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# taz.de -- Stress am Arbeitsplatz: Multitasking führt zu Pfusch
> Wer mehrere Dinge gleichzeitig bewältigen muss, macht mehr Fehler. Auch
> Selbstkontrolle und Fehlerkorrektur leiden darunter, sagt eine Studie.
Bild: Das mit dem „Multitasking“ ist ein Mythos.
BERLIN taz | Zwei Minuten. Zwei Minuten braucht man, um sich wieder einer
Aufgabe konzentriert zuzuwenden, wenn man dabei für drei Minuten
unterbrochen wurde. Darauf weist die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin (BAuA) hin. Unterbrechungen und Überlappungen sind zu einer
Last im Arbeitsleben geworden, wo eine Büromitarbeiterin in einem
mittelständischen Unternehmen im Schnitt etwa 42 E-Mails am Tag bekommt.
Die gleichzeitige Kommunikation auf mehreren Ebenen, oft als Multitasking
bezeichnet, verschlechtert Arbeitsergebnisse auch deswegen, weil die
Fehlerberichtigung, also gewissermaßen die Selbstüberwachung der
Mitarbeiter, darunter leidet. Dies zeigt [1][eine Studie der BAuA.] Bei
Tätigkeiten mit weitreichenden Fehlerkonsequenzen ist „unbedingt vom
sogenannten Multitasking abzuraten“, schreibt die Arbeitsforscherin Xenia
Weißbecker-Klaus in der Studie.
Für das Forschungsdesign sollten 47 Probanden aus zwei Altersgruppen zum
einen eine verbale Aufgabe lösen, in der sie in Wortpaaren Synonyme
erkannten und dies auch mit einer Ansage bestätigten. Gleichzeitig mussten
sie in einer Grafik mit mehreren Pfeilen die Richtung des mittleren Pfeils
erkennen und per Knopfdruck bestätigen.
Es wurden also sowohl die akustischen und verbalen als auch die optischen
und manuellen Wahrnehmungs- und Handlungskanäle simultan mit
unterschiedlichen Anforderungen belastet, so wie es im Büroalltag auch oft
vorkommt.
Doch trotz dieser experimentell angestrebten simultanen Verarbeitung
stellte sich heraus, dass die beiden Prozesse, die bewusste Handlungen
erfordern, im Zentralnervensystem nicht gleichzeitig ablaufen, sondern
nacheinander. Hirnphysiologisch ist eine gleichzeitige Verarbeitung nicht
möglich. Vielmehr springt das Hirn in raschem Wechsel zwischen den Aufgaben
hin und her, ein anstrengendes Unterfangen. Simultanes „Multitasking“ gibt
es also gar nicht.
## Verringerte Reaktionsgeschwindigkeit
Wurden die Aufgaben nun deutlich zeitlich getrennt voneinander angeboten,
verarbeiteten die Probanden Fehler, indem sie anschließend ihre
Reaktionsgeschwindigkeit verringerten – ein durchaus normaler Vorgang.
Sollten sie die Aufgaben aber gleichzeitig lösen – also im sogenannten
Multitasking – verminderten sie die Geschwindigkeit auch nach Fehlern
nicht, sondern machten einfach weiter, als wäre nichts geschehen.
Dies ist ein deutliches Zeichen einer Überforderung. „Vor allem dann, wenn
beide Aufgaben kontrollierte Verarbeitung erfordern, muss beim Multitasking
von einem potenziellen Risiko ausgegangen werden, dass ein Teil der Fehler
nicht erkannt und nicht behoben wird“, schreibt Weißbecker-Klaus.
Wenn das sogenannte Multitasking aber mehr Fehler hervorbringt, müssen die
Jobbedingungen entschärft werden, etwa in Verwaltungen mit hoher
Arbeitsverdichtung, in denen Zahlungsbescheide ausgestellt werden, oder in
Krankenhäusern, in denen man Diagnosen und Behandlungen dokumentiert.
## Fehlerüberwachung versagt
Für das Experiment waren zwei Altersgruppen gebildet worden im Alter
zwischen 50 bis 65 und 20 bis 35 Jahren. Die Älteren waren generell etwas
langsamer. Bei nicht automatisierten Aufgaben gelinge es aber weder dem
jungen noch dem älteren Gehirn zwei Prozesse gleichzeitig zu verarbeiten
und dabei eine reibungslose Fehlerüberwachung zu realisieren, berichtet die
Forscherin.
Die BAuA-Studie reiht sich ein in frühere Forschungsergebnisse, wo dem
sogenannten Multitasking schon ein schlechtes Zeugnis ausgestellt wurde.
Unter dem Begriff subsumierten die Forscher dabei gleichzeitig oder
überlappend gestellte Aufgaben oder Störungen einer konzentrierten
Tätigkeit.
Möglicherweise verschlechtern häufige Arbeitsunterbrechungen sogar die
Konzentrationsfähigkeit. Personen, die auf der Arbeit häufig mehrere
Anforderungen gleichzeitig erledigen müssen oder häufig gestört werden,
hatten in Studien größere Schwierigkeiten, zwischen den Aufgaben hin und
her zu wechseln als Testpersonen, die eher selten Medien wie Computer,
Telefon und Gedrucktes gleichzeitig nutzen.
## Der Mythos hält sich
Obwohl die Studienergebnisse die Fehleranfälligkeit feststellen, sind
Multitasker häufig von der Effektivität ihrer Leistung überzeugt, zeigen
frühere Erhebungen. Der Mythos der produktiven Multitasker hält sich dabei
ebenso wie die Legende von den Frauen, die angeblich, bedingt durch die
Gleichzeitigkeit von Hausarbeit und Kinderbetreuung, besonders gut darin
sein sollen, mehrere Dinge gleichzeitig zu erledigen.
Forscher der Universität Glasgow stellten in Experimenten fest, dass Männer
zwar etwas langsamer darin waren als Frauen, Aufgaben am Computer zu
bearbeiten, wenn diese miteinander verschachtelt waren. Im Alltag aber
waren Männer und Frauen gleich gut und gleich schlecht, um Aufgaben wie
eine Restaurantsuche, eine Kopfrechnung und ein Telefonat gleichzeitig zu
erledigen.
Immerhin zwei Drittel der Bürobeschäftigten klagen über
Mehrfachbelastungen. Die Therapien in den Burnout-Kliniken vermitteln
interessanterweise Anti-Stress-Strategien, die genau das Gegenteil sind vom
Multitasking. In Meditationen beispielsweise lernen die Patienten, sich auf
genau eine einzige Sache wie den Atem oder das Zählen zu konzentrieren und
alles andere auszublenden, um damit zur Ruhe zu kommen.
1 Mar 2014
## LINKS
[1] http://www.baua.de/de/Publikationen/Fachbeitraege/F2247.html
## AUTOREN
Barbara Dribbusch
## TAGS
Arbeitsschutz
Schlaf
Hysterie
Bosch
Arbeitsbedingungen
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