# taz.de -- Tischtennis-WM in Paris: Die Krux mit der Übermacht | |
> Am Ende gewinnen immer die Chinesen. Die Deutschen träumen davon, dieses | |
> Diktum bei der Weltmeisterschaft in Paris außer Kraft zu setzen. | |
Bild: Deutscher Hoffnungsträger in Paris: Dimitrij Ovtcharov. | |
Werner Schlager ist der [1][Grandseigneur der Tischtennis-Szene]. Wo der | |
mittlerweile 40 Jahre alte Österreicher auch auftaucht, in den Sporthallen | |
rund um den Erdball schlägt ihm die größtmögliche Anerkennung entgegen. Die | |
Liste der Gründe dafür ist lang. Er führte die Weltrangliste an, sammelte | |
nationale und internationale Titel wie andere Schallplatten, er eröffnete | |
federführend in seiner Heimat eines der modernsten Trainingszentren der | |
Welt, galt zeit seiner Karriere als fairer und gewiefter Sportsmann. Und | |
und und. | |
Das schlagkräftigste Argument für Schlagers Sonderstellung ist jedoch noch | |
ein anderes: Er ist der letzte Europäer, gar der letzte Nicht-Chinese, der | |
in seiner Sportart Einzelweltmeister werden konnte. Zehn Jahre ist das | |
jetzt her. In Paris war das. Im Palais Omnisports. | |
Am Dienstag kehren die [2][Welttitelkämpfe an ebenjenen Ort zurück]. Nach | |
Paris-Bercy. In den Palais Omnisports. Und mit ihnen der Jubilar Schlager. | |
Zwar spielt der 49ste der Weltrangliste auch in fortgeschrittenem Alter | |
noch einen sehenswerten Ball, seine inoffizielle Funktion aber ist dieses | |
Mal eine andere: Er dient vor imposanter Kulisse als lebender Beweis dafür, | |
dass der Wettkampf gegen die Übermacht China kein vollkommen aussichtsloser | |
ist. Er ist nicht weniger als der personifizierte Glaube an eine sportliche | |
Überraschung. | |
Dass es diese Zuversicht noch gibt, ist bei weitem nicht | |
selbstverständlich. Die Spieler aus dem Reich der Mitte gewinnen seit einem | |
Jahrzehnt alles, was es auch nur zu gewinnen gibt. Besonders die junge | |
Generation an europäischen Topspielern kennt unterlegene Chinesen nur von | |
staubigen VHS-Kassetten. Noch aussichtsloser gehen im Übrigen Europas | |
Frauen auf die Jagd nach WM-Gold: Die letzte Weltmeisterin aus Europa war | |
Angelica Rozeanu – 1955, in Utrecht. | |
## Dominanz einer Bastion | |
In kaum einer anderen Sportart ist die Dominanz einer Nation so massiv wie | |
im Tischtennis. Spanier verlieren im Fußball, Amerikaner im Basketball, | |
Kanadier im Eishockey. Chinesen im Tischtennis eigentlich nie. Gesucht wird | |
in den sieben Wettkampftagen von Paris also ein neuer Werner Schlager. | |
Der Europäer, der den übermächtigen Chinesen die lange Nase zeigt. Und | |
gefunden werden könnte er in Deutschland: Mit Timo Boll und Dimitrij | |
Ovtcharov entsendet der Deutsche Tischtennis-Bund (DTTB) die beiden besten | |
Spieler seines Kontinents. Auf ihnen ruhen die Blicke und Hoffnungen | |
Europas und Nicht-Chinas. | |
Außer seinen eigenen Akteuren sieht Deutschlands Herren-Bundestrainer Jörg | |
Roßkopf „aktuell keine anderen europäischen Spieler, die den Chinesen | |
gefährlich werden können“. Aus Roßkopf, einst selbst Widerständler gegen | |
die übermächtigen Asiaten der 90er Jahre, spricht das Selbstvertrauen von | |
zahlreichen Erfolgen der jüngsten Vergangenheit. Nie war das deutsche | |
Männer-Tischtennis in der Spitze und in der Breite besser. | |
Neben dem ewigen Kapitän Boll, gefühlter hundertfacher Europameister, noch | |
immer Nummer fünf der Weltbestenliste und mit 32 Jahren im besten | |
Wettkampfalter, hat das auch ansonsten hochkarätig besetzte Team mit dem | |
Siebtbesten der Welt, dem 24-jährigen Ovtcharov, eine zweite Speerspitze | |
hinzubekommen. Der eine gewann bei der letzten WM vor zwei Jahren in | |
Rotterdam Bronze, der andere bei den letzten Olympischen Spielen in London. | |
Das sind mehr als achtbare Erfolge. Nur: Die Titel holten sich andere. Die | |
Chinesen eben. | |
## Die deutschen Athleten waren nie besser | |
Genau das ist die Krux an der Sache. Nicht nur die deutschen Athleten waren | |
nie besser. Auch die Chinesen waren es womöglich nie. Und anders als bei | |
den Olympischen Spielen, bei denen im Tischtennis nur zwei Starter eines | |
Landes antreten dürfen, sind bei Weltmeisterschaften bis zu sieben Akteure | |
einer Nation startberechtigt. Ein Kontingent, das die Chinesen voll | |
ausschöpfen. | |
„Die Einzel-WM ist das anspruchsvollste Turnier. Uns erwartet die geballte | |
asiatische Kraft“, sagt DTTB-Sportdirektor Dirk Schimmelpfennig. Soll | |
heißen: Alle sieben chinesischen Männer sind potenzielle Weltmeister. | |
Roßkopf sprach nach der Ziehung des Tableaus am Samstag sehr zufrieden von | |
einer „guten Auslosung, bei der Timo und Dima im Normalfall das | |
Viertelfinale erreichen sollten“. Bis dahin werden sie nicht auf Chinesen | |
treffen. Danach mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit schon. Dann | |
geht es um die angestrebten Medaillen – oder im besten Fall gar um den | |
WM-Titelgewinn. | |
Schlager verfolgt derweil die Entwicklung seines vielleicht | |
hoffnungsvollsten Nachfolgekandidaten genau. Er sehe bei Ovtcharov „noch | |
Defizite im mentalen Bereich, die bei einer Großveranstaltung | |
überproportional gewichtet werden müssen“, sagte er jüngst dem Fachmagazin | |
Tischtennis. | |
Der Deutsche wird Schlager vor den entscheidenden Partien von Paris aber | |
sicherlich über den Weg laufen, um bei ihm persönlich einen finalen Rat | |
ersuchen zu können. Dafür ist der Exweltmeister schließlich auch vor Ort – | |
wenn er die Angelegenheit für den Alten Kontinent schon nicht mehr selbst | |
erledigen kann. | |
14 May 2013 | |
## LINKS | |
[1] http://www.wsa-tt.com/werner-schlager.html | |
[2] http://ittf.com/competitions/competitions2.asp?Competition_ID=2190&cate… | |
## AUTOREN | |
Jan Lüke | |
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