geschaffen, aber er hat es | |
verschärft. Mittlerweile gehen Studien, wie das jährlich erhobene | |
„Ländermonitoring“ der Bertelsmann-Stiftung, von rund 15.000 fehlenden | |
Erziehern aus. Deswegen greifen viele Kitas auf wenig qualifiziertes | |
Personal zurück. | |
„Früher konnten wir höhere Qualitätsanforderungen an die Bewerber stellen. | |
Jetzt sind wir froh, wenn überhaupt jemand zum Bewerbungsgespräch kommt“, | |
erklärt Silke Mayn von SozDia. Der freie Träger betreibt in Berlin neun | |
Kitas – darunter auch die von Martina Schwarz und ihrer Tochter. Mayn | |
versteht die Sorge der Eltern, hält sie aber für unbegründet: „Wir sind | |
auch eine Ausbildungsstätte und haben schon immer Praktikanten im Team | |
gehabt. Die werden bei uns gut betreut.“ Heute beschäftigt sie rund 20 | |
Prozent Praktikanten, gerne würde sie noch mehr einstellen. Seit dem | |
vergangenen Jahr erlaubt es Berlin seinen Kitas, bis zu einem Viertel des | |
Personals ohne abgeschlossene Erzieherausbildung einzustellen. Aber Mayn | |
findet keine Bewerber. | |
## „Diskussionswürdiges Downgrading“ | |
Auch andere Bundesländer haben die Anforderungen für Erzieher aufgeweicht. | |
So dürfen in Baden-Württemberg Physiotherapeuten und Dorfhelfer nach einer | |
25-tägigen Schulung als Erzieher arbeiten. Stefan Sell nennt das ein | |
„diskussionswürdiges Downgrading“. Der Sozialwissenschaftler und Direktor | |
des Instituts für Bildungs- und Sozialpolitik kritisiert die vielen neuen | |
Qualifizierungswege, die in den Beruf führen sollen. „Ihr Ziel ist vor | |
allem der schnelle Abschluss, der in kurzer Zeit viele neue Arbeitskräfte | |
auf den Markt spült.“ | |
Viele Kommunen setzen auf die berufsbegleitende Ausbildung. Wer sich für | |
diesen Weg entscheidet, erhält nicht die übliche Breitbandausbildung, die | |
für die gesamten Kinder- und Jugendhilfe qualifiziert, sondern legt sich | |
von Anfang an fest. Die Auszubildenden sind auf dem Arbeitsmarkt gefragt, | |
sie sind sofort einsetzbar – und günstig. Bereits sechs Monate vor Beginn | |
ihrer Ausbildung dürfen Ungelernte in den Einrichtungen arbeiten, für ein | |
Praktikantengehalt ersetzen sie vollwertige Erzieher. | |
Später sind sie dann drei Tage pro Woche vor Ort, zwei Tage in der | |
Fachschule. Norbert Hocke, Bildungsexperte bei der Gewerkschaft Erziehung | |
und Wissenschaft, findet das skandalös: Das sei eine „Sackgassenausbildung | |
mit qualitativen Mängeln“, ärgert er sich. „Die Politik hat hier völlig | |
versagt“. | |
Auch der Sozialwissenschaftler Sell sieht das so, er fordert bundesweit | |
einheitliche und verbindliche Qualitätsstandards für die | |
Erzieherausbildung. „Bisher machen alle Beteiligten das Problem zu ihrem | |
individuellen. Wir brauchen dringend eine politische Lösung.“ | |
## Kompetenzstreitigkeiten | |
Doch ob es eine politische Lösung geben wird, ist fraglich: 2012 kündigte | |
die ehemalige Bundes-Familienministerin Kristina Schröder an, ein | |
bundesweites Qualitätsgesetz mit verbindlichen Standards ausarbeiten zu | |
wollen. Seitdem ist nicht mehr viel passiert. Im Koalitionsvertrag wurde | |
das Thema aus einer der letzten Fassungen gestrichen. Kompetenz- und | |
Finanzierungsstreitigkeiten zwischen Bund und Ländern sollen der Grund | |
gewesen sein, aber auch einzelne Kita-Träger. | |
Der Paritätischen Wohlfahrtsverband, einer der größten freien Träger, lehnt | |
den Kompromiss beispielsweise ab. Ein Sprecher sagt, man fürchte | |
„Minimalstandards“ und eine „riesige Abwärtsspirale“ bei der Kita-Qual… | |
Außerdem habe man verfassungsrechtliche Bedenken, schließlich sei Bildung | |
Ländersache. Andere Stimmen sagen, der Wohlfahrtsverband wolle nicht auf | |
den Einsatz kostengünstiger Praktikanten verzichten. | |
Martina Schwarz wird ihre Tochter auch weiterhin in die Kita in | |
Berlin-Lichtenberg bringen. Der Leidensdruck sei noch nicht groß genug. | |
Noch nicht. | |
*Name von d. Red. geändert | |
30 Jan 2014 | |
## AUTOREN | |
Lan-Na Grosse | |
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