| # taz.de -- 204.-209. Tag FDLR-Kriegsverbrecherprozess: Funksprüche und Bodens… | |
| > Ein FDLR-Funker aus Ostkongo erzählt, wie er von seiner Führung eine | |
| > Ankündigung des Angriffs auf das Dorf Busurungi erhielt – und einiges | |
| > mehr. | |
| Bild: Die FDLR nutzte Funkgeräte der Marke ICOM 707. | |
| STUTTGART/BERLIN taz | Zeuge Y kennt die internen Funktionswege der FDLR | |
| (Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas) besser als so mancher Zeuge, | |
| der bisher im Prozess gegen die beiden FDLR-Führer Ignace Murwanashyaka und | |
| Straton Musoni vor dem OLG Stuttgart aufgetreten ist. Jahrelang war Y | |
| Funker der FDLR in der ostkongolesischen Provinz Süd-Kivu. | |
| Er hat eine klassische Karriere hinter sich: Soldat in Ruandas | |
| Regierungsarmee FAR vor dem Völkermord 1994, Flucht in den Kongo, dann nach | |
| Brazzaville, dann wie viele andere ruandische Hutu-Soldaten im Exil | |
| zurückgeholt von Kongos Kabila-Regierung zum Einsatz in den Provinzen | |
| Equateur und Katanga und von 2002 bis zu seiner Flucht aus den Reihen der | |
| FDLR 2010 im Ostkongo stationiert. | |
| Y wird sechs Tage lang, vom 20. Januar bis 5. Februar 2014, in Stuttgart | |
| als Zeuge befragt, per Videoschaltung aus Ruanda, in einem Gerichtssaal in | |
| Kigali in Anwesenheit eines deutschen BKA-Beamten, ohne ruandische | |
| Offizielle und ohne Aufzeichnung, wie der Beamte versichert. | |
| Lange Stunden dreht sich die Befragung um die Details des Funkens: mit | |
| welchen Geräten, welchen Abläufen, welchen Regeln, welchen Vorgaben und | |
| Formaten. Die FDLR ist schließlich eine regulär organisierte Armee, da | |
| gelten militärische Dienstvorschriften. | |
| ## Zehn Funksprüche am Tag | |
| Jeden Tag, erinnert sich Y an die relevanten Jahre 2008 und 2009, kamen in | |
| seinem Büro auf seinem Funkgerät der Marke ICOM 707 mit einer Reichweite | |
| von rund 200 Kilometern rund zehn Funksprüche an. Sie wurden dekodiert und | |
| dem Kommandeur vorgelegt, der dann entscheidet, ob sie in ein eigens dafür | |
| erstelltes Buch aufgeschrieben werden. Die Bücher mit den Funksprüchen | |
| werden nach zwei, spätestens drei Jahren verbrannt. | |
| Es gibt vier verschiedene Verschlüsselungscodes innerhalb der FDLR: eine | |
| für Süd-Kivu, eine für Nord-Kivu, eine für die Kommunikation zwischen dem | |
| Oberkommando und den Divisionskommandeuren und eine für die Kommunikation | |
| des Oberkommandos mit allen Einheiten direkt. Die Codes wurden regelmäßig | |
| gewechselt. | |
| Interessant ist für das Gericht dabei vor allem das Massaker von Busurungi, | |
| bei dem die FDLR in der Nacht vom 9. zum 10. Mai 2009 mindestens 96 | |
| Zivilisten töteten. Der Befehl zu dem Angriff, sagt Y, kam vom Kommandeur | |
| des militärischen FDLR-Flügels FOCA, also GEneral Sylvestre Mudacumura - | |
| aber letztendlich, sagt er, stammte er "vom Präsidentenamt", also vom | |
| Angeklagten, FDLR-Präsident Ignace Murwanashyaka in Deutschland. Denn | |
| Murwanashyaka musste Mudacumuras Befehle genehmigen. | |
| Konkret bestand der Befehl an die FDLR-Kämpfer darin, erinnert sich der | |
| Zeuge, "dass man alles machen soll, um sich zu verteidigen und die Soldaten | |
| und Zivilisten des Kongo zu demoralisieren". Der Funkspruch ging an alle | |
| Einheiten, drei Tage vor dem Angriff aus Busurungi: "dass eine Operation | |
| vorbereitet wird, die sehr erfolgreich sein wird und die Regierung und | |
| Zivilisten des Kongo demoralisieren wird". | |
| Zeuge Y beharrt darauf, der Angriff auf Busurungi sei am 10. Juni erfolgt, | |
| nicht am 10. Mai - aber daraus entspannt sich kein größerer Streit. | |
| Vielmehr versucht die Verteidigung, Y in Widersprüche zu verwickeln, was | |
| allerdings nicht gelingt. | |
| ## "Ich habe diese Nachricht ins Buch eingetragen" | |
| Y will die Nachricht zum Angriff auf Busurungi persönlich entgegengenommen | |
| haben - er war zwar in Süd-Kivu und Busurungi liegt in Nord-Kivu, aber die | |
| Nachricht ging an alle Einheiten. Er saß zwar nicht selbst am Funkgerät, | |
| als sie einlief, aber "ich habe diese Nachricht ins Buch eingetragen und | |
| zum Kommandeur gebracht". | |
| Direkt am Funkgerät saß er hinterher, sagt Y: Da "gab es eine Nachricht an | |
| die Soldaten die am Angriff beteiligt waren, sie zu beglückwünschen". Die | |
| toten Zivilisten wurden im Glückwunsch nicht erwähnt. | |
| "Ins Buch eingetragen", sagt Y, hat er auch den berüchtigten Befehl der | |
| FDLR an ihre Kämpfer, eine "humanitäre Katastrophe" anzurichten - der Kern | |
| der Anklage. Er bestätigt auf Vorlage der UN-Abschrift dieses Befehls, ihn | |
| damals gesehen zu haben. Andere Zeugen haben das in der Vergangenheit | |
| verneint.kam von FOCA-Komnmando, weitergeschickt an Divisionen dann an | |
| Batrillone "ich erinnere mich genau, dass wir die Nachricht an die | |
| Bataillone weiterleiteten" | |
| Was war das Motiv der FDLR für Angriffe auf kongolesische Zivilisten, mit | |
| denen sie zuvor jahrelang zusammengelebt hatten? "Die Zivilisten, die | |
| akzeptierten, die FARDC (Kongos Regierungsarmee) zu empfangen, wurden als | |
| Feind betrachtet," bestätigt der Zeuge ähnliche Aussagen früherer Zeugen. | |
| "In den Augen der FDLR war jeder ruandische Soldat, jeder kongolesische | |
| Soldat und jeder kongolesische Zivilist der auf ihrer Seite war, ein Feind | |
| und musste erschossen werden. Sie sahen sie es so, dass wenn viele | |
| kongolesische Soldaten sterben, es viel berichtet wird, und dadurch werden | |
| die Angriffe gegen die FDLR weniger". | |
| An anderer Stelle führt Y aus: "Die Zentren (Siedlungen von Zivilisten) | |
| mussten angegriffen werden, damit die Zivilbevölkerung sich beschwert und | |
| die FARDC die Angriffe stoppt, denn man sagte die Angriffe kommen von | |
| Ruanda." | |
| ## Wie die FDLR Zivilisten ausplünderte | |
| Übergriffe der FDLR auf Zivilisten gab es aber auch jenseits von | |
| Kriegstaktik - es gehörte auch zur Überlebensstrategie der Miliz. Y | |
| bestätigt, dass die FDLR Zivilisten die Ernte abnahm, Geld, Tiere, | |
| Lebensmittel. An Straßensperren wurde Wegezoll von 50 bis 100 | |
| kongolesischen Franc erhoben - wer nicht zahlen konnte, saß fest. | |
| Öffentlich habe die FDLR das immer bestritten. | |
| Y beschreibt genau, welches FDLR-Bataillon in Süd-Kivu an welchen Orten | |
| Straßensperren unterhielt: das 1. in Murenge nahe Uvira, das 2. in | |
| Kilungutwe, das 3. in Kilembwe. Die Einheiten durften 5 Prozent der | |
| Einnahmen an Straßensperren behalten, der Rest musste abgeliefert werden. | |
| Die Miliz trieb auch Handel - meist mit "Alkohol oder Bodenschätzen", so Y. | |
| Das 3. Bataillon in Süd-Kivu kontrollierte Goldminen in Misisi und Nunga; | |
| das Gold wurde über den Tanganyika-See nach Tansania geschmuggelt. Das 2. | |
| Bataillon kontrollierte die Coltanmine Kakanga. | |
| ## Gereizter Ton im Gerichtssaal | |
| Einige dieser Einzelheiten hat Y auch schon Ermittlern des Internationalen | |
| Strafgerichtshofs in Den Haag erzählt. Die Frage des Umgangs mit | |
| Erkenntnissen des Strafgerichtshofs und der Aktenzugang dazu bietet viel | |
| Anlass für Streit zwischen Verteidigung, Anklage und Senat, wie überhaupt | |
| der Ton immer wieder sehr gereizt ist. Als Murwanashyakas Verteidigerin | |
| Ricarda Lang den Senat "kleingeistig" nennt, kommt es fast zum Eklat. | |
| Von der schlechten Stimmung profitiert vor allem der Zeuge: Er weigert sich | |
| am 5. Tag seiner Befragung schlicht und ergreifend, auf direkte Fragen von | |
| FDLR-Präsident Murwanashyaka zu antworten. Das müsse er nicht, sagt er. | |
| Große Empörung wiederum bei der Verteidigung. Der Senat sagt: der Zeuge ist | |
| in Ruanda, da kann man nichts machen. | |
| Am 6. und letzten Tag schließlich lässt Y sich doch von Murwanashyaka | |
| direkt befragen. "Jetzt kann ich es akzeptieren, aber sie sollen mich als | |
| Mensch sehen und mich mit Respekt behandeln", sagt er. | |
| Die Befragung durch den FDLR-Präsidenten besteht vor allem daraus, ihn nach | |
| bestimmten Personen innerhalb der FDLR zu fragen - ob er sie kennt, welchen | |
| Rang sie hatten, welche Funktion. Auch nach Ortsnamen und Vorgängen während | |
| der zweiten kongolesischen Armeeoffensive gegen die FDLR im Sommer 2009, | |
| genannt "Kimia 2", werden abgefragt. | |
| ## Antrag gegen taz-Berichterstatterin abgelehnt | |
| Zum Abschluss wird ein Antrag der Verteidigung, taz-Berichterstatterin | |
| Bianca Schmolze sowie die für mehrere Menschenrechtsorganisationen tätige | |
| Prozessbeobachterin Lea Boos als Zeugen zu laden, abgelehnt. Die | |
| Verteidigung hatte den haltlosen Vorwurf erhoben, beide stünden in | |
| E-Mail-Kontakt mit dem deutschen Zeugenbeistand vor Ort. Zudem wurde | |
| behauptet, dass "die ruandische Regierung durch Kontakte von Herrn Johnson | |
| über den Inhalt der Hauptverhandlung informiert wird". | |
| Der Senat erkannte in diesen Behauptungen "lediglich nicht durch Tatsachen | |
| belegte Unterstellungen" und wies in seiner Ablehnung des Antrags darauf | |
| hin, dass entgegen der Auffassung der Verteidigung ein Zeugenbeistand | |
| durchaus befugt sei, sich persönlich oder über dritte über eine öffentliche | |
| Hauptverhandlung zu informieren. | |
| 17 Apr 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Bianca Schmolze | |
| Dominic Johnson | |
| ## TAGS | |
| FDLR | |
| Busurungi | |
| Ignace Murwanashyaka | |
| Schwerpunkt Kongo-Kriegsverbrecherprozess | |
| FDLR | |
| FDLR | |
| FDLR | |
| FDLR | |
| FDLR | |
| FDLR | |
| FDLR | |
| FDLR | |
| Schwerpunkt Kongo-Kriegsverbrecherprozess | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| 226.-227. Tag FDLR-Kriegsverbrecherprozess: „Ignace, wir müssen reden“ | |
| Wie der Präsident und der Vizepräsident der FDLR sich am Telefon streiten | |
| und entfremden, wenige Monate vor ihrer Verhaftung. | |
| 210-219 Tag FDLR-Kriegsverbrecherprozess: Der Sekretär weiß alles | |
| Ein zentraler Ex-Mitarbeiter des militärischen FDLR-Hauptquartiers packt | |
| aus: von der Vorgeschichte bis zur Verhaftung des Präsidenten. | |
| Drei Jahre FDLR-Kriegsverbrecherprozess: Im Dschungel der Beweismittel | |
| Der Prozess gegen die beiden ruandischen FDLR-Milizenführer in Stuttgart | |
| geht in sein viertes Jahr. Eine Zwischenbilanz. | |
| 201.-203. Tag FDLR-Kriegsverbrecherprozess: Der „kleine Weiße“ | |
| Ein ehemaliges Mitglied des FDLR-Generalstabs erklärt, wie der in Stuttgart | |
| angeklagte FDLR-Präsident instrumentalisiert wurde. | |
| 11.-19. Tag FDLR-Unterstützerprozess: Post aus dem afrikanischen Weltkrieg | |
| Der Angeklagte U. hatte eine Mitgliederliste der Exilpartei RDR und stand | |
| selbst drauf. Und er bekam Post von seinem im Kongo kämpfenden Großneffen. | |
| 5.-10. Tag FDLR-Unterstützerprozess: Lebensgeschichten aus dem Exil | |
| Während sich die drei Angeklagten in Düsseldorf streiten, erklären sie ihre | |
| Biografien: Sie bewegen sich zwischen Vereinsmeierei und Coltanhandel. | |
| 193. -200. Tag Kongo-Kriegsverbrecherprozess: Befehlsgewalt oder nicht? | |
| Das OLG Stuttgart bezweifelt, dass FDLR-Präsident Murwanashyaka aus | |
| Deutschland heraus Kriegsverbrechen im Kongo hätte verhindern können. | |
| 189.-192. Tag Kongo-Kriegsverbrecherprozess: „Sie können hinfliegen und frag… | |
| Der ehemalige FDLR-Militärchef Paul Rwarakabije kommt erneut nach | |
| Stuttgart. Er will aber nicht über alles sprechen, wonach er gefragt wird. | |
| Hintergrund Kongo-Kriegsverbrecherprozess: Das Massaker von Busurungi | |
| Das ostkongolesische Dorf Busurungi wurde in der Nacht vom 9. zum 10. Mai | |
| 2009 dem Erdboden gleichgemacht, zahlreiche Menschen starben. Was geschah | |
| genau? |