| # taz.de -- Stromae in Berlin: Er ist ein Dandy und ein Optimist | |
| > Stromae gilt als Hoffnungsträger der Popmusik. Beim Konzert in Berlin | |
| > tanzen gleich mehrere Generationen, selbst wenn er von der Finanzkrise | |
| > singt. | |
| Bild: Stomae singt. | |
| In der Schlange vor dem Astra Kulturhaus riecht es nach Bier, Gras, aber | |
| auch nach Kaugummi mit Himbeeraroma. In 20 Minuten wird Stromae auftreten, | |
| der belgische Sänger, der seit dem Nummer-1-Hit „Alors on danse“ von 2009 | |
| als die personifizierte Hoffnung der Popmusik gilt. | |
| Sein Erfolg mag dabei auch an seinem unprätentiösen Charme liegen. „Ich | |
| mache keine keine Trendmusik“, sagte der 28-jährige in einem Interview. | |
| „Ich mache einfach nur Musik.“ Einfach nur Musik ist eine Mischung aus | |
| House, Electropop und Trap, die gerade in Deutschland, wo das Debütalbum | |
| „Cheese“ 2010 die Spitze der Charts erreichte, viele Fans anzieht. Kein | |
| Wunder, dass rund 1.500 Leute gekommen sind und das Konzert seit Monaten | |
| ausverkauft ist. | |
| Drinnen begegnet einem der demografische Querschnitt, den die Gerüche in | |
| der Schlange bereits erahnen ließen. Mütter und Väter, die versuchen, ihre | |
| umherspringenden Kinder zu domestizieren, Hipster mit Baseballcaps und | |
| Mittvierziger in Pullundern, die aussehen, als hätten sie kurz zuvor noch | |
| ein paar Aktien gebrokt. Der Generationenkonflikt, der sich einst anhand | |
| des Musikgeschmacks entlud, ist hier längst überwunden. | |
| In der Haupthalle wird erst mal ausgiebig gewartet. Stromae beherrscht die | |
| Kunst des künstlichen Herauszögerns perfekt. Das regelmäßig aufbrandende | |
| Gejubel des unruhigen Publikums kann den Konzertbeginn nicht beschleunigen. | |
| Nach 40 Minuten Verspätung geht es endlich los. Auf der Bühnenleinwand | |
| taucht eine schwarz-weiße Comic-Silhouette des Sängers auf, begleitet von | |
| einem grollenden Basston. Drei Musiker mit Zylindern treten hinter die | |
| asymmetrisch angeordneten Synthesizer und diversen E-Drum-Vorrichtungen, | |
| bevor Stromae Messias-artig die Bühnenmitte betritt. Dann setzt ein | |
| durchdringender Housebeat ein. | |
| Die Stimmung hat sich jetzt zwischen ausgelassen und kontrolliert | |
| eingependelt. Die Jugend tanzt und hüpft, die Älteren kanalisieren ihre | |
| Begeisterung in subtilem Kopfnicken. Stromae, dessen Stimme gelegentlich | |
| unter den treibenden Techno-Bassdrums vergraben wird, ist ein virtuoser | |
| Entertainer. Er gibt Tanzstile vor, mimt den Vorklatscher und sucht | |
| zwischen allen Songs das Gespräch mit dem Publikum sucht. „Wie geht es dir, | |
| Berlin?“ Ganz gut eigentlich, außer, dass mir der Vater, auf dessen | |
| Schultern ein Kind turnt, erneut auf den Fuß getreten ist. | |
| ## Ein androgyner Roboter | |
| Immer wieder variiert der Sänger seine Kleidung, was sein dandyhaftes | |
| Auftreten in den Musikvideos widerspiegelt. Seine Tanzschritte, perfekt | |
| synchronisiert mit dem stakkatoartigen Gedresche seiner Mitmusiker, wirken | |
| dabei genauso roboterhaft wie androgyn – fast wie eine Kreuzung aus Pharell | |
| Williams und Prince. | |
| Kurz vor Schluss erreicht die Tanzbereitschaft ihren Siedepunkt: Der Hit | |
| „Alors on danse“, ein entschleunigter Housebeat mit einem nicht allzu | |
| kitschig verfremdeten Saxofon, wird mithilfe eines aus 90er-Ravehits | |
| bestehenden Medleys ausgedehnt. Die Diskrepanz zwischen den überdreht | |
| euphorischen Beats und den Texten könnte gerade jetzt kaum größer sein. | |
| „Alors on danse“ handelt von Arbeitslosigkeit, Schulden und der | |
| Finanzkrise. Vermutlich ist Stromae genau deshalb einer der wenigen | |
| Popstars, die zum milieu- und staatenübergreifenden Konsens fähig sind. | |
| ## Schöne Müdigkeit | |
| Denn trotz des gesellschaftskritischen Zerrspiegels, den er seinen Hörern | |
| vorhält, bleibt er Optimist. So sagte er zuletzt in einem Interview: | |
| „Melancholie ist Traurigkeit mit Würde. Das bedeutet, dass es irgendwann | |
| wieder besser werden kann.“ Besser werden muss es jetzt gar nicht mehr, | |
| denn nach 90 Minuten und vier Zugaben sind nicht nur diejenigen müde, die | |
| zu dieser Zeit längst schlafen würden, sondern auch die vom Büroalltag | |
| geschundenen Wirbelsäulen. | |
| „Also ich hätte gedacht, dass es ein bisschen mehr Band gibt“, hatte ein | |
| Typ in der Mitte des Konzerts zu seinem Kumpel gesagt. „Das kommt bestimmt | |
| noch“, erwiderte dieser. Es kam dann nicht mehr. Da blitzte er doch dann | |
| kurz auf, der Generationenkonflikt. Aber wer braucht schon eine Band, wenn | |
| die elektronischen Bassdrums so schön in die Magengrube drücken. | |
| 19 Feb 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Philipp Rhensius | |
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