# taz.de -- Debatte um Rechtspopulismus: Chimären der Feldforschung | |
> Um nationale Vorurteile und Propaganda gegen die Einwanderung drehten | |
> sich die Römerberggespräche in Frankfurt. | |
Bild: Spontaner Entschluss: 22 Afrikaner erhalten Kirchenasyl aufgrund der Gesp… | |
„Ausgrenzung und Eindämmung. Alte Ressentiments, neuer Nationalismus in | |
Europa“, lautete das Thema der Frankfurter Römerberggespräche im Vorfeld | |
der Wahlen zum EU-Parlament. Dort werden rechtsradikale und | |
rechtspopulistische Parteien zwar keine dominierende, aber eine starke | |
Position einnehmen. Denn die Bankenkrise, die Überschuldung einiger | |
EU-Staaten und die katastrophalen wirtschaftlichen Aussichten der südlichen | |
Länder von Bulgarien, Rumänien und Griechenland über Italien und Spanien | |
bis Portugal haben den Rechtsparteien Auftrieb verschafft. | |
Ebenso wie die sozialen Konflikte, die aus Niedergang und Stagnation | |
erwachsen. Dieser Auftrieb wird noch verstärkt durch den | |
Wohlstandschauvinismus in den reichen Ländern des Nordens. | |
Der profilierte Migrationsforscher Klaus J. Bade machte auf die Wirkung von | |
„unchristlich-asozialen Kampagnen“ gegen „Armutsmigration“ und die | |
„Einwanderung in unsere Sozialsysteme“ aufmerksam, wie sie die CSU in | |
Bayern zur Selbstprofilierung gegenüber NPD und AfD führt. | |
## Einwanderung schadet den Herkunftsländern - nicht Deutschland | |
Empirisch stichhaltig ist gar nichts an solchen Brandstifterkampagnen: 60,2 | |
Prozent der Einwanderer aus Rumänien gehen einer | |
sozialversicherungspflichtigen Arbeit nach, nur 5,2 Prozent sind arbeitslos | |
und nur 4,7 Prozent Sozialhilfeempfänger – also weniger als Deutsche im | |
Durchschnitt. 86 Prozent der „Sozialbetrüger“ in Bayern – die prominenten | |
und weniger prominenten Steuerbetrüger nicht mitgerechnet – sind Deutsche. | |
Die Einwanderung schadet nicht Deutschland, wie die Propaganda meint, | |
sondern den Herkunftsländern. Allein aus Rumänien und Bulgarien kamen | |
20.000 Pflegekräfte und 30.000 Ärzte, die das dortige Gesundheitssystem | |
fast funktionsunfähig machen. | |
Und entgegen dem Vorurteil konnte Bade überzeugend darlegen, dass die | |
Integration der Einwanderer im Großen und Ganzen funktioniert. Sie verläuft | |
allerdings unorganisiert und unübersichtlich nach einer eigenen Dynamik, | |
die ihre Schattenseiten hat: Der Bildungssektor als wichtigster Motor der | |
Integration ist auf allen Ebenen vom Kindergarten bis zu den Hochschulen | |
unterversorgt. Die Zeche zahlen nicht nur, aber vor allem die Einwanderer, | |
denen das Wort „Migrationshintergrund“ von Politik und einfältigen Medien | |
wie ein Strafregisterauszug buchstäblich an die Stirn geheftet wird. | |
Gegenüber dem brillanten Vortrag hatten es die anderen Referenten schwer. | |
Die Frankfurter Kulturanthropologin Susanne Schröter vertrat die These, | |
Aufklärung über die Realitäten in der Einwanderungsgesellschaft schütze | |
nicht vor nationalen Vorurteilen und anderen Ressentiments mit dem etwas zu | |
schlichten Argument, jeder wolle „der Bessere sein“ und „die Überhöhung… | |
Eigenen“ liege sozusagen in der Natur der Herausbildung von „kollektiven | |
Identitäten“, von „Wir“ und „die Anderen“. | |
Die Referentin unternahm leider keinen Versuch, den Begriff „kollektive | |
Identität“ kritisch zu hinterfragen. Vielleich wäre sie dann darauf | |
gestoßen, dass es sich dabei um eine Chimäre beziehungsweise Konstruktion | |
von kulturanthropologischer Feldforschung handelt, die von der Tatsache, | |
dass sechs marokkanische Väter keine türkische Schwiegertochter möchten, | |
gleich auf eine „kollektive Identität“ der Marokkaner schließen und deren | |
Wunsch obendrein als „legitim“ rationalisieren. Mit gleicher Plausibilität | |
könnte man den Wunsch älterer deutscher Männer, Frauen gehörten ins Haus, | |
als „legitim“ verklären. | |
Susanne Schröters Plädoyer, „den Anderen in seinem Anderssein zu | |
tolerieren“, kann man folgen, aber ob das auch für die Anerkennung von | |
„Parallelgesellschaften“ gelten sollte, ist fraglich. Und wie sind | |
geduldete „Parallelgesellschaften“ von inakzeptabler „Paralleljustiz“ | |
abzugrenzen? Darauf blieb die Referentin eine Antwort schuldig. | |
## Kirchengemeinden gewähren spontan Asyl | |
Einen starken Eindruck vermittelte das Gespräch über den praktischen Umgang | |
mit Flüchtlingen zwischen der Frankfurter Pfarrerin Sabine Fröhlich und dem | |
Rechtsanwalt Reinhard Marx. Fünf Frankfurter Kirchgemeinden entschlossen | |
sich spontan, 22 Afrikanern, die unter einer Brücke schliefen, nicht nur | |
warme Worte zukommen zu lassen, sondern Kirchenasyl zu gewähren, was für | |
die Gemeinde eine enorme Kraftanstrengung bedeutete. | |
Rechtsanwalt Marx beschäftigt sich seit 40 Jahren mit Flüchtlingen und | |
beklagte die fiktive Rechtsbasis des Verfahrens, wonach Flüchtlinge nur in | |
einem Land ein Gesuch stellen dürfen und in dieses abgeschoben werden, wenn | |
sie weiterziehen, weil ihre Lage im ersten Fluchtland aussichtslos ist. | |
Das Gespräch war eine Lektion über die inhumane Praxis – politisch | |
gewollter – kalter Bürokratie. | |
28 Apr 2014 | |
## AUTOREN | |
Rudolf Walther | |
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