| # taz.de -- Neues Album von The Notwist: Die vertrauten Trostspender | |
| > Die Band experimentiert, wo andere im eigenen Saft schmoren: Loops, | |
| > Samples und Gesangslinien mit viel Raum für Tüfteleien. | |
| Bild: Das ist nicht die Band The Notwist. Aber neon und trostspendend | |
| BERLIN taz | Blubbern, Wabern, Klackern: So geht es los. Dann ein Rauschen | |
| von Frequenzen. Ein Geflirre, als würde man Gameboy-Sounds remixen. Bis | |
| sich eine sanfte, warme Stimme darüberlegt. | |
| Es ist die Stimme Markus Achers, die zu einem leisen Prolog ansetzt: „It is | |
| all so obvious / you can see the signs up in the trees / it is all so | |
| hideous / it’s our way of walking up the streets.“ Diese Stimme gibt Halt | |
| in all dem Durcheinander, ehe nun ein zurückhaltender Beat und harmonisch | |
| klingende Samples hinzukommen. | |
| Wie ein Puzzle setzt die Band The Notwist ihr neues Album „Close To The | |
| Glass“ zusammen, bis zur ersten melodischen Hookline lassen sie den Hörer | |
| diesmal drei Songs zappeln. Spätestens dann aber stellt sich ein leicht | |
| süßliches, vertrautes Notwist-Gefühl ein. Und „vertraut“ ist hier nicht … | |
| Sinne von alt oder altbekannt zu verstehen, sondern eher im Sinne eines | |
| Wiedererkennungswerts. | |
| The Notwist binden ihren Indie-Sound stets in neue Kontexte ein, behalten | |
| gleichzeitig aber ihre Handschrift bei. Die im Kern aus Markus und Micha | |
| Acher sowie Martin Gretschmann bestehende Band, die aus dem oberbayerischen | |
| Weilheim stammt, wird dafür längst international geschätzt. | |
| Seit sie 2002 ihr epochales Album „Neon Golden“ veröffentlichte, zählt sie | |
| zu den erfolgreichsten deutschen Popexporten. Das inzwischen siebte Album | |
| der Band, die derzeit von Schlagzeuger Andi Haberl und Gitarrist Max | |
| Punktezahl komplettiert wird, erscheint nun in den USA folgerichtig auf dem | |
| legendären Indie-Label SubPop. | |
| ## Indie und Punk sind oft konservativ | |
| In dem Vierteljahrhundert, das es The Notwist nun schon gibt, haben sie | |
| sich stetig weiterentwickelt, sind sie nie stehengeblieben. Das mag banal | |
| oder selbstverständlich klingen. Indie und Punk aber – die Szenen, aus | |
| denen sie stammen – waren nicht selten selbstreferentiell oder konservativ. | |
| The Notwist aber experimentieren, wo andere im eigenen Saft schmoren. | |
| Dies zeigt sich auch nun wieder mehr als deutlich. Irgendwas an „Close To | |
| The Glass“ ist zwar noch Indie-Rock, und klar verbirgt sich hinter all den | |
| Soundsphären auch der Singer-Songwriter Markus Acher – insgesamt aber ist | |
| das Album eine große Komposition aus Loops, Samples und Gesangslinien, bei | |
| der The Notwist wieder viel Raum für Tüfteleien lassen. | |
| Was nun dieses Notwist-Gefühl eigentlich sein soll, ist dabei gar nicht so | |
| einfach zu sagen. Vielleicht ist es beim Hören zunächst einmal ein recht | |
| einfaches: Trost. Man fühlt sich aufgehoben in diesen Songs mit ihrem | |
| melancholischen Grundton. Sie gaukeln einem nichts vor. | |
| Und als Band standen The Notwist schon immer dafür, sich einerseits nicht | |
| zu verbiegen, aber dann doch auch nach links und rechts zu schauen. Oder | |
| dafür, Lebensentwürfe vorsichtig zu hinterfragen, ohne gleich alles über | |
| den Haufen zu werfen. Eben zu experimentieren. Aber ist es das schon? Kann | |
| man das Phänomen Notwist so schnell abhaken? | |
| In einem kleinen Café in Prenzlauer Berg sitzt Martin Gretschmann. | |
| Gretschmann alias Console ist hauptsächlich für die elektronischen Sounds | |
| und die Samples bei The Notwist zuständig. | |
| ## Immer weitere Türen aufmachen | |
| Wenn er erklären soll, warum die Band heute so klingt, wie sie klingt, dann | |
| spricht er von Mustern, denen man sich widersetzt: „Beim Musikmachen | |
| verfällt man immer wieder in Schemata, die man sich angewöhnt hat. Es ist | |
| schwierig, da auszubrechen. Im Idealfall klappt das. Und ich habe bei | |
| diesem Album schon den Eindruck, dass es noch mal eine neue Tür aufmacht“, | |
| sagt er. | |
| Mit Gretschmann – hagerer Typ um die vierzig, mittellange, dunkle Haare, | |
| dicke, schwarze Hornbrille – könnte man sich The Notwist als Band | |
| vorstellen, die immer weitere Türen öffnet, ohne die jeweilige hinter sich | |
| zu schließen: „Gleichzeitig ist das Album auch irgendwie ein Sammelsurium | |
| all dessen, was The Notwist in all den Jahren gemacht haben“, sagt er. | |
| Und das ist nicht wenig. Angefangen haben The Notwist 1989 einmal als | |
| kleine Hardcore-Band vom Dorf. Das erste Album, das über Szenekreise hinaus | |
| bekannt wurde, war „Nook“ im Jahre 1992. Die Songs waren da noch von | |
| Metal-Gitarren unterlegt, Sänger Markus Acher hatte aber auch da schon die | |
| Beatles’sche Qualität, mit zwei, drei Versen und einer schönen Melodie | |
| zutiefst melancholische Gefühle zu vermitteln (in „No love“ etwa). | |
| Mit „12“ folgte drei Jahre später ein wunderbares, klassisches | |
| Indie-Gitarren-Album, ehe The Notwist Ende der Neunziger begannen, | |
| Gitarrenmusik mit Elektronik zu verbinden. | |
| Das angejazzte „Shrink“-Album von 1998 stellte einen ersten Versuch in | |
| dieser Richtung dar. Nicht ganz zufällig stieß Gretschmann – der | |
| Elektroszene und den Clubs nahe – ein Jahr zuvor zur Band. | |
| ## Die Gründer des Indietronic | |
| Dann kam „Neon Golden“. Es war eines der tollsten, aufregendsten Alben der | |
| Nullerjahre. „Consequence“ oder „One with the freaks“ sind potenzielle | |
| Songs, von denen man sich wünscht, dass sie irgendwann einmal bei der | |
| eigenen Beerdigung gespielt würden – Songs für die ewige Bestenliste. | |
| Indie und Beats, das ging bei Notwist nicht einfach nur zusammen, es fügte | |
| sich zu Neuem, dem man das Genreetikett Indietronica verpasste. Das | |
| folgende Album „The Devil, You + Me“ (2008) „konnte nur verlieren“, wie… | |
| Band selbst sagt – und war immer noch ein richtig gutes, wieder etwas | |
| rockigeres Album. | |
| Gretschmann versteht das nun folgende „Close To The Glass“ als Reaktion auf | |
| dieses Album. Er erzählt von hundert Tagen im Studio, von einem „extremen | |
| Produktionsprozess“, von eineinhalb Jahren Arbeit insgesamt: „Zwischendurch | |
| wusste man gar nicht mehr, was das alles soll oder ob das überhaupt was | |
| soll.“ | |
| Doch, es soll etwas. The Notwist haben noch genug Ideen, sich neu zu | |
| erfinden. Auf diesem Album ist das Track by Track zu hören – kein Stück | |
| klingt wie das andere. Das geht beim ersten Song los, der wie ein Intro | |
| funktioniert und aus einer Gesangslinie über dem schon erwähnten Wabern | |
| besteht. | |
| ## Schrammelrocksong zum Mitwippen | |
| Der Titelsong beginnt dann mit repetitivem Trommeln, bleibt sperrig und | |
| vertrackt. Zugänglicher wird das Album erst mit „Kong“, einem | |
| Schrammelrocksong zum Mitwippen: „Mighty Kong please help / I know you’re | |
| strong“, singt Acher da in einer hohen Stimmlage, wie man sie früher von | |
| Dinosaur Jr. kannte. | |
| Zwischen Shoegazer, Krautrock und den sphärischen Sounds, die man heute | |
| Dream-Pop nennt, gibt es dann eigentlich alles in diesen zwölf Songs. In | |
| dem sich langsam auftürmenden, auf einem einzigen Geigenloop und dem | |
| Refrain basierenden Song „Into another tune“ bauen The Notwist Spannung | |
| auf, die sich in einer einzigen Zeile entlädt: „Stop / to lie / and all of | |
| a sudden it breaks.“ | |
| Da ist er wieder, der melancholische Grundton. Und da sind zum einen diese | |
| unendlichen Klangflächen, in denen man immer wieder Neues entdeckt, sich | |
| diebisch über ein Saxofonsample freut oder ein leises Rasseln im | |
| Hintergrund entdeckt. Zum anderen sind da diese simplen, deutungsoffenen | |
| Zeilen, die für jeden nachvollziehbar sind: „One room for us / one room for | |
| both of us / one room for us / is not available“, heißt es etwa im Refrain | |
| von „Casino“. | |
| Wo man im Pop doch sonst nur das Lässige, Ironische, das Kommunizieren über | |
| Codes kennt, wirken The Notwist da eben anders. Soll man sagen: Sie wirken | |
| wie auf der Suche nach Bodenständigkeit und Tiefe? Auch das ist etwas, was | |
| vom 80er-Jahre-Indie der Langhaarzauseln geblieben ist. In vielen ihrer | |
| Songs steckt das mal profane, mal brutale alltägliche Leben: Hinfallen, | |
| aufstehen, weitermachen. Etwas Neues probieren. Experimentieren. Eine | |
| typische Notwist-Rezeptur, die wirkt. | |
| 16 Feb 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Jens Uthoff | |
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