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# taz.de -- Kommentar Freispruch für Nazi: Archaisch, aber opfer-freundlich
> Wenn die Antifa mit Gewalt beginnt, macht sie Nazis zu Angegriffenen, die
> sich wehren dürfen. Die Gesetzeslage zur Notwehr darf trotzdem nicht
> aufgeweicht werden.
Bild: Hier nur eine Geste, aber wer andere angreift, muss selbst das Risiko tra…
Ist das Urteil ein Skandal oder rechtsstaatliche Normalität? In Freiburg
wurde ein Ex-NPDler freigesprochen, nachdem er mit dem Auto einen Linken
angefahren hatte, der ihn angreifen wollte. Das Freiburger Landgericht
hielt Notwehr für möglich, obwohl der Nazi sich genau so eine Situation
zuvor gewünscht hatte, um straflos töten zu können.
Im konkreten Fall hätte es durchaus einige Ansatzpunkte gegeben, dem Nazi
den Verteidigungswillen abzusprechen. Wenn es ihm vor allem auf die
Vernichtung der Gegner ankam und nicht auf die Verteidigung der eigenen
Unversehrtheit, dann hätte er sich nicht auf Notwehr berufen können und
wäre wegen versuchten Mordes bestraft worden. Die Abgrenzung war in der
konkreten Konstellation aber unendlich schwierig. Attackierte der Nazi die
Linken, weil er sie schon immer töten wollte oder doch eher weil sie gerade
dabei waren, ihn anzugreifen? Im ersten Fall wäre sein Gegenangriff
strafbar, im zweiten Fall läge rechtmäßige Notwehr vor. Das Urteil des
Freiburger Landgerichts („im Zweifel für den Angeklagten“) ist da nicht die
schlechteste Lösung und der Freispruch dürfte auch einer möglichen Revision
beim Bundesgerichtshof standhalten.
Wenn also das Gerichtsurteil nicht das Problem ist, ist es dann die
Gesetzeslage? Geht das Notwehrrecht zu weit? Auf den ersten Blick könnte
man das meinen. Denn das Notwehrrecht ist ziemlich großzügig. Es gelten nur
zwei Einschränkungen. Erstens ist nur soviel Gewalt zulässig, wie man
braucht, um den Angriff sicher abzuwenden.
Zweitens darf es kein völliges Missverhältnis der beteiligten Rechtsgüter
geben. Der Angegriffene muss aber nicht flüchten, auch wenn es möglich
wäre. Er darf sich mit Gewalt verteidigen und dabei auch zum Gegenangriff
übergehen. Dabei darf er auch unverhältnismäßige Mittel einsetzen. Der Nazi
im Freiburger Fall durfte sich also gegen drohende Prügel mit einer
lebensgefährlichen Auto-Attacke wehren.
Brauchen wir nun ein neues Notwehrrecht? Soll die Verhältnismäßigkeit der
Mittel, die sonst nur den Staat gegenüber dem Bürger bindet, nun auch für
den Streit zwischen Bürgern eingeführt werden? Auf den ersten Blick wirkt
das sympathisch und modern. Der angegriffene Nazi hätte dann nur flüchten
oder zurückprügeln, aber keine tödliche Gewalt benutzen dürfen.
## Keine allzustrengen Vorgaben machen Sinn
Doch ein neues Gesetz gälte nicht nur für Nazis, sondern auch in vielen
anderen Konstellationen. Etwa wenn eine Frau von einem Vergewaltiger
angegriffen wird, oder wenn ein Flüchtling sich gegen einen aggressiven
Rassisten wehren muss. Es macht durchaus Sinn, dem Opfer eines Angriffs bei
seiner Verteidigung keine allzustrengen Vorgaben zu machen. Sonst sitzt am
Ende das Opfer eines Angriffs im Gefängnis, obwohl es sich nur gewehrt hat.
Wer andere angreift, muss vielmehr selbst das Risiko tragen, dass diese
massiv zurückschlagen. Der Angreifer soll sich nicht darauf verlassen
können, dass das Opfer in vielen Fällen nur fliehen könnte und nicht
effektiv zum Gegenschlag übergehen dürfte. Die Gesetzeslage zur Notwehr mag
zwar archaisch wirken, aber sie ist auch opfer-freundlich und sollte daher
nicht aufgeweicht werden.
Das Problem ist vielmehr eine Strategie der Antifa, die Nazis offensiv und
gewalttätig angreift, schon weil sie Nazis sind. Diese Strategie drückt
sich in Slogans aus wie „Antifa heißt Angriff“ oder „Schlagt die
Faschisten, wo Ihr sie trefft“. Moralisch gerechtfertigt wird das mit
Formeln wie „Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen“. Im
konkreten Fall wurde der Nazi angegriffen, weil er Gesinnungsgenossen den
Weg zu einem Rechtsrock-Konzert weisen wollte.
Wenn die Antifa aber offensiv mit der Gewalt beginnt, macht sie Nazis
automatisch zu Angegriffenen, die sich wehren dürfen. Es ist dann weder ein
Fehler der Gerichte noch der Rechtslage, wenn angegriffene Nazis sich auf
ein Notwehrrecht berufen können. Die Antifa mag dann noch so sehr auf die
bürgerliche Justiz fluchen. Der Freispruch der Freiburger Richter für den
angeklagten Nazi war kein Akt der Sympathie – das ganz sicher nicht –,
sondern eine respektable Anwendung rechtsstaatlicher Regeln.
1 Feb 2014
## AUTOREN
Christian Rath
## TAGS
Urteil
Nazis
Gesetz
Notwehr
Schwerpunkt Antifa
Schwerpunkt Rassismus
Freiburg
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