# taz.de -- Graffiti mit Drohnen: Sprayer außer Kontrolle | |
> Der Graffiti-Künstler Katsu experimentiert mit einer sprühenden Drohne. | |
> Die Ergebnisse sind unkontrolliert und zufällig. | |
Bild: Drohnenbild „Memory“ (2014, Ausschnitt). | |
Gegner bedienen sich gerne derselben Waffen. Während Drohnen von | |
staatlichen und privaten Betreibern zur Überwachung und Kriegsführung | |
eingesetzt werden, experimentiert der New Yorker Graffiti-Artist Katsu mit | |
der Nutzung von Drohnen, um noch die entlegensten Ecken mit Farbe zu | |
erreichen. | |
Auf der Silicon Valley Contemporary Art Fair stellte der Künstler in der | |
vergangenen Woche die fliegende Verlängerung seines Armes vor. [1][Ein | |
Video von der Veranstaltung] zeigt, wie der mit einer Spraydose bestückte | |
Quadrocopter vor der Leinwand auf und ab tanzt. Beschwert durch das | |
zusätzliche Gewicht der Dose sackt er ab, schwankt, kollidiert mit der | |
Leinwand und fängt sich wieder, den Sprühregen aus Farbe dabei immer auf | |
das Weiß gerichtet. | |
Das Resultat erinnert an eine Mischung aus Pollock’schem Action Painting | |
und Spritztechnik mit Sieb und Zahnbürste. Für den Künstler steht es jedoch | |
für die eine Weiterentwicklung eines Genres – und für den Versuch, Mensch | |
und Maschine gemeinsam Kunst schaffen zu lassen. „Das was ich schaffe, kann | |
nur durch diesen bizarren Tanz zwischen mir, der versucht, die Drohne zu | |
kontrollieren, und der Drohne, die ihr eigenes Ding macht, erreicht | |
werden”, erklärt Katsu im Interview mit dem Center for the Study of the | |
Drone des New Yorker Bard College. | |
„Ich kann nicht komplett kontrollieren, was die Drohne macht.“ Anfangs | |
versucht er, seine Drohne ein Graffiti malen zu lassen. Der Versuch | |
scheitert, zu sehr kämpft die Drohne mit dem zusätzlichen Gewicht, das sich | |
beim Leeren der Dose zudem verändert. Ein Tag zeichnen, die Signatur des | |
Künstlers, seine Reviermarke? Unmöglich. Zu gering ist die Kontrolle des | |
Steuernden über die Drohne. Glaubt man Katsu, zeichnet gerade das sein Werk | |
aus. Der Kontrollverlust wird zum künstlerischen Charakteristikum. | |
## Revier markieren | |
Als Sprayer ist Katsu, der seine Aktionen demonstrativ als Vandalismus | |
bezeichnet, auf einer nicht enden wollenden Suche nach neuen Wegen, mit | |
denen er seinen Namen, sein Reviermarke, im öffentlichen Raum verbreiten | |
kann. Aufmerksamkeit erlangte er [2][mit dem Einsatz von umfunktionierten | |
Feuerlöschern, die großformatige Tags auf dem Museum of Contemporary Art in | |
Los Angeles hinterließen], aber auch der Infiltrierung des digitalen Raums. | |
Sein Tag findet sich im Open-World-Spiel Minecraft ebenso wie auf Picassos | |
„Girl before a Mirror“ [3][im New Yorker Museum of Modern Art] oder [4][vor | |
dem Weißen Haus] – nachträglich am Computer eingefügt, auf den ersten Blick | |
aber irritierend echt. Der Einsatz einer Drohne entspringt erkennbar dem | |
ungebrochenen Verlangen nach der Eroberung neuer Orte. Höher, weiter, | |
größer: Die Restriktion physikalischer Gesetze lässt der Quadrocopter | |
weitgehend hinter sich. | |
Gleichzeitig steht der Einsatz einer Maschine, die in ihrem Versuch, in der | |
Luft zu bleiben, nicht nur auf den Steuerimpuls des Senders, sondern auch | |
auf Wind und Wetter reagiere muss, für den kontrollierten Kontrollverlust. | |
So gelingt Katsu eine gebrochene Spiegelung der Graffiti- und | |
Street-Art-Tradition, indem er den Entstehungsprozess in den Fokus rückt – | |
und den Zufall zum Einsatz kommen lässt. Die Maschine entzieht sich der | |
kompletten Kontrolle, die Technik wird vom bloßen Trägermedium zum | |
autonomen Störfaktor, ganz so wie der verdeckt operierende und verfolgte | |
Sprayer sich den urbanen Raum autonom angeeignet hat. | |
Kontrollverlust durch den Einsatz von Technologie, die Differenz zwischen | |
Werkidee und Realisation sind Konzepte, die sich auch in den Werken der | |
Generativen Kunst, einem digitalen Spross der Fluxus-Bewegung wiederfinden. | |
Digitalkünstler wie Manfred Mohr, Harold Cohen oder Philip Galanter speisen | |
ihre Ideen in Systeme ein, wie Software, Algorithmen oder vorprogrammierte | |
Maschinen und setzen so Prozesse in Gang, auf deren Verlauf sie keinen | |
Einfluss mehr haben. In den frühen 1960ern ließ der Philosoph Desmond Paul | |
Henry seine Zeichenmaschine den Stift führen und so ohne weiteres Zutun | |
großflächige geometrische Muster erschaffen. | |
## Mensch, Maschine und der Zufall | |
Harold Cohen versucht seit 1973, seinem Computerprogramm Aaron das | |
eigenständige Malen beizubringen – Motiv- und Farbwahl inklusive. Manfred | |
Mohr lässt seinen 6-D-Hyperwürfel von einer Software immer wieder neu | |
zusammensetzen und dabei unvorstellbare Formen entstehen, Fluxus-Pate John | |
Cage schuf Musikstücke, deren Klang völlig unabhängig vom Willen des | |
Komponisten entstand, angestoßen durch die Wahl des Instruments, geformt | |
aber von einem Rascheln oder Räuspern des Publikums, oder aus der Resonanz | |
eines vorbeifahrenden Zuges – und die mitunter aus vollkommener Stille | |
bestanden. | |
Form, Motiv oder Klang, so die Annahme, seien letztlich dynamisch und | |
jederzeit wandelbar; ihr tatsächlicher Zustand ist dem mathematischen | |
Zufall geschuldet – dem technischen Prozess, der zwischen Idee und | |
Ausführung steht. | |
Für Katsu stellt der Einsatz der Drohne so letztlich auch das Konzept der | |
Urheberschaft infrage: Wenn der Künstler die Dose, den Stift, den Taktstock | |
nicht selbst in der Hand hat, wer ist dann für das Geschaffene | |
verantwortlich? Für den Graffiti-Künstler liegt die Antwort auf der Hand: | |
Mensch und Maschine sind gleichermaßen an der Entstehung des Werkes | |
beteiligt. Es ist das Ergebnis eines Prozesses, der gleichzeitig | |
kollaborativ und doch unkontrolliert ist. | |
Die Grenze zwischen Autor und Medium verschwimmt so zunehmend: zumindest im | |
künstlerischen Verständnis. Die Eigentümer der Fassaden, die in Zukunft | |
Ziel von Katsus künstlerischen Drohnenattacken werden könnten, werden die | |
Frage nach der konkreten Verantwortlichkeit sicher sehr eindeutig | |
beantworten und zu entsprechenden Gegenmaßnahmen greifen – und Gegner | |
bedienen sich gerne derselben Waffen. | |
21 Apr 2014 | |
## LINKS | |
[1] http://www.youtube.com/watch?v=7vZzqjKIBNc | |
[2] http://www.youtube.com/watch?v=0I2mX8coJ1c | |
[3] http://www.youtube.com/watch?v=_rEu50n8EDA | |
[4] http://www.youtube.com/watch?v=ogRaRgykVT0 | |
## AUTOREN | |
Katalina Präkelt | |
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