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# taz.de -- Mutter über Mütter: Diktatoren und Kampfhunde
> Menschen mit Kindern nerven nicht nur. Sie leiden auch: unter meckernden
> Omas, vollen Fahrstühlen und unter dem Druck der eigenen Spezies.
Bild: Die Gattung der MmKs: Menschen mit Kindern.
Rücksichtslose, Kinderwagen schiebende Nachtwesen. Eltern sind Menschen,
denen man es nie recht machen kann und die immer noch mehr verlangen. Dabei
nervt kaum etwas mehr als ein schreiendes Baby in der Schlange an der Kasse
oder das aufgeregte „Dutzidutzidu“ einer Mittdreißigerin im Berufsverkehr.
Doch wer etwas sagt oder die Augen verdreht, wird umgehend mit Blicken
getötet.
Und auch ich finde manchmal: Dummheit und Intoleranz sind da noch die
schwächste Form der möglichen Beschimpfungen. Bei so wenig Nächstenliebe
gegenüber Müttern wie mir wünsche ich mir manchmal klarere
gesellschaftliche Normen, die uns alle besser miteinander umgehen lassen.
In dunklen Momenten, wenn niemand mir Platz gibt, wünsche ich mir gar die
Diktatur der Eltern.
Es ist früh, ich habe es eilig. Rasend nähern mein Kinderwagen und ich uns
dem Aufzug. Tür schließt, ich draußen, drinnen zehn Menschen, die eindeutig
auch laufen könnten. Bevor sie hinabsinken, werfe ich jedem Einzelnen von
ihnen noch meinen gefürchteten Todesblick zu. Schmoren sollt ihr in der
Hölle. Eine Frau mit türkis getuschten Lidern blickt mich erschrocken an.
So weit ist es gekommen: Menschen haben Angst vor Eltern. Vor allem vor
solchen im öffentlichen Raum.
Ich verstehe die Gefühle den gemeinen Eltern gegenüber. Unsympathisch bis
bemitleidenswert sind sie. Meistens wissen wir ja selbst nicht, wer oder
was oder wie wir sein möchten. Auf der einen Seite der Skala befinden sich
die dogmatischen Super-Eltern, die ihre in Nachfolgemenschen verwandelte
DNA als einen Schatz betrachten, den zu würdigen der Rest der
nichtsnutzigen Menschheit nicht in der Lage ist. Tausend Euro für einen
recycelbaren Kinderwagen sind bei ihnen keine Investition, sondern eine
Selbstverständlichkeit.
Auf der anderen Seite tummelt sich die Gattung der MmKs – Menschen mit
Kindern. Das sind Erwachsene, die aus unerfindlichen Gründen kleine
Menschen bei sich führen, die leider auch Raum und Verständnis in Anspruch
nehmen. Dazwischen befinden sich viele seltsame Mischformen, die irgendwie
versuchen, weder in die eine noch in die andere Schublade zu passen.
## Keine Zeit zum Coolsein
Dabei rutschen sie aber, so wie ich, ständig hin und her. Mal erwarte ich
größten Respekt und bloß keine Widerrede. Ein anderes Mal möchte ich
einfach nur zur großen Gruppe der Nutzer des öffentlichen Nahverkehrs
gehören. Ich verbringe so viel Zeit mit dem Gefühl, mich einordnen zu
müssen, dass mir keine Zeit zum Coolsein bleibt.
Die blaugeschminkte Dame aus dem Lift tut mir umgehend leid. Ich könnte ja
auch einfach geduldig auf den blöden Fahrstuhl warten. Die Minute macht den
ohnehin schon großen Zu-spät-komm-Kohl nun auch nicht mehr fett. Ich rege
mich aber darüber auf, dass dieser Lift eigentlich für Menschen wie mich
gemacht ist. Und für Rollstuhlfahrer. Nicht für faule, kerngesunde
Alleinstehende ohne Gepäck. In deren Augen sind Eltern doch nur diejenigen,
die schubsen, drängeln und Platz wegnehmen. Die haben doch keinen Respekt
vor mir. Aus der Reue ist umgehend wieder Wut geworden.
Und wozu führt diese Unsicherheit mit der eigenen Rolle? Dass ich manchmal
selbst Angst vor anderen Eltern habe, also vor meiner eigenen Spezies. Ich
fühle mich von anderen Kindsbehütern beobachtet, bewertet und abgemahnt.
Obwohl ich doch faktisch zu ihnen gehöre.
## Schippe auf Po
Ich spüre die Blicke, die amüsiert auf meiner dreckigen Hose und den wirren
Haaren ruhen. Ich nehme wahr, dass Eltern sich scheuen, ihre Kinder zu
schimpfen, weil die mit der Schippe auf meinen Po eindreschen: „Das macht
der immer so. Ist ja noch ein Kind.“ Ich wiederum habe Scheu, mit meiner
Tochter und anderen Kindern zusammen zu spielen. Die Befürchtung, deren
Eltern könnten mein unausgeklügeltes Spielkonzept, das ich „Labern“ nenne,
als pädagogisch wertlos verurteilen, ist zu groß.
Als ich an dem Tag des vollen Fahrstuhls dann doch noch vom Bahnsteig
runterkomme, gesellt sich eine andere Kinderwagenfrau mit selbst
gestrickter, bunter Bommelmütze, Getränkehalter und Ökofußsack fürs Kind zu
mir. Alles sieht lustig aus, als wäre sie die beste Freundin ihres Kindes.
Ich weiß aber, dass sie hart dafür arbeitet, möglichst entspannt
auszusehen. Eindeutig befindet sie sich näher als ich am Skalenende der
Hyper-Eltern.
Sie will sich mit mir solidarisieren und sagt halbherzig mit Münchner
Näseldialekt: „Die Leute sind überhaupt nicht umsichtig. Keiner hilft uns.
Schlimm ist das.“ Ich muss mich kurz wegdrehen, um für mich die Augen
aufzureißen. Vielleicht wird es tatsächlich immer schlimmer, dann aber weil
Frauen wie diese Dame einfach zum Fürchten sind. Hätte ich keine Kinder,
würde ich auch machen, dass ich von Furien wie der wegkomme. Weil ich sie
nicht beleidigen will, schweige ich ein Loch in den Fahrstuhl. Ich fühle
mich in diesem kleinen auf und ab gleitenden Glasgehege ein bisschen wie im
Zoo.
## Spielplatz-Challenge
Kinderlosen, die sich an Sonntagen langweilen, rate ich oft, doch mal beim
Spielplatz vorbeizuschauen. Da ist es nämlich ein bisschen wie im
Affengehege. Ein großes Behüten, Verteidigen und Auffallen durch Geschrei.
Wo auch sonst, es gibt ja kaum soziale Rückzugsorte, wo wir Eltern einfach
mal so sein können, wie wir sind. Hinter den Kampfhund-Abwehrzäunen haben
Eltern endlich die Gelegenheit, soziale Verhaltensmuster auf niedrigstem
Niveau zu reproduzieren.
Ein Beispiel: Wenn Eltern eine Stunde lang mit mir zusammen in der Kälte
gestanden haben, jedes Rutschen kommentiert und auf Knien nassfeuchten Sand
in Förmchen gesteckt haben, entwickelt sich eine Art wortlose Challenge:
Wer zuerst nach Hause geht, hat verloren.
An dem Wochenende vor der Fahrstuhlfahrt nahm ich an einem Dreiercontest
teil – eine Mutter, ein Vater und ich schubsten fröstelnd die Schaukeln an.
Endlich blies die andere zum Abmarsch, nur noch der Vater und ich kämpften
unerbittlich um den Titel „Bester Elternteil des Abends“. Das Kind der
Gehenden schien geradezu erleichtert und fragte mit bläulichen Lippen: „Ja,
ich will nach Hause. Krieg ich dann meinen Rapunzel Schlaftee?“ Statt
einfach zuzustimmen, säuselt die perfekt geschminkte Mutter mit
inszenierten Schmolllippen: „Aber ich dachte, wir malen noch mit
Fingerfarben.“
Ich musste eine Runde mit Anschubsen aussetzen, mich wegdrehen und für mich
die Augen aufreißen. Damit hatte sie die Challenge eindeutig gewonnen.
Einen Teufel würde ich tun, mich jetzt noch mit meiner Tochter zu Hause
hinzusetzen, um ihre Feinmotorik zu trainieren, indem ich mit Küchenpapier
alle zwei Sekunden die Kolorierung unseres Wohnzimmers zu verhindern suche.
## Schlechtes Gewissen? Ja
Als sich hinter Super-Mom endlich das winzige Schwingtürchen des
Spielplatzzauns schloss, schlichen der Vater und ich, die beiden
Superversager, umgehend nach Hause. Kind noch schnell waschen, wickeln, ab
ins Bett und mit einem Glas Wein raussetzen, vielleicht noch eine rauchen.
Genau so würde mein Abend aussehen. Und ich freute mich darauf. Schlechtes
Gewissen? Ja. Wie so oft fühlte ich mich beobachtet, in dem, was ich tue
und wie ich es tue.
Als die Fahrstuhltür sich schließlich öffnet und die andere Mutter und ich
endlich auf der Straße angekommen sind, frage ich sie, was sie von einer
Diktatur der Eltern halten würde. Ihre großen Kulleraugen starren mich
erschrocken an, ich muss mich wohl erklären.
„Oft träume ich von einem System, in dem meine Rolle als Mutter klar
definiert ist“, beginne ich. „Ich will nicht mehr zweifeln. Ich will die
Diktatur der Eltern. In der Diktatur der Eltern gibt es nämlich eigene
Gehwegabschnitte für Kinderwagen. In der Diktatur der Eltern gibt es weder
Barrieren noch meckernde Omas noch Regenwetter. In der Diktatur der Eltern
ist es ganz einfach, abends um sechs auch mal mitten im Supermarkt stehen
zu bleiben, weil das Kind gerade rumheult. Niemand wird die Augen
verdrehen, genervt mit der Zunge schnalzen oder sich gerade noch an einem
vorbeiquetschen. Die Sterneköche werden ungewürztes Tatar für die kleinen
Gäste anbieten, und Gefahren wie Autos, Hunde oder heiße Herdplatten werden
einfach abgeschafft.“
Während am Ende meines Plädoyers die Autos für uns am Zebrastreifen halten,
überlegt sie kurz. Sie wägt ab, sagt dann aber entschlossen: „Es ist doch
bereits so. Die Welt wird immer kinderfreundlicher. Du verlangst nur noch
mehr, als es ohnehin schon gibt, und deshalb bist du unzufrieden.“ Sofort
ist sie mir wieder unsympathisch. Ich soll unzufrieden sein – dass ich
nicht lache! Ich blicke zu den immer noch wartenden Autos, nicke ihnen
dankend zu, denke aber bei mir: „Möchte ja wohl sein!“
25 Mar 2014
## AUTOREN
Hanna Maier
## TAGS
Kinder
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Gesundheit
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