| # taz.de -- Abtreibungsgesetz in Spanien: Hunderttausende für die Freiheit | |
| > Die spanische Regierung will ein Gesetz, das Abtreibungen nur sehr selten | |
| > zulässt. Der Protest ist groß, auch innerhalb der Regierungspartei gibt | |
| > es Kritik. | |
| Bild: Wie in den 1980ern: Proteste am Samstag in Madrid | |
| MADRID taz | Über Hunderttausend Menschen zogen am Samstag vom Madrider | |
| Hauptbahnhof Atocha zum spanischen Parlament. Sie demonstrierten gegen das | |
| geplante, weitgehende Verbot der Abtreibung und forderten „Freiheit zu | |
| entscheiden“. Aufgerufen hatten über 300 Frauenorganisationen, die Parteien | |
| der Opposition, sowie die Gewerkschaften. | |
| Die Initiative zum Marsch gegen den Ende Dezember von der konservativen | |
| Regierung unter Mariano Rajoy vorgestellten Gesetzesentwurf ging von Frauen | |
| im nord-west-spanischen Asturien aus. Sie organisierten einen „Zug der | |
| Freiheit“ nach Madrid. Andere Regionen schlossen sich an. Dutzende | |
| Sonderzüge und Busse trafen am Samstag früh in der Hauptstadt ein. | |
| Die Parolen glichen denen in den 1980er Jahren, als Spaniens Frauen | |
| erstmals das Recht auf Abtreibung erstritten. „Das neue Gesetz wirft uns um | |
| über 30 Jahre zurück“, war immer wieder zu hören. Der Entwurf für den der | |
| einstige Bürgermeister der Hauptstadt und jetzige Justizminister Alberto | |
| Ruíz Gallardón verantwortlich zeichnet, lässt Abtreibung nur noch im Falle | |
| einer Vergewaltigung und bei schwerer gesundheitlicher Gefahr für die | |
| werdende Mutter zu. Selbst bei schwerer Missbildung des Fötus werden die | |
| Frauen künftig gezwungen sein, das Kind auszutragen. Außerdem brauchen | |
| Frauen unter 18 Jahren selbst im Falle einer Vergewaltigung die elterliche | |
| Einwilligung für einen Abbruch. | |
| Von 1985 bis 2010 war in Spanien ein Gesetz mit weit auslegbaren | |
| Indikationen in Kraft. 2010 führte die damalige sozialistische Regierung | |
| unter José Luis Rodríguez Zapatero eine Fristenregelung ein, die einen | |
| Schwangerschaftsabbruch in den ersten 14 Wochen zulässt. Im Falle einer | |
| Missbildung des Fötus gelten 22 Wochen. | |
| „Erstmals konnten wir Frauen frei entscheiden, ob wir schwanger bleiben | |
| wollten oder nicht. Erstmals fühlten wir uns als vollwertige Bürgerinnen“, | |
| würdigt Begoña Piñero, eine der Initiatorinnen der „Zuges für die Freihei… | |
| das Gesetz von 2010. Die vorgesehene Reform sei „rückschrittlich“ und | |
| „richtet sich gegen die Frauen, ihre Würde und ihre Freiheit“, beschwert | |
| sich die stellvertretenden Vorsitzende der sozialistischen Partei PSOE, | |
| Elena Valenciano. | |
| ## Geschenk für die Stammwähler | |
| Die seit zwei Jahren regierende konservative Partido Popular (PP) | |
| organisierte 2010 zusammen mit der katholischen Kirche und den sogenannten | |
| „Lebensschützern“ Großdemonstrationen gegen die Fristenregelung. „Wir l… | |
| nur ein Wahlversprechen ein“, heißt es aus der PP zur Begründung, die | |
| Abtreibung fast völlig verbieten zu wollen. Mit diesem Gesetz versucht | |
| Rajoy seine Stammwählerschaft, die nach zwei Jahren Krise und | |
| Austeritätspolitik sich abzuwenden droht, erneut an sich zu binden. Ob | |
| diese Rechnung aufgeht, ist mehr als fraglich. Denn würde es nach der | |
| Bevölkerung gehen, hätte das Gesetz keine Chance. | |
| 78 Prozent der Spanier und Spanierinnen sehen keine Notwendigkeit für eine | |
| Abschaffung der derzeit gültigen Fristenregelung. Selbst unter den Wähler | |
| und Wählerinnen der PP sind es 57 Prozent. Und nicht einmal unter den | |
| Katholiken findet der Entwurf eine Mehrheit. 50 Prozent der Gläubigen | |
| lehnen eine Reform ab. | |
| Längst rumort es auch innerhalb der PP, die in beiden Parlamentskammern die | |
| absolute Mehrheit hat. „Mir würde es nicht gefallen, zusehen zu müssen, wie | |
| Personen eine Grenze überqueren, um dort etwas vorzunehmen, was in meinem | |
| Land nicht möglich ist“, erinnert der konservative Regierungschef in | |
| Galicien Alberto Núñez Feijóo an die Zeiten vor dem ersten | |
| Abtreibungsgesetz 1985. Sein Amts- und Parteikollege im südspanischen | |
| Extremadurien, José Antonio Monago, ließ im Regionalparlament gar eine | |
| Resolution gegen die Verschärfung des Abtreibungsgesetzes verabschieden. | |
| Und die stellvertretende Parlamentspräsidentin und ehemalige konservative | |
| Gesundheitsministerin Celia Villalobos verlangt, dass ihre Partei sobald | |
| das Gesetz dem Parlament vorgelegt wird, den Abgeordneten das Recht gibt | |
| „frei nach ihrem Gewissen“ abzustimmen. | |
| Justizminister Gallardón will nicht nachgeben. Er wirft den Verteidigern | |
| der Fristenregelung, einen „grausamen Individualismus“ vor: „Wer sagt mir, | |
| dass diejenigen, die ihren Individualismus am Ungeborenen ausleben wollen, | |
| dies nicht auch irgendwann mit Geborenen tun?“ fragt der Politiker, der | |
| einst als Bürgermeister von Madrid den Ruf hatte, dem „linken Flügel“ der | |
| Konservativen anzugehören. | |
| 2 Feb 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Reiner Wandler | |
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