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# taz.de -- Agentur für Erzieher: Unterföhringer Krisenkinder
> In deutschen Kitas fehlen Tausende Erzieher. Im Ausland sitzen Tausende
> auf der Straße. Eine Münchener Agentur hat daraus ein Geschäft gemacht.
Bild: Eine der wenigen Aktivitäten, die auch ohne Hilfe ganz gut klappen: Rumt…
MÜNCHEN taz | Eigentlich ist das dunkle Büro mit der Nummer 120 kein guter
Ort für einen Neuanfang: graue Funktionsmöbel, die aussehen, als hätten sie
schon unter Franz Josef Strauß gedient, stehen streng sortiert an den
Wänden, ein Zuviel von Frauenparfüm hängt schwer in der Luft. „Schön, dass
Sie hier sind“, sagt die Sachbearbeiterin zur Begrüßung. Vanessa Sierra
Gomez, eine schmale Frau mit kindlichen Gesichtszügen, antwortet mit einem
Lächeln. Sie ist heute hier, um neu anzufangen – 2.000 Kilometer von ihrem
alten Leben entfernt.
Vor drei Tagen ist die 25-jährige Spanierin nach München gekommen. Um zu
bleiben. In Granada machte sie einen Maestro in Kleinkinder-Erziehung, drei
Jahre lernte sie an einer Hochschule und arbeitete in Kindertagesstätten.
Doch nach ihrem Abschluss im Mai fand die Erzieherin keinen Job. Also
kellnerte sie in der Gaststätte ihres Bruders und versorgte Gäste statt
Kinder.
Wenn sie daran zurückdenkt, spricht sie von „großer Not“ und meint damit
die Krise in ihrer Heimat. Seit sie in Spanien regiert, müssen immer mehr
staatliche Einrichtungen schließen, auch Kitas und Kinderkrippen. Also
beschloss Sierra Gomez, zu gehen: „Ich hatte dort keine Zukunft. Es musste
doch weitergehen.“ Sie klingt hoffnungsvoll, nicht verbittert.
Jetzt sitzt sie in der Nähe des Münchner Ostbahnhofs, an einem Tisch der
Arbeiterwohlfahrt. Raum 120, Abteilung Personal. Vor ihr liegen ein
Arbeitsvertrag und Formulare, die nach betrieblicher Altersvorsorge,
polizeilichem Führungszeugnis und Steuerklasse fragen – kryptisches
Behördendeutsch, auf das kein Sprachkurs vorbereitet.
„Das lernen Sie noch“, sagt Tatjana Scholz, eine kleine Frau mit blondem
Bob und Perlenkette. Hastig greift sie nach den Papieren der jungen
Spanierin, klickt mit dem Kugelschreiber und füllt die freien Spalten mit
großen, runden Buchstaben.
Die beiden Frauen kennen sich seit letztem Herbst, haben zuerst miteinander
geskypet. Kurz vor Weihnachten trafen sie sich zum ersten Mal in München.
Wenig später besorgte Scholz der Erzieherin den Job bei der
Arbeiterwohlfahrt.
## Headhunter für Kindergarten-Erzieher
Tatjana Scholz ist eine Art Headhunter. Ein Headhunter für
Kindergarten-Erzieher. Zusammen mit ihrer Geschäftspartnerin hat sie die
[1][Agentur Kinderwelten] gegründet und vermittelt von München aus Personal
an Kindertagesstätten in der Region. Das Besondere: Die Bewerber kommen
fast ausschließlich aus dem europäischen Ausland. Die Partner der Agentur
sitzen in Spanien, Griechenland, Tschechien und in der Slowakei, seit
kurzem auch in Bulgarien und Rumänien – überall dort, wo die Finanzkrise
Arbeitsplätze gefressen hat. Vor Ort werben sie Erzieher an und vermitteln
diese dann nach München.
Den Rest erledigen Scholz und ihre Kollegin: Sie prüfen Sprachkenntnisse
und berufliche Qualifikationen, vereinbaren Hospitationen bei ihren
Auftraggebern. Kommt es zur Vertragsunterschrift, zahlt die Kita zwei
Brutto-Gehälter Provision – im Fall von Sierra Gomez rund 5.000 Euro. Ein
lohnendes Geschäft.
In Deutschland fehlen massenhaft gut ausgebildete Erzieher, 15.000 bis
30.000, schätzen Experten. Schlechte Bezahlung und zunehmender Stress
schrecken Auszubildende und Studenten ab. So gibt es seit Jahren mehr
Betreuungsplätze und weniger Erzieher – ein Problem, das sich mit
Ausweitung des Rechtsanspruchs auf einen Betreuungsplatz im letzten Jahr
noch verschärft hat. Die Kitas aber müssen Betreuungsquoten erfüllen, sonst
verlieren sie Fördergelder. Also bezahlen sie Kinderwelten für ihren
Service. Mittlerweile hat die Agentur etwa 35 Kunden und vermittelt fünf
bis zehn Erzieher pro Monat.
„Wir möchten bald in andere Bundesländer expandieren“, sagt Scholz, währ…
sie in ihren dunkelblauen Kombi steigt. „Langfristig planen wir, auch
Pflegekräfte aus dem Ausland zu vermitteln.“ Es läuft gut für Kinderwelten.
## „Anderen Kitas helfen“
Scholz ist viel unterwegs, pendelt zwischen Büro, Behörden und Kitas. Neben
ihrem Fahrersitz klemmt ein leeres Latte-macchiato Glas, am Rand klebt
eingetrockneter Milchschaum. Eigentlich ist sie eine Frau, die Ordnung mag,
To-do-Listen schreibt und das Leben anderer plant. So hat es die studierte
Betriebswirtschaftlerin gelernt. Früher produzierte sie Kinderfilme und
leitete nebenbei den Montessori-Kindergarten ihrer eigenen Kinder. 2009
schmiss sie hin und beschloss, mit der eigenen Idee Geld zu verdienen. „Ich
wollte anderen Kitas helfen“, erklärt sie ihre Motivation. „Jetzt lerne ich
viele nette Menschen aus unterschiedlichen Ländern kennen. Das ist toll.“
Es ist Mittagszeit, Scholz ist auf dem Weg zu einem ihrer besten Kunden:
dem Kinderhaus der Arbeiterwohlfahrt in Unterföhring, einer kleinen
Gemeinde im Speckgürtel von München. Hier steht ein riesiger Komplex, ein
Klotz aus hellem Holz, Glas und rotem Kunststoff – die größte Kita Bayerns,
für 250 Kinder. Durch bodentiefe Fenster kann Leiterin Linda Rupp auf die
angrenzende Neubausiedlung blicken: Einfamilienhäuser mit ordentlichen
Vorgärten, Grundstücken, die Platz für Garagen bieten. Durch die
gepflasterten Gassen rumpelt ein Eiswagen und liefert Tiefkühlwaren aus.
Deutsche Vorstadtidylle.
Rupp ist eine pragmatische Frau, an ihren Füßen baumeln
Gesundheitslatschen, ihre Brille hängt an einer langen Kette um den Hals.
Dass ausgerechnet ihr Haus Multi-Kulti atmet, war nie ihr Ziel, trotzdem
haben mittlerweile fast 20 Prozent der Mitarbeiter einen
Migrationshintergrund. Unter den Kindern sind es nur zehn Prozent. Für
manche Eltern ist das ein Problem: „Sie beschweren sich, weil sie wollen,
dass ihr Kind deutsch erzogen wird“, sagt Rupp.
## Sieben Bewerber aus drei Nationen
Als sie vor zwei Jahren 14 neue Mitarbeiter suchte, war Kinderwelten ihre
„letzte Rettung“. Die alten hatten nach und nach gekündigt, der Stress war
ihnen zu groß, der Job zu laut, zu anstrengend, einfach zu viel. Die
meisten wechselten in andere Berufe. „Die Anforderungen an Erzieher steigen
ständig, gerade junge Leute schaffen das nicht mehr“, sagt Rupp. Kaum
jemand antwortete auf ihre Inserate und Anfragen. Als ihr eine Kollegin von
Kinderwelten erzählte, stellte sie sieben Bewerber ein. Aus drei Nationen.
Dafür hat sie einen hohen Preis gezahlt, musste an anderer Stelle sparen,
um die Provision aufzubringen, Berufsanerkennungen beim zuständigen
Jugendamt erbetteln und auf die Sachbearbeiterin einreden, die dafür
bessere Deutschkenntnisse verlangte. „Ich hatte keine andere Wahl, es gibt
keine qualifizierteren Bewerber“, sagt die Kita-Leiterin.
Auf Rupps Computer-Bildschirm flimmert eine Werbe-Anzeige der
Arbeiterwohlfahrt. „40 Chats am Tag garantiert – Der beste Job der Welt“,
verspricht der Slogan. Die neue Kampagne soll junge Leute für den
Erzieher-Beruf anwerben, die Probleme von Rupp und ihren Kollegen lösen.
Auf dem Plakat hockt ein Mann mit breitem Grinsen zwischen wuselnden
Kindern. Die Farben sind grell und sein Lächeln künstlich. Rupp glaubt
nicht an ihn, aber sie muss: „Noch mehr ausländische Mitarbeiter kann ich
nicht einstellen.“ Von dem langen, holzvertäfelten Gang vor ihrem Büro
dringen spanische Wortfetzen durch die Tür.
Juan Carlos Calvo Fernandez versorgt gerade im Parterre eine ganze Horde
zappelnder Mäuler mit Mittagessen. Es gibt Rührei, Spinat und Kartoffeln.
Der 36-Jährige war der Erste, den Rupp über Kinderwelten ins Haus holte.
Als der Spanier zufällig von dem Kinderwelten-Weg nach Bayern hörte, war er
schon sechs Monate arbeitslos. Also paukte er Deutsch und kam nach
Unterföhring. Eine Entscheidung, die er nicht bereut hat, „aber kein
Spanier würde sagen, dass er sicher hier bleibt“. Die Krise hat ihn
gelehrt, immer bereit für einen Neuanfang zu sein.
23 Mar 2014
## LINKS
[1] http://www.xn--kinderwelten-mnchen-jbc.de/Kinderwelten/HOME.html
## AUTOREN
Lan-Na Grosse
## TAGS
Erzieher
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