# taz.de -- Sotschi 2014 – Shorttrack: Ein Sport wie Amphetamin | |
> Keine Disziplin reißt das Publikum so mit wie Shorttrack. Jedes Rennen | |
> ist rasant und umkämpft. Mittendrin: die 15-jährige Anna Seidel. | |
Bild: Plumps: Charles Hamelin (Kanada) und Eduardo Alvarez (USA) beim 1000-Mete… | |
SOTSCHI taz | Der Eisberg-Palast bebt. Die Shorttracker sind wieder los. | |
Die Lautstärke ist ohrenzerfetzend. Das Spektakel da unten auf der 111 | |
Meter langen Bahn wirkt wie eine Amphetamin-Injektion auf die Zuschauer. | |
Die Russen geraten schier aus dem Häuschen, wenn nur der Name ihres | |
Siegläufers Viktor An erwähnt wird. Wen diese Rundenhatz kalt lässt, der | |
ist aus Holz. | |
Die Wettkämpfe sind so unmittelbar, umkämpft und spannend, dass Shorttrack | |
sicherlich eine der olympischen Sportarten dieser Spiele ist. Hier geht es | |
ab. Und wie! Athleten stolpern über ihre eigenen Kufen, krachen in die | |
Bande, räumen andere Läufer wie Kegel ab. Jeder Sturz wird von einem | |
Aufschrei des Entsetzens im Publikum begleitet. Oh mein Gott! Niemand kann | |
sich sicher sein, auch nicht der große An, hier heil durchzukommen. Jeder | |
Lauf ist ein Wagnis. | |
Manchmal brauchen die Schiedsrichter Minuten, um zu rekonstruieren, wer | |
Unfallverursacher war und wer Leidtragender. Es gibt Penalties, gelbe und | |
rote Karten für die unfreiwillig bösen Buben und Mädels. Besonders | |
spektakulär sind die Positionswechsel in den finalen Runden, wenn sich | |
plötzlich ein Läufer mit irren Manövern nach vorne beamt, sich in eine | |
Lücke schiebt, die es eigentlich gar nicht gibt. Es wird gepufft und | |
gerangelt. Läufer zischen um die Kurve wie Mauersegler um eine Häuserecke. | |
Man braucht für diesen Sport der schlitzohrigen Individualisten und | |
vorausschauenden Strategen keine millionenteure Rodelbahn oder abgeholzte | |
Hänge, ein zugefrorener See und ein paar Schlittschuhe reichen vollkommen. | |
Klar, die Shorttrack-Schlappen sind speziell. Sie verlangen einem besondere | |
Fähigkeiten ab, denn die Kufen sind angeschrägt, damit man besser durch die | |
Kurven kommt. Trotzdem muss man kein Vermögen investieren, um Shorttrack zu | |
betreiben. | |
## Die Deutschen laufen hinterher | |
In Deutschland gibt es zwei Stützpunkte, wo man das tun kann, in Dresden | |
und Rostock. Aber die Deutschen laufen seit 1992, der Olympiapremiere von | |
Shorttrack, fast immer hinterher. Erfolge, vor allem im Einzel, sind | |
äußerst selten. 2011 hat die deutsche Staffel über 5.000 Meter um den | |
Dresdner Robert Seifert die Silbermedaille bei der Weltmeisterschaft in | |
Sheffield gewonnen. Im Jahr zuvor hatte die Staffel mit Bronze die erste | |
WM-Medaille in der Geschichte des deutschen Shorttracks gewonnen. | |
In Sotschi ist Anna Seidel für den Deutschen Eisschnelllauf-Bund (DESG) am | |
Start. „Oh Mann, ich war total überfordert hier“, sagt die 15-Jährige, | |
„aber daraus kann ich ja lernen.“ Tierisch nervös sei sie, die nur 43 Kilo | |
wiegt, gewesen. Sie hatte Angst, Letzte in ihrem Vorlauf über 1.500 Meter | |
zu werden. Seidel wurde Dritte, weil wieder mal eine Konkurrentin | |
ausgerutscht war und sich die Zahnspange tragende Schülerin clever in eine | |
Lücke schieben konnte. Seidel durfte noch mal aufs Eis. Im Halbfinale | |
verbesserte sie trotz ihres letzten Platzes den deutschen Rekord auf | |
2:20,405 Minuten. „Ich bin total zufrieden, das war eine große Sache.“ | |
Anna Seidel kracht auch immer wieder mit Schmackes in die Bande. Vor drei | |
Jahren hatte sie ihren schlimmsten Sturz, im italienischen Bormio. Sie | |
erlitt ein Knochenmarködem. „Soll ich das mal erklären?“, fragt sie, „a… | |
das ist wie wenn man mit einem Löffel ein Ei aufschlägt.“ Seidel genießt | |
den Auftrieb der Journalisten, das Interesse an ihrer Person. „Schön, dass | |
unsere Sportart medienpräsent ist, ich komme gar nicht zur Ruhe.“ Sogar das | |
japanische Fernsehen will etwas von ihr wissen. Wenn sie wieder in | |
Deutschland ist, verschwindet sie mit ihrem Sport in der Nische des | |
Desinteresses. Das geht Viktor An anders. | |
## Acht Jahre auf Gold gewartet | |
Der eingebürgerte Südkoreaner holt an diesem Samstag im Eisberg-Palast Gold | |
über 1.000 Meter, sein russischer Teamkollege Wladimir Grigorew wird | |
Zweiter. Robert Seifert landet auf Platz 29. Die führenden | |
Shorttracknationen Südkorea, China, die USA und Kanada gehen leer aus. Der | |
Olympiasieger über 1.500 Meter, Charles Hamlin aus Montreal, kann nur | |
feststellen, dass er auf einer kleinen Eisplatte ausgerutscht ist, „das ist | |
nun mal so im Shorttrack, da sammelt man sich kurz und weiter geht’s“. | |
Die russischen Fans toben. An weiß, wie er sich zu bedanken hat. Er küsst | |
das Eis. „Ich habe acht Jahre auf die Goldmedaille warten müssen“, jetzt | |
hat er sie sich nach Verletzungen und einer schwierigen Eingewöhnung in | |
Russland geschnappt. Nebenbei hat der 28-Jährige aus dem mittelmäßigen | |
russischen Team ein richtig gutes gemacht. Das Publikum in der | |
Eisberg-Arena liebt ihn dafür. Fast alle kreischen. Was für eine Show! | |
16 Feb 2014 | |
## AUTOREN | |
Markus Völker | |
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