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# taz.de -- Indieband Notwist: "Danach konnten wir nur verlieren"
> In den Listen der besten Alben der Nullerjahre fehlt eine Platte selten:
> Notwists „Neon Golden“. Für die bayrische Band ist das Werk auch eine
> Bürde. Nun führt sie es live vor.
Bild: "Wie tags Auto fahren": Indiegruppe Notwist.
The Notwist haben es nicht kommen sehen. „Wir waren mit Arrangement und
komponiertechnischen Sachen beschäftigt“, sagt Markus Acher, wenn er an die
Aufnahmen zu „Neon Golden“ zurück denkt. „Dass ausgerechnet die Platte so
eine Resonanz hervorrufen würde, hätten wir niemals erwartet. Wir haben
aber ehrlich gesagt auch nicht drüber nachgedacht.“ „Neon Golden“ ersche…
2002 und ist das fünfte Album von The Notwist. Es wird ihr erfolgreichstes.
Acht Jahre später: die sogenannten Nullerjahre sind Vergangenheit und
werden zu Bestenlisten runtergekocht. „Neon Golden“ ist nahezu überall
dabei. Die Kritiker vom Zündfunk des Bayrischen Rundfunks wählen die Platte
sogar zur besten des Jahrzehnts, vor den Strokes, vor Radiohead, vor allen
anderen. Dass The Notwist eine bayrische Band ist, mag da nur eine kleine
Rolle gespielt haben, denn: ihr fünftes Album ist nicht weniger als ein
Meisterwerk.
„Neon Golden“ ist anders als alles, was zur gleichen Zeit erscheint. Die
melancholische Mischung aus elektronisch pluckernden Klängen,
zerbrechlichen Gitarren und dem sanften Gesang mit unbeholfenen englischen
Texten des eigentlich Nicht-Sängers Markus Acher zeigt sich von Jazz
beeinflusst und weist ungewöhnliche Songstrukturen auf, die so schön 2002
kein anderer macht. Neon Golden hat einen eigenen Soundkosmos, ist
Avantgarde und doch eingängig. Die Singles „Pilot“ und „Pick Up The Phon…
entwickeln sich zu kleinen Hits, die in den Indie-Discos hoch und runter
laufen – zu später Stunde, natürlich, wenn alles schon ein wenig ruhiger
wird und die Leute auf der Tanzfläche genug Platz haben, um sich mit
geschlossenen Augen fallen zu lassen in diese irgendwie beruhigende
Melancholie mit Beat.
„Dass wir bei den Aufnahmen das Gefühl gehabt hätten, man hätte jetzt sowas
wie einen Hit oder so, das gab es tatsächlich noch nie“, sagt Markus Acher
und verrät damit viel über die Herangehensweise der Band an ihre Musik,
weist aber damit auch darauf hin, dass „Neon Golden“ keinen einzigen Song
beinhaltet, der auch nur annähernd schwächer ist als der Rest. Die Kritik
ist enthusiastisch, auch und vor allem im Ausland gilt die Platte schon
kurz nach Erscheinen als Meilenstein. Über 100.000 Einheiten werden
verkauft, „Neon Golden“ erreicht Platz 10 in den Charts. The Notwist gibt
es da schon seit 13 Jahren.
Weilheim in Oberbayern, 1989. Die Brüder Micha und Markus Acher gründen mit
Mecki Messerschmidt eine Band und nennen sich The Notwist. Sie tragen
Dreadlocks und sind alle um die zwanzig. Ihr erstes, selbstbetiteltes Album
erscheint 1990, die Musik ist hart, eine Mischung aus Punk, Noise und
Metal. The Notwist gehen mit Bad Religion auf US-Tour und veröffentlichen
zwei Jahre später ihr zweites Album „Nook“. Auch hier dominiert die hart
verzerrte Gitarre, doch immer wieder schimmert der zerbrechliche,
melancholische Klang der Zukunft schon durch. Die dritte Platte „12“
erscheint 1995, erstmals sind elektronische Soundschnipsel zu hören, für
die auch ein Weilheimer verantwortlich ist: Martin Gretschman aka Console
stößt dazu. Mit „Shrink“ von 1998 entfernen sich The Notwist endgültig v…
ihrem harten Sound der Anfangsjahre. Hier ist schon all das angelegt, was
„Neon Golden“ später zu diesem großen Meisterwerk macht, nur sperriger,
noch nicht so eingängig, noch nicht perfekt.
Die Abstände zwischen Notwist-Platten werden größer. In Weilheim entspannt
sich währenddessen um The Notwist herum ein loses Netzwerk von
Nebenprojekten: Die Acher-Brüder gründen die Jazz-Band Tied And Tickled
Trio, Markus und seine Lebensgefährtin Valerie Trebeljahr das
Elektronika-Projekt Lali Puna, Micha Acher spielt bei der Elektropop-Band
Ms John Soda und Console macht eigene Platten, remixt und legt als
Techno-DJ auf. Die große Band Radiohead erklären Lali Puna zu ihrer
Lieblingsband und das britische Musikmagazin "The Wire" fragt 1998: „Is
Weilheim The New Seattle?“ 2002 schließlich erscheint „Neon Golden“ und
bringt den großen Erfolg. Danach vergehen sechs lange Jahre, bis das lang
ersehnte Nachfolgewerk „The Devil, You + Me“ erscheint. In der
Zwischenzeit: Nebenprojekte, klar, unter anderem die Kollaboration „13&God“
mit den US-Hip-Hoppern Themselves.
The Notwist (Mickie Messerschmidt ist mittlerweile ausgestiegen) gelten
indes als komische Typen. Sie haben kein Image, sie pfeifen auf
Selbstdarstellung, tragen auf der Bühne die Klamotten, die sie morgens
angezogen haben. Vermarktung geht ohnehin gar nicht. Als ein großer
Mobilfunkhersteller The Notwist einst einen Millionendeal vorlegte, um
deren Musik für einen Werbespot nutzen zu dürfen, sagte Micha Acher ohne
nachzudenken ab und legte auf. Auch Interviews mit ihnen seien schwierig
bis unmöglich, heißt es, keiner von diesen Weilheimern habe Lust, die
eigene Musik auch noch zu erklären. Der Dokumentarfilm „On/Off The Record“
von Jörg Adolph über die Entstehung von „Neon Golden“ zeigt Interviews, in
denen die Acher-Brüder Fragen von Journalisten nahezu ignorieren. Sehr
amüsant, aber auch ganz schön beunruhigend.
„Bei Interviews ist man generell lockerer, wenn einem Sympathie entgegen
schlägt“, sagt Markus Acher. „Das ist ein ganz normaler menschlicher
Reflex.“ In den Interviews zu „The Devil, You + Me“, der lang erwarteten
Platte nach dem Meisterwerk, schlug der Band hingegen immer wieder leise
Ablehnung entgegen. „Nach Neon Golden konnte man nur noch verlieren. Die
Reaktionen auf die neue Platte waren meist reserviert, so: das ist ja auch
ganz gut, aber eben nicht so gut wie Neon Golden. Das hatte ich gar nicht
gedacht, dass Neon Golden in der Zwischenzeit zu so einem Monument geworden
ist, das der neuen Platte im Weg steht. Das hat mich überrascht, muss ich
sagen. Wir hätten was ganz Extremes oder was extrem anderes machen müssen,
um den Erwartungen standzuhalten, die uns so nicht bewusst waren.“ Ist das
enttäuschend? „Nee, gar nicht. Ich find Neon Golden ja auch gut, und die
letzte war für uns wie ein Befreiungsschlag. Wir haben es quasi geschafft,
eine „Platte danach“ zu produzieren. Die Platte nach der Platte nach Neon
Golden zu machen wird viel, viel einfacher sein. Insofern ist alles okay.
Und obwohl ne lange Spanne dazwischen lag, seh ich die beiden Alben sehr
zusammen. Für mich ist „Neon Golden“ wie tags Auto fahren und „The Devil,
You + Me“ wie nachts Auto fahren. Bisschen.“ Landstraße? „Naa, eher so
Stadt, würd ich sagen. Stadt. Ja.“
Zu welcher Tageszeit und auf welcher Straße man das nächste Notwist-Album
am besten hören sollte, kann Markus Acher noch nicht sagen. Dass es eins
geben wird, steht fest, und dass es dauern kann bei The Notwist, das ist
bekannt. Vorher sind die Nebenprojekte dran: eine Tour mit Lali Puna im
Mai, ein zweites Album mit 13&God im Sommer. „Wir haben einzelne
Notwist-Sachen ausprobiert, zum Beispiel was ganz Elektronisches, einfach
weil wir Lust dazu hatten. Richtig komponiert und gespielt und geprobt
haben wir aber noch nicht.“ Neben einer CD- und Vinyl-Veröffentlichung des
neuen Albums denken The Notwist über Alternativen nach: „Die Idee, Songs zu
veröffentlichen, die nirgendwo so richtig dazugehören, macht uns sehr viel
Spaß. Das könnten Vinyl-Singles sein oder Downloads, mit denen einzelne
Stücke genau so ein Publikum erreichen können wie eine LP mit Vorlauf.
Innerhalb von Sekunden kann's die ganze Welt sich quasi zugänglich machen.“
Markus Acher lacht. „Wenn sie will.“
9 Apr 2010
## AUTOREN
Benjamin Weber
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