# taz.de -- Sotschi 2014 – Skispringen, Einzel: Die Überfliegerinnen | |
> Endlich ist das Springen und Segeln von Schanzen auch für Frauen | |
> olympisch. Sara Takanashi ist Favoritin – die junge Carina Vogt will auch | |
> eine Medaille. | |
Bild: Sara Takanashi hat in diesem Winter zehn Weltcupspringen gewonnen. | |
SOTSCHI taz | Damals hat sie die deutschen Flieger springen sehen, Martin | |
Schmitt und Sven Hannawald. Der Sport wuchs, wurde immer größer. Der Mann | |
mit dem lila Helm und der Dürre, der immer sagte, er mache nur „sein Zeug“ | |
– sie haben Carina Vogt auf die Schanze gebracht. „Das waren schon meine | |
Vorbilder.“ | |
Als kleines Mädchen stieg sie mit sechs auf den Minibakken ihrer | |
Heimatgemeinde Degenfeld bei Schwäbisch-Gmünd und probierte ein paar | |
Sprünge im Rahmen eines Sommerlagers aus. Sie fiel hin, stand wieder auf – | |
und machte weiter. Die ersten Sätze gingen nicht weiter als zehn, 15 Meter. | |
Jahrelang konnte sie mit den Jungen mithalten, aber irgendwann fehlte es | |
ihr an Kraft beim Absprung. Muskelstärke vor allem in den Beinen ist das | |
einzige natürliche Hindernis der fliegenden Frauen, so weit zu fliegen wie | |
die Männer – denn in der Luft gleiten sie genauso elegant wie sie. | |
Wenn sie am Dienstag auf der Normalschanze von Krasnaja Poljana oben auf | |
dem Schanzenturm steht, dann springt Carina Vogt locker 90 Meter. „Ich bin | |
nicht hierher gefahren, um auf Platz zehn zu landen“, sagt sie. Eine | |
Medaille will sie gewinnen, jetzt, da zum ersten Mal auch Frauen über einen | |
olympischen Bakken gehen dürfen. Vor zwei Jahren fiel die Entscheidung für | |
Olympia. Doch schon vor den Winterspielen von Vancouver 2010 hatten | |
Skispringerinnen um die Olympiateilnahme gekämpft. | |
## Mindestens zwei Weltmeisterschaften | |
Es wurde nichts draus. Das IOC wollte damals nicht. Es war der Meinung, ein | |
Olympiasport müsse mindestens zwei Weltmeisterschaften veranstaltet haben. | |
Jetzt ist Frauenskispringen reif für den ganz großen Auftritt: „Das Feld | |
ist breiter geworden und viel dichter“, sagt Vogt, die sich nicht als | |
Pionierin sieht. „Vor mir hat es schon zwei Generationen gegeben, die den | |
Sport dorthin gebracht haben, wo er heute ist, ich bin eher eine | |
Profiteurin.“ Sie meint Springerinnen wie Jenna Mohr oder Ulrike Gräßler. | |
Vor zehn Jahren gab es den ersten offiziellen Sprungwettbewerb bei der | |
Juniorenweltmeisterschaft im norwegischen Stryn. Die erste richtige WM fand | |
2009 statt. Seit drei Jahren gibt es eine Weltcupserie. In der ersten | |
Saison konnten die Frauen nur auf der kleineren Normalschanze springen, den | |
K90-Anlagen. Ein Jahr später durfte es auch eine 120-Meter-Schanze sein. In | |
diesem Winter wurden schon drei Wettbewerbe auf dem K120-Bakken ins | |
Programm eingebaut. | |
„Wir sind fast gleichgestellt mit den Männern“, sagt Vogt. Sie weiß | |
natürlich, dass da noch ein bisschen fehlt. Frauen haben bei Olympia keinen | |
Teamwettbewerb. Sie gehen nicht in offiziellen Springen über Flugschanzen, | |
wo ja Weiten bis 200 Meter und darüber hinaus möglich sind. Und auch das | |
Interesse des Fernsehens ist nicht so groß wie bei Severin Freund, Kamil | |
Stoch oder Simon Ammann. Aber sie ist froh über jede Sendeminute, die ARD | |
und ZDF produzieren. „Klar, wir haben noch Entwicklungsperspektiven“, sagt | |
Vogt. | |
Die beste Springerin kommt aus Japan, Sara Takanashi. Die zierliche | |
Asiatin, die nur 45 Kilogramm wiegt, hat in diesem Winter zehn | |
Weltcupspringen gewonnen. „Wenn nicht sie gewinnt, wer dann?“, fragt sich | |
Vogt. Hinter der Favoritin könnte die Deutsche landen. Oder die wieder | |
genesene US-Springerin Sarah Hendrickson. Gute Chancen hat auch die offen | |
lesbisch lebende Österreicherin Daniela Iraschko-Stolz. | |
## Geschwindigkeit und Weite | |
Vogt hat freilich zwei Vorteile gegenüber den Konkurrentinnen. Sie ist in | |
der Anlaufspur meist schneller unterwegs. Aus Geschwindigkeit wird Weite. | |
Außerdem ist die Polizeimeisteranwärterin trotz ihres Alters (22) psychisch | |
ziemlich stabil. Mit einem Mentalcoach hat sie diese Fähigkeiten trainiert. | |
Es gehe darum, „wie man bei sich bleibt, man darf sich nicht von den Medien | |
oder so rausbringen lassen“. | |
Von Vogts „innerer Stärke“ ist auch Bundestrainer Andreas Bauer überzeugt. | |
Der ehemalige Weitenjäger macht seit zwei Jahren den Job, vorher war er bei | |
den Nordischen Kombinierern beschäftigt, in einer Sportart, in der es | |
überhaupt keine Frauenwettbewerbe gibt. Auch er glaubt an den Durchbruch | |
des Frauenskispringens. | |
„Damen-Biathlon ist seit 1992 olympisch, und in diesem Bereich hat es eine | |
rasante Entwicklung gegeben.“ In Val di Fiemme zum Beispiel hat die | |
Kanadierin Sarah Hendrickson Adam Malysz den Schanzenrekord geklaut, | |
erzählt Bauer, „allerdings hat sie mehr Anlauf nehmen dürfen als der Pole�… | |
„Wir können uns noch nicht mit den Männern vergleichen“, sagt Bauer. Lange | |
Zeit hätten die deutschen Frauen „als fünftes Rad am Wagen an irgendeiner | |
Männertrainingsgruppe drangehangen“. Bauer musste nach „schlaflosen | |
Nächten“ die „Notbremse“ ziehen: Er richtete zwei Trainingszentren ein, … | |
Oberstdorf für die Sportsoldatinnen und in Bad Enndorf für die | |
Polizistinnen. | |
## Eine Siegerin | |
„Aber aus dem Vollen schöpfen können wir auch jetzt nicht, wir müssen schon | |
schauen, dass wir keine zu teuren Hotels nehmen“, sagt Bauer. In den | |
Sportinternaten in Oberhof, Oberwiesenthal, Klingenthal und Berchtesgaden | |
gibt es keine Springerinnen, da sei noch viel zu tun. Wenigstens hat der | |
Deutsche Ski-Verband nicht wie der polnische die Entwicklung komplett | |
verschlafen. | |
Die Polen haben jetzt zwar in Kamil Stoch einen Olympiasieger, den ersten | |
im Skispringen seit 1972 mit Wojciech Fortuna, eine Olympiasiegerin werden | |
sie nicht so schnell haben. | |
11 Feb 2014 | |
## AUTOREN | |
Markus Völker | |
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