# taz.de -- Israelische Siedler im Westjordanland: Sie kommen nachts | |
> Im Westjordanland werden Palästinenser regelmäßig von Siedlern | |
> angegriffen. Das Militär sieht oft nur zu. Ein Besuch in Burin. | |
Bild: Israelische Siedler in Burin. | |
BURIN taz | Eigentlich hatte Bruceli Id andere Pläne für seinen Garten. | |
Eine Weinstaude oder vielleicht ein paar Obstbäume schwebten ihm vor, | |
stattdessen errichtet er einen Zaun rings um sein Haus. | |
Der 38-jährige Palästinenser gießt Beton in den Graben, die Fenster sind | |
schon vergittert. Id hat fünf Kinder im Alter von drei bis dreizehn Jahren. | |
Er verbarrikadiert sich aus Angst vor israelischen Siedlern. Sein Haus ist | |
besonders bedroht von deren Gewalt, da es am nördlichen Rand des | |
palästinensischen Dorfs Burin steht. Zwei- bis dreimal pro Woche kämen die | |
Siedler, sagt Id, „meistens in der Nacht“. | |
Die knapp 4.000 Dorfbewohner leben von ihren Olivenbäumen, Feigen und | |
Mandeln. Wenige Kilometer nördlich von Burin liegt die Stadt Nablus, | |
dazwischen die Siedlung Har Bracha und im Süden die Siedlung Jitzhar. Beide | |
gelten als Hochburgen des radikalen national-religiösen Lagers Israels. | |
Rund ein Dutzend junger Siedler hat sich zudem auf dem Berg Grisim | |
niedergelassen. Bracha B heißt der illegale Vorposten aus weitläufig | |
verteilten, provisorischen Holzhäuschen. Weit ab von Diskotheken und | |
Kabel-TV ist dies ein Ort für Helden im Westernstil – nur dass statt | |
Indianer Palästinenser gejagt werden. | |
Mit ausländischen Journalisten reden die Siedler nicht. Vielleicht auch aus | |
Langeweile oder angetrieben von der Idee, das Land judaisieren zu müssen, | |
rücken sie ihren Nachbarn auf den Leib. Auf Filmmitschnitten, die die | |
israelische Menschenrechtsorganisation Jesch Din (Es gibt ein Recht) im | |
Internet veröffentlicht, sind ihre Feldzüge dokumentiert. Manche kommen mit | |
vermummten Gesichtern, manche sind mit Steinschleudern oder Stöcken | |
bewaffnet. Fast alle Aufnahmen zeigen auch israelische Soldaten, die | |
zusehen, ohne einzugreifen. | |
## „Eine Kugel traf mich in die Schulter“ | |
„Moralisch ist das Verhalten der Soldaten verwerflich“, räumt | |
Militärsprecher Arye Shalicar ein. Aber die Armee könne erst aktiv werden, | |
wenn Gesetze gebrochen würden. Für die Leute aus Burin ist problematisch, | |
dass ihr Dorf in der sogenannten B-Zone liegt. Verwaltungstechnisch ist | |
Burin palästinensisch, für die Sicherheit ist jedoch noch immer Israels | |
Armee zuständig. „Die Soldaten könnten die Siedler aufhalten“, sagt Bruce… | |
Id, „aber das tun sie nicht.“ | |
Den temporär beurlaubten Polizisten Id traf es vor drei Jahren besonders | |
schlimm. Eben war er vom Dienst gekommen, als er rund ein Dutzend Siedler | |
auf sein Haus zukommen sah. Seine Aufforderung zu verschwinden, | |
beantwortete einer der Angreifer mit einer Pistole. „Eine Kugel traf mich | |
in die Schulter, eine andere in die Hand“, sagt Id und krempelt den Ärmel | |
hoch, um die vernarbte Wunde zu zeigen. Fast zwei Wochen habe er im | |
Krankenhaus verbracht. „Seither bin ich arbeitsunfähig.“ Über einen Anwalt | |
habe er Klage eingereicht, doch große Hoffnungen, dass der Täter verurteilt | |
werden wird, macht sich Id nicht. | |
Die Siedler werfen Steine, brechen die Äste der Olivenbäume ab, lassen | |
brennende Reifen auf das im Tal liegende Dorf rollen und setzen von Zeit zu | |
Zeit sogar Autos in Brand. Mit Hilfe von Jesch Din reichten die | |
Palästinenser in den vergangenen Jahren 85 Beschwerden bei der israelischen | |
Polizei ein. Nur eine einzige Untersuchung ist noch offen. Verhaftungen gab | |
es keine. „Wenn Palästinenser israelische Zivilisten angreifen, dann setzen | |
die Behörden alle Mittel in Kraft, um die Täter zu überführen“, berichtet | |
die israelische Menschenrechtsorganisation B’Tselem, doch „wenn Israelis | |
Palästinensern Schaden zufügen, verfolgen die Behörden eine | |
unausgesprochene Politik des Vergebens, der Kompromisse und der mildernden | |
Umstände“. | |
Die Leute von Burin wollen sich trotzdem nicht vertreiben lassen. „Ich | |
werde hier in meinem Haus sterben“, sagt Hannan Nasser, die am südlichen | |
Ende des Dorfs in ihrem etwas abgelegenen Haus wohnt. „Zwei Autos, rund | |
einhundert Schafe und ein Pferd“ habe sie durch die Siedler verloren, „und | |
meinen Mann“, der kurz nach einem Brandanschlag auf das Haus an einem | |
Herzinfarkt gestorben sei. Für jeden zerstörten Baum werde sie einen neuen | |
pflanzen, kündigt die resolute 53-jährige Palästinenserin an, die sich mit | |
Stacheldraht auf der Terrasse gegen die Siedler schützt, bis „am Ende die | |
Israelis wieder von hier weggehen werden“. | |
13 Feb 2014 | |
## AUTOREN | |
Susanne Knaul | |
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