| # taz.de -- Palästina bei der Tischtennis-WM: Die Hoffnung ist klein und orange | |
| > Die Palästinenser haben keinen eigenen Staat, aber eine | |
| > Tischtennis-Nationalmannschaft. Ihr Champion ist erst 19. Seine ganze | |
| > Familie lebt für den Sport. | |
| Bild: Hat noch viel vor: Husam Dufesh beim Training. | |
| HERBRON taz | Ein kahler Raum in Hebron, zwei Männer in Sportklamotten | |
| stehen sich gegenüber, die Blicke konzentriert, die Nerven angespannt. Dem | |
| einen stehen Schweißperlen auf der Stirn. Der andere wird gleich schießen. | |
| Husam Dufesh wirft einen kleinen, orangefarbenen Ball in die Luft – und | |
| spielt ihn so schnell über die Tischtennisplatte, dass der Blick kaum | |
| folgen kann. Keine Chance für den Gegner. Husam lächelt. Das Training läuft | |
| gut. Vor der Mannschafts-WM in Japan ist er in Topform. | |
| An nichts anderes kann der 19-Jährige mehr denken, nur noch an Tokio. Jeden | |
| Tag trainiert er unter den strengen Augen des Vaters, zwei Stunden am | |
| Nachmittag, dann noch zwei bis drei Stunden am Abend. Der junge Mann, die | |
| Frisur selbstbewusst nach oben gegelt, ist der aktuelle | |
| Tischtennis-Champion im Westjordanland. Und die größte Hoffnung der | |
| palästinensischen Tischtennisnationalmannschaft. | |
| Wer das Wort „Palästina“ hört, der denkt an Krieg und Krise, an Checkpoin… | |
| und Soldaten, Oliven und Arafat. An eine Tischtennisnationalmannschaft eher | |
| nicht. Wie auch? Ist doch der rechtliche Status der palästinensischen | |
| Autonomiegebiete noch immer nicht klar definiert, und selbst manch | |
| Einheimischer weiß nicht, wo genau nun eigentlich die Grenzlinien | |
| verlaufen. Eine Tischtennisnationalmannschaft für einen Staat, den es nicht | |
| so richtig gibt. Willkommen im Westjordanland. | |
| „Mir ist die ganze Politik doch egal!“, sagt Radi Al Shareef, 42, offiziell | |
| der Nationaltrainer. „Das Einzige, was mich interessiert, ist Tischtennis.“ | |
| Normalerweise sagt er nicht viel, lieber spielt er und lächelt | |
| zurückhaltend, während ein Tischtennisschläger im Miniformat um seinen Hals | |
| baumelt. | |
| Radi, so könnte man sagen, ist der stille Chef jener skurrilen | |
| palästinensischen Tischtennis-Boygroup, die sich heute in der Sporthalle | |
| der Stadtverwaltung zum Training eingefunden hat. Wie ein breiter, sanft | |
| wankender Schrank wuchtet er sich durch den kahlen Saal, die Hände tief in | |
| den Taschen seiner Sporthose vergraben. Ab und an durchbricht ein derber | |
| Witz Radis Zurückhaltung. Den Palästinensern mag es an Perspektiven fehlen, | |
| an Humor mangelt es nicht. Dann grinst Radi breit, während der Rest der | |
| Mannschaft sich vor Lachen halb über den Boden wälzt. | |
| Zu diesem Rest zählen an diesem Abend auch noch: Basel Maraqa, 32, der | |
| kleine, dicke Pausenclown des Teams und frühere Champion, der immer zu viel | |
| redet. Hazem Al Shareef, 36, ein dünner, langer Typ, der mittlerweile | |
| ausgerechnet in China lebt, aber viel lieber in der Heimat spielt und | |
| ebenfalls mal Champion war. Und dann ist da noch Kamel Dufesh, 47, Husams | |
| Vater, den man stets in Trainingsanzug antrifft, auch wenn er gerade in | |
| seinem Taxi Kunden durch die Straßen Hebrons kutschiert, und der seinen | |
| Sohn mit ehrgeiziger Hartnäckigkeit und starrer Miene trainiert, weil er | |
| weiß, welche Chancen der Sport bietet. | |
| ## Schon der dreijährige Bruder spielt | |
| Kamels komplette Familie ist verrückt nach den kleinen Bällen – Husams | |
| Schwester Haneen war der weibliche Tischtennis-Champion im vergangenen | |
| Jahr, und selbst der dreijährige Bruder Youssef in seinem Adidas-Minianzug | |
| weiß schon, wie er eine anständige Vorhand spielen muss. Im Hinterzimmer, | |
| zwischen alten Decken und anderem Gerümpel, hat der Vater für seine Söhne | |
| auf engstem Raum eine Platte aufgestellt; die Familie setzt ihre ganze | |
| Hoffnung auf Husam. Der wiederum steckt alle Hoffnung in seinen Sport. | |
| Am Morgen nach dem Training sitzt der Champion im Wohnzimmer der | |
| elterlichen Wohnung zwischen einem ganzen Dutzend Familienpokalen und | |
| fummelt vorsichtig einen Schläger aus einer Plastikfolie. „400 Euro!“, sagt | |
| Husam ernst, „das hier ist ein internationales Modell!“ Und zwar nicht | |
| irgendeins. Sondern ein Timo-Boll-Schläger von dessen Firma Butterfly, mit | |
| der Nummer N001734IC02, die Beschichtung 2,1 Millimeter dick, Made in | |
| Japan. Unten in der Ecke prangt die krakelige Unterschrift Bolls. | |
| Husam verehrt den deutschen Spieler, „es gibt einfach keinen, der besser | |
| ist“. Manchmal schaut er sich mit seinem Kumpel YouTube-Videos von Boll im | |
| Internet an. Für Husam steht Boll für Tischtennis auf höchstem Niveau und | |
| Deutschland für „viel Grün, viele Seen“ – und für eine Profikarriere. … | |
| der träumt Husam. So eine Karriere ist in seinem Land in etwa so | |
| realistisch wie das Ende der Besetzung durch Israel; gerade erst beendete | |
| Israel die Friedensverhandlungen mit der Palästinensischen | |
| Autonomiebehörde. | |
| „Husam spielt sehr schnell, genau auf den Punkt, das ist seine große | |
| Stärke“, erklärt Basel, der frühere Champion, während der aktuelle sich | |
| noch immer seinem Schläger widmet. „Er spielt besser als ich, als sein | |
| Vater, ach, als wir alle zusammen! Er hat das Spiel im Griff. Husam hat | |
| sein Topniveau erreicht, er braucht bessere Trainingsbedingungen.“ | |
| ## Verzwickte politische Lage | |
| Doch das ist angesichts der verzwickten politischen Lage schwierig. Gerade | |
| in Hebron ist sie kritisch. An keinem anderen Ort leben radikale jüdische | |
| Siedler und Palästinenser so eng beieinander. Seit den 90er Jahren ist die | |
| Stadt in zwei Hälften geteilt. Fast täglich entlädt sich die Spannung | |
| zwischen beiden Lagern gewaltsam. Fliegende Steine, Tränengas und Schikanen | |
| gehören zum Alltag der Palästinenser wie der Ruf des Muezzin. Alles ist an | |
| diesem Ort politisch – auch Husams Sport. | |
| Denn wäre die politische Situation eine andere, könnten Trainer Radi und | |
| seine Mannschaft aus dem Westjordanland mal wieder mit den Kollegen aus | |
| Gaza spielen, so wie sie es zuletzt vor über zehn Jahren getan haben. Radis | |
| Bruder, Vizepräsident der Palestine Table Tennis Association, trüge nicht | |
| den Spitznamen „Arafat des Pingpong“. Husam, der junge Champion, könnte | |
| unter besseren Bedingungen trainieren. Und die Tischtennis-Boygroup um | |
| Kamel, Radi und Hazem hätte nicht von ihrer holprigen Reise nach Ägypten zu | |
| erzählen, während der zweiten Intifada: Ganze drei Tage brauchten sie | |
| damals, um an einem Turnier der Arabischen Liga in Kairo teilzunehmen. „Um | |
| uns herum starben die Menschen“, erinnert sich Hazem, „während wir nur zu | |
| unserem Turnier wollten. Wir haben die Soldaten angefleht, uns | |
| durchzulassen.“ | |
| Der Arafat des Pingpong, Radwan Al Shareef, ist denn auch der Erste, der | |
| das Thema Politik offen anspricht. Der 52-Jährige empfängt zum Gespräch in | |
| seinem Büro; dunkles Holz und schwere Polstermöbel, ein riesiges Bild der | |
| berühmten Al-Aksa-Moschee an der Wand, die palästinensische Flagge als | |
| Miniaturausgabe auf dem Schreibtisch. „Wir sind anders als die anderen“, | |
| sagt Radwan, noch bevor er gefragt wird, „wir sind nicht nur Athleten. Wir | |
| haben eine Botschaft, die allen Palästinensern gemein ist. Wir wollen der | |
| Welt zeigen, dass wir hier sind!“ | |
| ## Ein Riesensymbol | |
| Würde Husam bei der diesjährigen Weltmeisterschaft gewinnen, so schiebt er | |
| noch hinterher, wäre das ein Riesensymbol. „Aber es ist natürlich unmöglich | |
| für ihn, zu gewinnen.“ Da macht der Vizepräsident sich gar keine | |
| Illusionen. So sei das Leben unter der Besetzung eben, „natürlich haben wir | |
| hier keine optimalen Trainingsbedingungen“, erklärt er und hebt die Hände | |
| zum Himmel, „uns fehlt das Geld dafür, und wir brauchen für alles eine | |
| Genehmigung von den Israelis. Wir könnten noch nicht mal ein | |
| internationales Turnier in unserem eigenen Land veranstalten.“ | |
| Trotzdem ist Al-Shareef stolz auf seine Nationalmannschaft. Insgesamt 50 | |
| Mitglieder, Männer und Frauen, Jungen und Mädchen, zählt das Team momentan. | |
| 64 verschiedene Tischtennisteams gehören allein der Liga im Westjordanland | |
| an, in Gaza sind es noch mal 30. Husam, der Champion, spielt bei Ahli | |
| al-Khalil, momentan Platz 9 der Liga im Westjordanland. Wieso aber ist | |
| ausgerechnet der Sport der kleinen Bälle in Palästina so beliebt? „Weil | |
| Tischtennis so schön ist“, sagt Radwan, so als gäbe es nur diese eine | |
| mögliche Antwort. „Und weil es ein Sport ist, den jeder spielen kann. Man | |
| braucht kein großes Material und nicht viel Platz.“ | |
| Dann springt er auf, öffnet die Schublade seines Schreibtischs und fingert | |
| ein kleines gerahmtes Bild in Schwarz-Weiß heraus. Mit viel Mühe lässt sich | |
| ein junger Jassir Arafat erkennen, der einen Tischtennisschläger schwingt. | |
| Radwan liebt Arafat, mindestens genau so sehr wie den Sport. | |
| „Wir brauchen den Frieden“, sagt Radwan, „mehr als jeden Sieg im | |
| Tischtennis.“ Er gönnt sich noch einen versonnen Blick auf sein Bild. Dann | |
| schiebt er Arafat zurück in die Schublade. | |
| 28 Apr 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Esther Göbel | |
| ## TAGS | |
| Palästina | |
| Tischtennis | |
| Westjordanland | |
| Amateursport | |
| Tischtennis | |
| Tischtennis | |
| Schwerpunkt Nahost-Konflikt | |
| Benjamin Netanjahu | |
| Fußball-EM 2024 | |
| Tischtennis | |
| Tischtennis | |
| Fußball-EM 2024 | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Tischtennis-EM in Portugal: Europas Chinesen | |
| Das deutsche Team reist ersatzgeschwächt zur EM. Die Mannschaft um Dimitrij | |
| Ovtcharov gehört dennoch zu den Favoriten. | |
| Tischtennis mit neuen Bällen: New Balls please | |
| In China sind zweifarbige Bälle im Gespräch. Unterdessen ersetzt der | |
| internationale Tischtennisverband Zelluloid- durch Plastikbälle. Ein | |
| Materialtest. | |
| Gewalt gegen Palästinenser: „Du kriegst eine Kugel in den Kopf“ | |
| Ein Video aus Hebron hat eine breite Debatte über die israelische Besatzung | |
| ausgelöst. Es zeigt einen Soldaten, der sein Gewehr auf palästinensische | |
| Jugendliche richtet. | |
| Kommentar Abbas und Netanjahu: Wir sind die einzigen Opfer | |
| Mahmud Abbas hat den Holocaust als das größte Verbrechen der modernen | |
| Geschichte gewürdigt. Netanjahus Reaktion darauf ist ein Desaster. | |
| Bilanz der Tischtennis-EM: Reif für die Wachablösung | |
| Dimitrij Ovtcharov gewinnt den Einzelwettbewerb. Damit rundet die neue | |
| deutsche Nummer eins den historischen Erfolg des DTTB-Teams ab. | |
| Tischtennis-Europameisterschaft: Nominierung nach Aussehen? | |
| Die Goldmedaille für das deutsche Frauenteam kam auch dank eingebürgerter | |
| Chinesinnen zustande. Das führt zu einer schrägen Debatte. | |
| Tischtennis-WM in Paris: Die Krux mit der Übermacht | |
| Am Ende gewinnen immer die Chinesen. Die Deutschen träumen davon, dieses | |
| Diktum bei der Weltmeisterschaft in Paris außer Kraft zu setzen. | |
| Tischtennis Europameisterschaft: Und wieder macht's der steife Bock | |
| Timo Boll spaziert durch die Europameisterschaft und erfreut sich selbst am | |
| eigenen Spiel. Seine Anerkennung für die Gegner ist umso sportlicher. |