# taz.de -- Eskalation in Libyen: Angst vor einem neuen Krieg | |
> Sturm aufs Parlament, Morde an Soldaten und christlichen Ausländern: | |
> Dschihadistische Extremisten profitieren von dem Versagen des Staates in | |
> Libyen. | |
Bild: Ausgebranntes Auto vor em Parlamentsgebäude in Tripolis. | |
TRIPOLIS taz | Es sind symbolhafte Szenen, die sich am Sonntag im libyschen | |
Kongress abgespielt haben. Junge Männer stürmten die Räume des | |
Übergangsparlaments und schlugen die Einrichtung kurz und klein. Auf dem | |
Parkplatz brannten die Limousinen der verängstigten Abgeordneten. Drei von | |
ihnen wurden schwer verletzt. | |
Der Sturm auf den 2012 demokratisch gewählten Kongress ist vorläufiger | |
Höhepunkt der eskalierenden Lage in Libyen, in der scheinbar keine | |
politische Gruppierung die Oberhand gewinnen kann. Die Bürger sind von | |
ihren Volksvertretern enttäuscht. | |
Nur 1,1 von rund 3 Millionen Wahlberechtigten hatten sich für die Wahl der | |
verfassunggebenden Versammlung registrieren lassen, knapp die Hälfte ging | |
am 20. Februar tatsächlich an die Urnen. Anders als auf den Straßen Libyens | |
konnten sich bei der Abstimmung wieder moderate Kandidaten durchsetzen. 13 | |
der 60 Plätze blieben jedoch unbesetzt. | |
Die Minderheiten der Tobu und Berber boykottieren die verfassunggebende | |
Versammlung und fordern mehr Rechte. Im ostlibyschen Derna hinderten | |
Islamisten die Bürger daran, ihre Stimmen abzugeben. Fünf Wahllokale wurden | |
von ferngezündeten Bomben verwüstet. Ein Mann, der ein Wahllokal schützen | |
wollte, wurde erschossen. | |
Der Terror der Dschihadisten überschattet den ansonsten reibungslosen | |
Ablauf in über 1.000 Wahllokalen. „Wir haben wieder bewiesen, dass Libyen | |
friedliche und gut organisierte Wahlen abhalten kann, nur fehlte jegliche | |
Unterstützung des Kongresses und der Regierung“, beschwerte sich Nurri | |
Elabar, der Chef der Wahlkommission HNEC und legte sein Amt nieder. | |
## Angriffe auf Schönheitssalons | |
Die Öffentlichkeit polarisiert sich. Wütende Bürger protestieren gegen die | |
eigenmächtige Verlängerung des Mandats der Abgeordneten. Diese versuchen, | |
Premierminister Ali Seidan loszuwerden, der den im Kongress dominierenden | |
ultrakonservativen Muslimbrüdern zu liberal ist. Nach einer Entführung und | |
ständigen Drohungen lässt sich Seidan kaum noch in seinem Amtssitz blicken. | |
Immer prekärer wird die Lage in der östlichen Provinz Cyrenaika. Die | |
Hafenstadt Derna steht unter Kontrolle von Milizen wie Ansar al-Scharia und | |
der sogenannten Islamischen Armee. Unbekannte attackieren Schönheitssalons, | |
Aktivisten und Repräsentanten staatlicher Einrichtungen, Ladenbesitzer | |
müssen mittlerweile Schutzgelder zahlen. Vergangene Woche wurden neun | |
christliche Ausländer regelrecht exekutiert. | |
In den Straßen Bengasis stehen sich islamistische Milizen und die | |
Spezialeinheiten der Armee gegenüber. Die schlecht ausgerüsteten | |
Saiqa-Soldaten stehen gegenüber den Milizionären auf verlorenem Posten. | |
## Wenig Erwartungen an das Treffen der „Freunde Libyens“ | |
54 Armeeangehörige fielen allein in diesem Jahr Anschlägen zum Opfer. Seit | |
der Entführung des Sohnes von Saiqa-Kommandeur Wanis Bukhamada ist klar, | |
dass der Kampf mit allen Mitteln geführt werden wird. „Es ist doch eine | |
kaum zu überbietende Absurdität, dass beide Seiten, die | |
Saiqa-Spezialeinheit und einige islamistische Gruppen, vom Staat bezahlt | |
werden, ursprünglich um diese einzudämmen“, sagt ein Journalist aus | |
Bengasi, der einen neuen Krieg befürchtet. Seit der Entführung des Sohnes | |
eines Kollegen möchte er anonym bleiben. „Das völlige Versagen des Staates | |
nutzt den Extremisten, die Ostlibyen als Basis für ein Kalifat von Mali bis | |
Syrien auserkoren und in Libyen ein Netzwerk aufgebaut haben.“ | |
In der Hauptstadt streiten sich derweil Parlamentspräsident Nouri | |
Abusahmain und Ali Seidan, wer die Delegation leiten soll, die ihr Land auf | |
der Konferenz der „Freunde Libyens", einer westlichen Staatengruppe, | |
repräsentiert. Bei dem Außenministertreffen in Rom soll eine neue | |
Sicherheitsstrategie erarbeitet werden. Die Hoffnung auf Hilfe aus dem | |
Westen haben viele Aktivisten aufgegeben. „Sie haben Libyen den religiösen | |
Extremisten aus Katar und Saudi-Arabien übergeben und lassen uns seit drei | |
Jahren im Stich“, sagt Aktivist Mohammed aus Bengasi enttäuscht. | |
4 Mar 2014 | |
## AUTOREN | |
Mirco Keilberth | |
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