| # taz.de -- Neues Notwist-Album: Altbewährter Elektro-Blubber-Sound | |
| > Nach Jahren abgekehrter Ruhe präsentieren The Notwist nun ihr neues Album | |
| > "The Devil, You and Me". Leider kein weiterer Quantensprung. | |
| Bild: Schön melancholisch: die Bilder und die Musik von The Notwist. | |
| Man sieht sie mit ihren Frisuren, Schlabberklamotten und Nickelbrillen und | |
| denkt: The Notwist können gar keine Popstars sein. Eher schon | |
| Elektro-Ingenieure, aber bestimmt keine Band, die von der Bühne aus ein | |
| Publikum bespaßen soll oder sich in Glasscherben wälzt. Doch der Anti-Look | |
| passt perfekt zu dieser bayerischen Band. Er unterstreicht ihren | |
| Ausnahmestatus im Popbetrieb. Ihre abgekehrte Ruhe ist das genaue Gegenteil | |
| vom Leistungsdruck, der in Sendungen wie "Deutschland sucht den Superstar" | |
| aufgebaut wird, womit ja auch schon einiges über die Band ausgesagt wäre. | |
| The Notwist sind das gute Gewissen des deutschen Pop. Sie machen nicht viel | |
| Aufhebens um sich und geben sich frei von Starallüren. Jeder, der sie | |
| trifft, bestätigt, dass sie genau so sind, wie man es sich vorgestellt hat: | |
| bodenständig. Das Image der Band The Notwist ist: kein Image zu haben. | |
| Dafür werden sie geliebt, als Antithese zu all den Fashion- und | |
| Frisurenbands. Als letzte aufrechte Indieband in einer Oberflächen-Popwelt, | |
| in der "Independent" eigentlich nur mehr ein weiteres Marktsegment ist, | |
| sind The Notwist wirklich integer. Unvergessen etwa, dass sie einen | |
| hochdotierten Werbevertrag ausschlugen, weil sie, nun ja, nicht so enden | |
| wollten wie Moby oder Franz Beckenbauer. Seit Erscheinen ihres neuen Albums | |
| "The Devil, You + Me" heißt es nun wieder allerorten "beste Band | |
| Deutschlands". Zu diesem Urteil kommen so unterschiedliche Medien wie | |
| De:Bug, das Wom-Magazin oder die SZ. Dort wurde der Band neben einer | |
| Jubelrezension im Feuilleton sogar noch Platz für einen Fanartikel im | |
| SZ-Magazin eingeräumt, wo normalerweise nur Stars der Mariah-Carey-Liga | |
| verarztet werden. | |
| Man verneigt sich kollektiv vor einer Band, der etwas Geniehaftes zu eigen | |
| zu sein scheint. Die Rede ist von den Jazzstrukturen, mit denen die Band im | |
| Rockkontext arbeitet, ihrem Forschergeist, der aus einer kauzigen | |
| Provinzband mit Begeisterung für Hardcore-Punk eine dauertüftelnde | |
| Elektronikband gemacht hat. | |
| Ihr letztes, vor sechs Jahren erschienenes Album "Neon Golden", abgemischt | |
| in den Londoner Abbey-Road-Studios, war von einer Detaildichte und einem | |
| Drang zur Perfektion beseelt wie vielleicht seit "Sgt. Pepper" kein | |
| Popalbum mehr. | |
| In die Welt gesetzt wird all das von den Brüdern Markus und Micha Acher, | |
| die - auch so eine Story - noch in den Hardcore-Tagen zusammen mit ihrem | |
| Vater in einer Dixielandkapelle gespielt haben: unfassbar eigentlich. | |
| Über den langwierigen Entstehungsprozess von "Neon Golden" wurde sogar ein | |
| Dokumentarfilm gedreht und das Album erhielt den "Preis der deutschen | |
| Schallplattenkritik"; nein, The Notwist sind wirklich keine Band wie jede | |
| andere. 20 Jahre gibt es sie inzwischen. Auf gerade mal lachhafte sechs | |
| Platten, die neue miteingerechnet, hat man es in dieser Zeit gebracht. | |
| Das kann sich selbst auf dem Independent-Level nur eine Band leisten, deren | |
| Mitglieder auch noch mehr zu tun haben. Tatsächlich haben sich rund um The | |
| Notwist neben dem Netzwerk in Weilheim längst auch deutschlandweite und | |
| internationale Kontakte ergeben. Notwist-Mitglieder arbeiten mit | |
| amerikanischen Hiphoppern zusammen oder produzieren Tracks für Björk, | |
| basteln an Hörspielen und Filmsoundtracks mit und betreiben noch zig Bands | |
| und Soloprojekte wie Lali Puna oder das Tied & Tickled Trio nebenher. Außer | |
| den obligatorischen Remixaufträgen kümmert man sich auch noch um ein | |
| bandeigenes Kleinstlabel namens Alien Transistor. | |
| Die Band aus Weilheim, die seit dem Aussteig ihres Schlagzeugers Martin | |
| Messerschmidt auf drei feste Mitglieder geschrumpft ist, funktioniert | |
| inzwischen wie Sonic Youth, die New Yorker Rockboheme-Institution, die man | |
| schon immer bewundert hatte. | |
| Ein neues Notwist-Album soll ja auch immer mehr sein als bloß ein neues | |
| Notwist-Album. Hört man das Oeuvre dieser Band hintereinander weg, fällt | |
| wieder auf, wie erstaunlich ihr Werdegang ist. Das gleichnamige Debüt klang | |
| noch nach rumpeligem Post-Hardcore und Dinosaur-Jr.-Energieriffs. "Nook", | |
| entstanden in der Grunge-Welle 1992, streckte sich schon viel deutlicher | |
| hin zu Harmonien und Melodien. Darauf folgten die ersten Gehversuche mit | |
| Elektronik, Samples und Beats komplimentierten die | |
| Notwist-Klangphilosophie. | |
| Nach dem Einstieg von Martin Gretschmann alias Console wurde man im Laufe | |
| der späten Neunziger zu Vorreitern einer Bewegung von | |
| Indietronic-Synthieschrauber-Bands, in denen auch einer Gitarre spielt. Es | |
| gibt somit keinen Notwist-Sound, den man immer wieder reproduziert, und es | |
| soll ihn auch nicht geben. Einzig der gepresste, schmeichlerische Gesang | |
| von Markus Acher, dem auch zu den wildesten Gitarren immer etwas | |
| Melancholisches innewohnt, blieb über die Jahre gleich. | |
| "The Devil, You + Me" macht jedoch klar: Es gibt ihn inzwischen doch, den | |
| Notwist-Sound. Das Album ist kein weiterer Quantensprung, es findet kein | |
| erneutes Aufbrechen eines bereits eingeführten Sounds statt, sondern | |
| erstmals in der Geschichte der Band eine Kontinuität. Der auf "Neon Golden" | |
| bereits zur Meisterschaft gebrachte Elektronik-Blubber-Pop-Sound ist auch | |
| auf dem neuen Werk zu hören, wenngleich das Blubbern etwas zurückgenommen | |
| wurde. Wieder wurde geschichtet, hörbar gebastelt, Elektronik mit | |
| Orchesterarrangements verschmolzen, Bläsersätze mit Rockgitarren | |
| amalgamiert. Und wieder ist dabei Popmusik entstanden und keine | |
| musikalische Seminararbeit, was auch daran liegen mag, dass man in Olaf | |
| Opal ein Produzenten hat, der weiß, wie eine trockene Rockplatte klingen | |
| muss. | |
| Trotzdem ist man nach dem ersten Hören von "The Devil, You + Me" eher | |
| enttäuscht. Es fehlt die Schockstarre, die beim ersten Hören neuer Sounds | |
| eintritt. Dann macht "The Devil, You + Me" mit einem, was nur wirklich gute | |
| Alben vermögen: Es wächst, und man wächst mit ihm mit. Man achtet auf die | |
| Details, erliegt der Stelle, wo ganz kurz beinahe technoartige Beats | |
| aufflackern, und denkt bei einem Streicher-Part an Strawinsky, für einen | |
| Moment jedenfalls. Die Geschichte einer Eigenbrötler-Band, die von einem | |
| bayerischen Kaff aus die Welt erobert, sie wird sich mit diesem Werk | |
| jedenfalls fortsetzen. | |
| 9 May 2008 | |
| ## AUTOREN | |
| Andreas Hartmann | |
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