| # taz.de -- Nachruf auf den Sprayer OZ: Der Stadtgestalter | |
| > Walter F. hat über 120.000 Graffiti in Hamburg gesprüht, sein Tag „OZ“ | |
| > ist allgegenwärtig. Nun wurde er von einer S-Bahn erfasst und starb. | |
| Bild: Der Sprayer OZ hinterlässt tausende Graffiti. | |
| HAMBURG taz | Das erste Leben des Walter F. ist schnell erzählt. 1950 wird | |
| er in Heidelberg geboren. Er ist ein uneheliches Kind, er wird seine Mutter | |
| niemals kennenlernen. Er wird abgeschoben in ein katholisches Waisenhaus, | |
| mit 15 kommt er raus, versucht Fuß zu fassen, es geht nicht. | |
| Dann entdeckt er trampend die Welt: Indien, Thailand, Afghanistan. Zurück | |
| in Deutschland, entdeckt er das Sprühen – etwas, mit dem er sich ausdrücken | |
| kann. | |
| F. ist unscheinbar, ein „mittelgroßer Mann“, wie ihn Zeugen später immer | |
| wieder beschreiben. Und er ist einer, den man schlecht versteht, wenn man | |
| ihm nicht zuhören möchte. Er spricht langsam, stockend und mit leicht | |
| süddeutschem Akzent. Gerne hängt er ein „ne?“ oder ein „ge?“ an seine | |
| Sätze. Diese Sätze bleiben ein wenig länger in der Luft, und er nutzt die | |
| Zeit, um zu prüfen, wie viele von ihnen ankommen. | |
| In Hamburg beginnt er, seine Zeichen zu sprühen, ein „O“, ein „Z“, ein | |
| Punkt. Wieder und wieder. Und immer wieder wird er erwischt, festgesetzt, | |
| verurteilt. Acht Jahre werden es sein, die er im Gefängnis verbringt. Ende | |
| der Neunziger wird er zum „Tausendfach-Sprayer“ (Mopo), er wird „der Irre, | |
| über den ganz Hamburg empört ist“ (Bild). | |
| 1999 wird er von der S-Bahn-Wache fast zu Tode geprügelt – einer, der | |
| lächelnde Gesichter auf graue Wände malt. „Ich habe mit mehreren Menschen | |
| gesprochen, und keiner konnte eine gewisse Schadenfreude verbergen“, sagt | |
| Ronald Schill und fordert lebenslänglich. Als Walter F. ins Gefängnis geht, | |
| titelt die Bild: „Endlich im Knast! Tschüss, Schmierfink! Versuch doch mal, | |
| diese vier Wände zu bepinseln!“ | |
| ## Eine Treibjagd | |
| Jetzt beginnt das zweite Leben des Walter F. – das als OZ. „Das war eine | |
| Treibjagd auf mich damals“, erinnert er sich, „doch diese Hetze war auch | |
| ein Antrieb. Da habe ich mir gedacht ,Euch werde ich’s zeigen. Ihr macht | |
| mich nicht platt.‘ Von dieser Schmierpresse lasse ich mich nicht | |
| korrumpieren.“ | |
| Seitdem galt für OZ: er gegen die. Gegen die „braunen Schergen“, die ihn | |
| stoppen wollen. Gegen die „Saubernazis“. Der Kampf ist persönlich und | |
| politisch. Walter F. sprüht weiter, wird zusammengeschlagen, verhaftet, | |
| entlassen, und schon radelt er wieder durch Hamburg mit seinem Rucksack, | |
| ein unscheinbarer Mann mit Schnurrbart und Spraydose. | |
| Fährt man mit Walter F. durch die Stadt, sieht er überall Verlorenes, | |
| Vergangenes, Vernichtetes. „Da waren mal schöne Bilder“, sagt er dann und | |
| deutet auf eine dunkelgraue Wand an einem Kanal, die übersät ist mit beigen | |
| Rechtecken. | |
| Eine Straße weiter ein Klinkerbau mit hellen Flecken. Er bleibt öfter | |
| stehen und zeigt auf Smileys, die von Wänden grinsen oder auf Kringel an | |
| Schulgebäuden. „Keine Ahnung, wer das gemacht hat“, sagt er dann, „aber … | |
| glaube, die Kinder freut das, wenn das bunt ist.“ | |
| ## Überall Grau | |
| Radelt man mit OZ durch die Stadt, sieht man wie er: überall Grau oder | |
| Wieder-grau-Gemachtes. Und man scheitert im Kopf bei einer Rechnung, wie | |
| viele Menschen und wie viel Geld es kostet, all das Bunte grau zu | |
| streichen. Und wie viel Energie. Wie manisch das alles ist. Und warum | |
| eigentlich graue Wände hübscher sein sollen als bunte. | |
| „Es dreht sich nicht um Sauberkeit“, sagt OZ, „es muss alles der Norm | |
| entsprechen. Nazinorm. Sauberkeit und steril. Damals war ja auch alles mehr | |
| oder weniger picobello sauber. Auf der anderen Seite, wie sagt man: von | |
| außen sauber, von innen verkommen. Es gibt welche von denen, die wollen | |
| mich lieber heute als morgen tot sehen. Nur ein toter Sprüher ist ein guter | |
| Sprüher. Das ist schon pervers.“ | |
| „Diese Sprayereien“, sagt einmal ein Richter zu ihm, „mit Kunst hat das | |
| nichts zu tun. Warum hören Sie nicht einfach auf?“ – „Dann würde ich me… | |
| Seele verkaufen“, antwortet Walter F. | |
| Vor einigen Jahren interessieren sich Galerien wie die OZM Gallery für ihn, | |
| um ihn mit den Verkäufen finanziell zu unterstützen. Und um zu zeigen, dass | |
| OZ auch auf der Leinwand etwas zu sagen hat. „Mir ist es egal, ob ich | |
| Künstler bin oder ob ich kein Künstler bin“, sagt Walter F., „ist mir | |
| schnuppe.“ | |
| ## „Vielleicht ein künstlerischer Schmierfink“ | |
| Was er dann sei? „Stadtgestalter“, hat er früher mal geantwortet, jetzt | |
| sagt er: „Vielleicht ein künstlerischer Schmierfink“, und lächelt. „Man | |
| will ja die Stadt auch ein bisschen mitgestalten. Und zwar nicht wie die | |
| Stadt Hamburg. Die ist zwar auch kreativ, in Wilhelmsburg oder in Barmbek, | |
| aber wenn du mal kreativ bist, dann dreht sie durch.“ | |
| Was er wolle? „Ich will Vielfalt statt einfältig, grau und monoton. Wenn | |
| man nicht kontert, dann ist es nur noch grau. Diese Werbefuzzis, die tun | |
| auch nichts anderes, als die ganze Stadt in Anspruch zu nehmen, ne? Da | |
| reden sie nicht von Verschandlung. | |
| Die Werbung, das ist für mich auch eine Art Faschismus mit immer wieder | |
| diesen schönen Menschen auf den Plakaten. Wenn da ein Graffiti dran ist, | |
| werden die Leute abgelenkt. Also muss alles sauber sein, völlig fanatisch | |
| graffitifrei. Die Leute sollen nicht abgelenkt werden von Leuten, die | |
| anders drauf sind. Die sollen alle gleichgeschaltet werden.“ | |
| Walter F. wirkt, als würde er gerne in einem Satz oder gar einem Wort sagen | |
| können, um was es ihm geht. „Bunt“ – vielleicht trifft es das bereits. M… | |
| allem, das in dem Wort vor sich geht. Dazu der Satz: „Manche Wände haben es | |
| bitter nötig.“ Sie werden ihn vermissen. | |
| 26 Sep 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Sven Stillich | |
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