Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Sotschi 2014 – Eishockey: Kalter Krieg auf dem Eis
> Wiederholt sich die Geschichte doch? Die Gastgeber verlieren gegen die
> USA – und fühlen sich wieder mal von höheren Mächten verschaukelt.
Bild: Kompromissloses Duell.
SOTSCHI taz | Die blonde Frau mit den dunkelrot angemalten Lippen, die vor
dem Bolschoi-Eispalast steht, sieht aus wie eine Winterkönigin. Inmitten
der Zuschauermassen, die es in die Halle zieht, steht sie da und hebt
dezent den Finger. Sie will unbedingt noch eine Karte für das Spiel der
Spiele: Russland gegen die USA. Sie wird belächelt, auch wenn gewiss
wohlhabend würde, wer seine Karte gegen den Pelzmantel der Frau eintauschen
würde. „Rossija! Rossija!“ Die Zuschauer machen sich warm für das Spiel.
Sie wollen ihr Team nicht alleine lassen.
Nicht unbedingt freundlich schaut Sinetula Biljaletdinow drein, nachdem
seine Mannschaft den Kalten Krieg mit 2:3 nach Penaltyschießen verloren
hat. Der Trainer der russischen Nationalmannschaft wirkt ruhig. Gelassen
ist er nicht. Er fühlt sich verschaukelt. Er wittert einen Skandal. Nachdem
die Russen im dritten Drittel ausgeglichen hatten, feuerte Verteidiger
Fjodor Tjutin den Puck von der blauen Linie ins Netz.
Doch der Schiedsrichter hat das Tor nicht gegeben. Der Kasten hinter
US-Goalie Jonathan Quick sei verschoben gewesen, entschied die Jury. „Der
Schiedsrichter hat einen Fehler gemacht“, sagt der russische Coach. Haben
sich die Amis den Sieg im Kalten Krieg erschlichen? Einer der beiden
Schiedsrichter ist Amerikaner. Biljaletdinow sagt: „Natürlich wäre es
besser gewesen, wenn wir einen anderen Referee gehabt hätten.“
Wiederholt sich die Geschichte doch? Auch 2002 haben die Russen eine
Verschwörung gewittert. Wjatscheslaw Fetissow, einer der besten Verteidiger
der Eishockeygeschichte, erinnert sich an das Halbfinale der Spiele von
Salt Lake City 2002 gegen die USA. Da lagen die Russen mit 0:3 zurück. Im
letzten Drittel schossen sie dann das 1:3, das 2:3 und das 3:3. Glaubten
sie zumindest. Der Schiedsrichter, ein Kanadier, hatte das Ausgleichstor
nicht gegeben. Fetissow erzählt oft davon in diesen Tagen. „Man wollte das
Finale USA gegen Kanada, und man hat es bekommen.“
Auch vor zwölf Jahren wurde vor dem Spiel viel von Kaltem Krieg gesprochen.
Wladimir Putin war seit zwei Jahren Präsident und hatte klargemacht, dass
er eine Weltführerschaft der USA nicht anerkennen würde. Fetissow ist heute
Putins sportpolitische Allzweckwaffe. Er war Sportminister und wirkt bis
heute wie ein institutionalisierter Franz Beckenbauer des russischen
Sports. An seiner geschätzten Person soll jede Kritik abperlen. Er ist ein
Kalter Krieger.
## Sechs Penalties
„Es hat einfach Spaß gemacht.“ Sagte T. J. Oshie nach dem Spiel. Der Center
der St. Louis Blues war es, der das Spiel gegen die Russen entschied. Ein
lustiges Kerlchen, das da Geschichte geschrieben hat. Sechs Mal hat ihn
sein Trainer Dan Bylsma beim Penaltyschießen aufs Eis geschickt. Vier Mal
traf er. Bylsma wird gefragt, ob der Sieg im Shootout sein persönliches
„Miracle in Ice“ ist? Er wehrt ab. Mit dem der US-Mannschaft von den
Winterspielen 1980 will er ihn nicht vergleichen.
Das Wunder von Lake Placid ist die einzige große Geschichte, die der
Eishockeysport in den USA geschrieben hat. Baseball, Football, Basketball
haben Romane und Drehbücher gefüllt. Vom Eishockey gibt es nur diese eine
Erzählung. Ein Truppe von Collegeamateuren schlägt die als unschlagbar
geltende Wundermannschaft der Sowjetunion, während der Kalte Krieg mit dem
Einmarsch der Roten Armee in Afghanistan einen neuen Höhepunkt erlebt.
„Tolle Fans, tolle Atmosphäre!“ – klingt aber nicht nach Kaltem Krieg, w…
T. J. Oshie da sagt. Kurz nach dem Spiel wird aus dem Weißen Haus in
Washington getwittert. „Congrats to T. J. Oshie and the U. S. men’s hockey
team on a huge win! Never stop believing in miracles.“ War das Spiel doch
mehr als ein Spaß?
Lange steht es 0:0 in diesem hochklassigen Spiel. Zu Beginn des zweiten
Drittels betritt Wladimir Putin die Halle. Spätestens jetzt ist das Spiel
ganz groß. Kurz danach gehen die Russen mit 1:0 in Führung. Pawel Dazjuk
schießt das Tor. Hat der Regent eine Wunderheilung vollbracht? Dazjuk war
doch angeschlagen, konnte für die Detroit Red Wings, wo er – wie 15 andere
aus der russischen Mannschaft – sein Geld verdient, zuletzt nicht spielen.
Hat er seinen Arbeitgeber hintergangen, um für Russland zu siegen, indem er
sich krankgemeldet hat? Er erzielt beide Tore in diesem Spiel gegen die
USA. Im Kalten Krieg haben Verschwörungstheorien Konjunktur.
Semjon Warlamow, einer der drei Keeper im russischen Team, sitzt 60 Minuten
auf der Bank. Sein versteinertes Gesicht kennt man. Besonders finster war
es, als er Ende Oktober 2013 dem Haftrichter in den USA vorgeführt worden
ist. Der Torhüter von Colorado Avalanche soll im Suff seine Frau vermöbelt
haben. Er zeigte sich selbst an und wird in Untersuchungshaft genommen. Ein
russischer Parlamentarier hat die Ermittlungen schnell zur Staatsaffäre
gemacht. „Wir glauben an seine Unschuld. Das Hauptziel ist es, ihn vom
Training, Spielpraxis und, Gott bewahre, von den Olympischen Spielen
fernzuhalten“, sagte Igor Anaskitsch, Chef des Sportausschusses in der
Duma, allen Ernstes. Das Verfahren ist längst eingestellt. Am Tag nach dem
Spiel zeigt das russische Staatsfernsehen noch einmal Bilder, die Warlamow
vor seiner Anhörung im Gericht zeigen. Dem Gegner im Kalten Krieg traut man
immer noch alles zu.
„Das war definitiv ein Tor!“ Pawel Owetschkin, der beste linke Flügel im
russischen Team, ist sich sicher, dass US-Torwart Jonathan Quick das Tor
absichtlich verschoben hat. „Er hätte eine Zweiminutenstrafe bekommen
sollen“, sagt er. Sein Statement, das er unmittelbar nach dem Spiel
abgegeben hat, wird noch zitiert, als der Internationale Eishockeyverband
längst festgestellt hat, dass die Entscheidung, das vermeintliche 3:2 für
die Russen nicht zu geben, korrekt war.
Einsehen will man das in Russlands Team nicht. Die Niederlage wird
kleingeredet. Aus dem Kalten Krieg wird ein Scharmützel. „Es war ein guter
Test“, sagt Trainer Biljaletdinow, ehe er die Halle verlässt. Die Russen
könnten im Turnier ja noch mal auf die USA treffen. Die Kriegsreporter
freuen sich schon.
16 Feb 2014
## AUTOREN
Andreas Rüttenauer
## TAGS
Sotschi 2014
Eishockey
Russland
USA
Sotschi 2014
Sotschi 2014
Sotschi 2014
Sotschi 2014
Sotschi 2014
Sotschi 2014
Sotschi 2014
Sotschi 2014
## ARTIKEL ZUM THEMA
Sotschi 2014 – Russlands Eishockey: Sbor? Na ja
Die russischen Superstars hatten bei diesem Turnier wenig zu bieten. Alle,
die die Owetschkins und Co. für verwöhnte Bürschchen hielten, behielten
recht.
Sotschi 2014 – Eishockey, Frauen: Im Namen der Familie
Die Spielerin Julie Chu will mit dem US-Team endlich einmal Kanada in einem
olympischen Finale schlagen. Dafür trainiert Julie Chu akribisch.
Sexismus auf dem Eis: Auch Mädels können schubsen
Der Bodycheck im Frauen-Eishockey ist verboten und kann mit bis zu fünf
Minuten Strafzeit geahndet werden. Diese Sonderregel braucht niemand.
Sotschi 2014 – Shorttrack: Ein Sport wie Amphetamin
Keine Disziplin reißt das Publikum so mit wie Shorttrack. Jedes Rennen ist
rasant und umkämpft. Mittendrin: die 15-jährige Anna Seidel.
Sotschi 2014 – der achte Abend: Auf die Fresse gekriegt
Nicht nur Russland hat im Vorrundenspiel gegen die USA verloren. Der
Niederländer Koen Verweij erhielt kein Gold wegen 0,003 Sekunden.
Die erste Olympiawoche: Wie war ich?
Wladimir Putin hat die besten Winterspiele aller Zeiten versprochen. Das
Sotschi-Team der taz zieht eine Zwischenbilanz.
Sotschi 2014 – Eishockey, Frauen: Sexualität privat
Putins Anti-Homo-Gesetz sorgte für Aufregung im deutschen Team. Um den
Sport aus der Nische zu holen, blenden die Eishockeyspielerin alles aus.
Eishockeynation Russland: Es darf nur einen Sieger geben
Die russische Sbornaja muss die Goldmedaille holen. Alles andere würden die
einheimischen Fans nicht verzeihen. Es geht um Wiedergutmachung.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.