# taz.de -- Eishockeynation Russland: Es darf nur einen Sieger geben | |
> Die russische Sbornaja muss die Goldmedaille holen. Alles andere würden | |
> die einheimischen Fans nicht verzeihen. Es geht um Wiedergutmachung. | |
Bild: Letzte Aufwärmübungen: Superstar Alexander Owetschkin. | |
SOTSCHI taz | Ganz leise ist es im „Großen Eispalast“. 24 Eishockeyspieler | |
machen Dehnungsübungen auf dem Eis. Alle Volunteers, die mitbekommen haben, | |
dass die russische Eishockeynationalmannschaft ihr erstes Training in | |
Sotschi abhält, schleichen sich in die Halle. | |
Die Blicke der sonst so professionell grimmig dreinblickenden | |
Security-Mitarbeiter werden mild. Es passiert nicht viel unten auf dem Eis | |
und doch geschieht etwas Besonderes. Alle in der Halle wissen: Da unten | |
zwischen den Toren bereiten sich die Männer, die Olympia zum ganz großen | |
Glanz verhelfen sollen, auf ihren ersten Einsatz vor. Pssst, leise! Nicht | |
stören! | |
Am Mittwoch startet das olympische Eishockeyturnier der Männer in Sotschi. | |
Für viele ist das der eigentliche Beginn der Olympischen Spiele. Im | |
russischen Fernsehen haben die Eishockeyprofis die Eiskunstläufer als | |
Hauptdarsteller schon abgelöst. Und in keinem Bericht über die Sbornaja, | |
wie die Mannschaft genannt wird, gibt es auch nur den Hauch eines Zweifels | |
daran, dass es am 23. Februar nur einen Sieger geben darf: Russland. | |
„Ich weiß, dass ich die Verantwortung trage“; sagt Sinetula Biljaletdinow | |
nach der Trainingseinheit. Er soll die Sbornaja zum Sieg coachen. „Aber | |
Angst habe ich nicht“, fügt er hinzu und lächelt. | |
## Freundschaft oder Guillotine | |
Vor vier Jahren in Vancouver haben die Russen das Eishockeyturnier als | |
Sechste beendet. „In anderen Ländern bemüht man sich, Sportler nach | |
Niederlagen wieder aufzubauen. In Russland ist es so: Gewinnen wir, sind | |
alle unsere Freunde. Verlieren wir, will man auf dem Roten Platz gleich die | |
Guillotine aufstellen“, sagte Biljaletdinows Vorgänger im Traineramt, | |
Wjatscheslaw Bykow nach der 3:7-Schlappe gegen Kanada. „Ich habe keine | |
Angst“, wiederholt Biljaletdinow. „Ich habe keine Angst.“ | |
Viel sagt der Trainer nicht, der als Spieler den bittersten Moment in der | |
Geschichte des russischen Eishockeys erlebt hat, die Finalniederlage der | |
seinerzeit als unschlagbar geltenden UdSSR-Auswahl gegen die USA bei den | |
Spielen 1980 in Lake Placid. Er war beim Miracle on Ice dabei, das | |
allgegenwärtig ist bei den Spielen von Sotschi. Vor jedem Wettbewerb läuft | |
ein PR-Jingle über die Riesenleinwände, der an magische olympische Momente | |
erinnert. | |
Einer dieser Momente ist das Eiswunder von 1980. Gut kommt das nicht an auf | |
den Tribünen. Manchmal wird gebuht. Die russischen Sportfans werden sich | |
wohl nie damit abfinden, dass ihr Team nicht mehr unschlagbar ist. In ihnen | |
lebt die Erinnerung an die Glanzzeiten sowjetischer Eishockeyperfektion. | |
Dabei hätten sie sich an Pleiten gewöhnen können. Seit 16 Jahren befindet | |
sich das Team bei Olympischen Spielen auf einem beinahe stetigen Weg nach | |
unten. 1998 in Nagano gab es Silber, vier Jahre später in Salt Lake City | |
Bronze. In Turin 2006 verlor die Sbornaja das Spiel um Platz drei gegen | |
Tschechien. Dann kam der sechste Platz von Vancouver. | |
## Hat er Angst? | |
„Wir haben 1984 Wiedergutmachung betrieben“, sagt dazu Wladislaw Tretjak. | |
300 Journalisten, die meisten aus Russland, hören zu, als der dreifache | |
Olympiasieger, der Torwart, den sie den Mann mit den 1.000 Händen nannten, | |
spricht. Viele klatschen. Auch Tretjak, der heute Präsident des russischen | |
Eishockeyverbands ist, gehört zu den Verlierern von Lake Placid. Er gehört | |
aber auch zu den Triumphatoren von Sarajewo vier Jahre danach. Die | |
Botschaft dürfte bei den Spielern angekommen sein: Macht endlich einmal | |
etwas gut! | |
Alle 25 Spieler waren zur Pressekonferenz angetreten. Sie saßen | |
nebeneinander auf dem Podium und hörten ihrem Präsidenten zu. „Ich spüre | |
den Druck, der von den Journalisten heute hier ausgeht“, sagt Alexander | |
Owetschkin, einer der großen Stars des Teams. „Sonst spüre ich nichts.“ D… | |
Mann, der fast 10 Millionen US-Dollar im Jahr bei den Washington Capitals | |
in der Profiliga NHL verdient, gibt sich cool. Hat er Angst? „Wir haben | |
gesehen, wie die Kanadier vor vier Jahren gewonnen haben. Diesmal sind wir | |
zu Hause, diesmal ist das unser Eis.“ | |
Der reiche Mann aus Moskau, der sich Alexander der Große nennen lässt, | |
weiß, dass er als Versager in die russische Sportgeschichte eingehen wird, | |
sollte die Operation Gold scheitern. Über die Vorbereitung des Teams kann | |
er nicht viel sagen. Die hat bislang nur für einen Teil der Mannschaft | |
stattgefunden. Die Spieler, die in Russland unter Vertrag sind, haben zwei | |
Wochen lang zusammen in Kasan gearbeitet. Die 16 Profis aus der NHL sind | |
erst am Montag angereist. Nur wenige Stunden vor der ersten Übungseinheit. | |
Waleri Nitschuschkin, der 18-jährige Jungstar, der in Dallas spielt, ist | |
direkt vom Flughafen zum Training gekommen – in kurzer Hose und mit | |
Adiletten. „Kein Problem“ sei das. Und, hat er Angst? „Ich will, dass die | |
Mannschaft gut spielt, alles andere ist unwichtig.“ Nitschuschkin wird | |
wissen, dass das so nicht stimmen kann. | |
## Mit den Spielern sprechen | |
Direkt nach dem ersten Training stellt er sich den Journalistenfragen. Die | |
meisten der Reporter wundern sich, dass sie überhaupt mit den Spielern | |
sprechen dürfen. So etwas haben sie noch nie erlebt. Schweigende Athleten, | |
mauernde Trainer und Funktionäre sind sie gewöhnt. Auf dem Weg zu Gold in | |
Sotschi scheint das russische Team auch auf Glasnost zu setzen. | |
25 Spieler, zwei Trainer und der Verbandspräsident stellen sich den Fragen | |
der Journalisten. Auch wenn das Spektakel nach 20 Minuten schon wieder | |
vorbei ist, nur der Trainer und ein paar der Superstars zu Wort gekommen | |
sind, nicht viel mehr gesagt wurde, als: „Uns geht es gut“ und: „Alles | |
okay!“, darf der Auftritt getrost als Sensation gewertet werden. | |
Am Donnerstag wird dann endlich gespielt. Was gegen den Eishockeyzwerg | |
Slowenien „kriegswichtig“ sei, wisse man, sagt Trainer Biljaletdinow. Der | |
Feldzug kann beginnen. Die erste große Schlacht findet dann am Samstag | |
statt. Da geht es gegen die USA. | |
12 Feb 2014 | |
## AUTOREN | |
Andreas Rüttenauer | |
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