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# taz.de -- Forschung zu sozialen Netzwerken: Ein Lügendetektor für Twitter
> Forscher wollen mit der Software Pheme Falschmeldungen filtern. Das soll
> Journalisten helfen. Aber auch die Medizin könnte davon profitieren.
Bild: Pheme, die griechische Göttin der Gerüchte, gossipt in den Dresdner Nac…
BERLIN taz | Soziale Netzwerke sind gespickt mit Halbwahrheiten, Gerüchten
- und mit Fakten. Letztere in Echtzeit herauszufiltern, ist bislang
unmöglich. Das möchte das europäische Forschungsprojekt [1][Pheme] ändern.
Seit Januar arbeiten internationale Wissenschaflter an einem Programm, das
falsche Tweets in sozialen Netzwerken automatisch aussortieren soll.
„Primär geht es darum, ein Werkzeug zur Verfügung zu stellen, um fragliche
und manipulative Inhalte zu identifizieren und damit schnellere und bessere
Entscheidungen zu treffen“, sagt Arno Scharl, Professor für Neue Medien
Technologie in Wien.
Damit könnte Pheme speziell Daten-Journalisten dabei helfen, mit enormen
Datenmengen umzugehen. Bei unübersichtlichen Großereignissen wie zuletzt
den Unruhen in der Ukraine sammeln sich in den sozialen Netzerken Unmengen
an Informationen. Der Wahrheitsgehalt dieser Nachrichten ist dabei für den
Einzelnen meist nur schwer festzustellen. Mit einem algorithmischen Filter
könnte Pheme das erleichtern, so die Forscher.
Um das zu erreichen, wollen Scharl und seine Kollegen die Eigendynamik von
Nachrichten in den sozialen Netzwerken verstehen. Wie schnell breitet sich
ein Thema aus, wie lange dauert es, bis die ersten kritischen Kommentare
publiziert werden, wie hoch ist der Anteil der Pro/Contra Argumente.
Verbreitungsmuster könnten dann erste Aufschlüsse über den Charakter von
Informationen geben. „Aus vergangenen Beobachtungen kann das System dann
lernen, jene Quellen und Themen zu identifizieren, die vielfach für
Falschmeldungen verantwortlich zeichnen“, so Scharl.
## Gerüchte auf Twitter halten sich hartnäckig
Britische Forscher analysierten die Entwicklung von [2][Falschmeldungen auf
Twitter] während der Straßenunruhen in London vor drei Jahren. Das
Ergebnis: Gerüchte, wie das London Eye stünde in Flammen, wurden schnell
und unhinterfragt weitergeleitet. Trotz früher Gegendarstellungen war die
Falschmeldung erst nach längerer Zeit enttarnt. Twitter-Gerüchte halten
sich hartnäckig.
Mit Pheme wollen die Wissenschaftler jetzt programmierbare Merkmale
entwickeln, um den Wahrheitsgehalt einer Nachricht schneller zu bestimmen.
Die EU fördert das Projekt mit knapp drei Millionen Euro. Ein erster
Prototyp der Software soll bereits bis Ende nächsten Jahres fertig sein.
Pheme soll beim Filtern künftig so vorgehen: Zunächst wird ein Tweet selbst
auf Aussage, Stil und sprachliche Eigenschaften hin untersucht. Der Inhalt
des Textes wird dann mit entsprechenden Informationen von
vertrauenswürdigen Online-Datenbanken verglichen. In einem letzten Schritt
untersucht Pheme die Verbreitung der Nachricht selbst. Wer schreibt
worüber, und von wem wird der Tweet weiterverschickt. So sollen chronische
Falschmelder oder falsche Twitter-Accounts möglichst rasch entlarvt werden.
„Wenn das Projekt aus der Menge der Tweets einen Wahrheitsgehalt ableiten
will, dann wird womöglich aus einer oft getweeteten Lüge plötzlich die
Wahrheit“, sagt Martin Virtel, Datenjournalist bei [3][Open Data City] und
Dozent für Multimedia-Journalismus. Denn auch Pheme arbeitet am Ende nur
mit einem Algorithmus. Dessen Vermögen, Wahrhaftigkeit aus Tweets
abzuleiten, ist für Virtel begrenzt: „Wahrheit hat mit dem sozialen Kontext
zu tun und mit etwas, das nicht in einem Text steht. Das ist meistens das
Dilemma von künstlicher Intelligenz.“
## Mehr Erkenntnis? Mehr Daten!
Mediendozent Virtel begrüßt das wachsende Interesse an sozialen Netzwerken.
Für ihn stehen Wissenschaftler und Journalisten hier am Anfang ihrer
Arbeit: „Eine der größten Herausforderungen ist, informationstechnisch zu
verstehen, was da passiert.“ Die Auswertung von Daten durch
Filter-Programme führe nicht zu mehr Erkenntnis, sondern vor allem zu neuen
Daten. „Wir erfahren nicht mehr über die Welt, wir haben mehr Daten über
die Welt“, so Virtel. Das sei ein großer Unterschied. Abseits von
ökonomischen Verwertungsinteressen ist es für den Journalisten daher
wichtig, die Bedeutung von und die Geschichten hinter den Datenmengen zu
erfahren.
Eine weitere Zielgruppe der Pheme-Forscher sind neben Journalisten auch
Mediziner. Denn mithilfe der Software sollen nicht nur aktuelle
Nachrichtenlagen gefiltert werden. Auch langfristige Prozesse,
beispielsweise die Ausbreitung bestimmter Krankheiten und deren
Dokumentation in den sozialen Netzwerken, sollen mit dem Programm besser
nachzuvollziehen sein. Im Idealfall könnte Pheme so bei der Bekämpfung von
Epidemien helfen.
Die Wissenschaftler stehen mit diesen Ideen noch am Beginn ihrer Arbeit.
Thierry Declerck vom Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz
sagt: „Wir wollen uns zunächst darauf konzentrieren, wie ungesichertes
Wissen und kontrovers diskutierte Ereignisse oder Tatbestände in den
sozialen Medien automatisch zu erkennen sind.“ Erst dieses Wissen erlaubt
es später, weitere Ideen umzusetzen. Aber auch das geht am Ende nicht
vollautomatisch.
Schließlich soll Pheme keine Polizei-Software für das Internet werden. „Am
Schluss“, so Declerck, „wird immer ein Mensch eine Entscheidung für seine
konkrete Anwendung treffen müssen.“ Für Daten-Journalisten bedeutet das:
Pheme könnte schon bald ihre Recherche erleichtern, aber es wird sie ihnen
nicht ersparen.
3 Mar 2014
## LINKS
[1] http://www.pheme.eu/
[2] http://www.theguardian.com/uk/interactive/2011/dec/07/london-riots-twitter
[3] http://opendatacity.de/
## AUTOREN
Lukas Meyer-Blankenburg
## TAGS
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