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# taz.de -- Die Wahrheit: Hab dich lieb, NSA!
> Kritiker schüchtert der US-Geheimdienst ein, indem er
> Textverarbeitungsprogramme kapert. Als Beweis dient dieser Artikel.
Bild: Hier entstellen Agenten hingebungsvoll Texte: die NSA in Bluffdale, Utah.
Eine der merkwürdigsten Enthüllungen inmitten der regelmäßig einprasselnden
NSA-Neuigkeiten stammte in jüngster Zeit von Guardian-Reporter Luke
Harding, der von reichlich gruseligen Vorkommnissen berichtete. Während er
bei der Arbeit für sein Buch über Edward Snowden an einem Kapitel über die
Verbindungen der regierungsamtlichen Spione zu den Firmen im Silicon Valley
saß, war der Cursor auf seinem Monitor plötzlich losmarschiert und hatte
ohne Zutun des Journalisten den gesamten letzten Absatz verschlungen.
Bevor der erschrockene Harding das infiltrierte Dokument schließen konnte,
fror ihm allerdings die Tastatur ein und begann unkontrolliert zu blinken
und zu piepen. Damit hatte der Spuk zwar zunächst ein Ende; in den
folgenden Wochen indes kam es immer wieder zu willkürlichen
Textstreichungen, sobald der Reporter dazu ansetzte, die NSA zu
attackieren. Bald tippte er deshalb beschwichtigende Sätze in die Kapitel,
in denen er die Hacker vom Geheimdienst herzlichst bat, den Text doch nur
zu lesen, aber bitte nicht zu verstümmeln.
Für andere Leute mag die Geschichte nach einer unglaublichen Räuberpistole
oder nackter Paranoia klingen – mich traf sie wie ein Schock! Bei mir
verhielt es sich nämlich genauso, nur noch viel schlimmer. Seit meinen
ersten NSA-kritischen Texten in einem satirischen Monatsmagazin fuhrwerkten
diese Geheimdiensttypen ständig in meinen Texten herum, um dort alle
eleganten Passagen und sämtliche Witze rauszulöschen!
Anschließend brachten sie in schöner Regelmäßigkeit meinen blinkenden und
piependen Rechner zum Absturz, und zwar so, dass die Witze vor
Redaktionsschluss nicht mehr ordnungsgemäß restauriert werden konnten,
sondern nur noch Zeit für ein säuerliches oder resignierendes Resümee
blieb. Das Ziel der Hacker war offenkundig: mich gründlich diskreditieren,
indem sie den Artikeln ihre befreiende Komik nahmen und lediglich die
übellaunigen und moralisierenden Sätze übrig ließen!
## Der mutige Barack Obama
Nachdem den Herren dies mehrmals gelungen war, wirkten die Agenten der NSA
auch auf meinen Sprachgebrauch ein. Um zum Beispiel meinen Stil in ein
zweifelhaftes Licht zu rücken, verteilten sie in meinen Texten inflationär
Ausrufezeichen!!! Immer öfter verdrehten sie auch meine Argumente: Hatte
ich Snowden eben noch anspielungsreich als "Luzifer, der dafür gehasst
wird, dass er uns das Licht bringt", bezeichnet, stand da jetzt plötzlich
mit plumpem Spott, er sei "das allwöchentliche Springteufelchen für die
ganz Unbedarften".
Als ich die Zensoren in den Textdokumenten dafür direkt beschimpfte,
rächten sie sich fürchterlich. Sie vermurksten meine Schmähungen nämlich
derart, dass ich in einem bildungspolitischen Kommentar von mir
unvermittelt die Worte lesen musste: "Schais-NSA, vol doofe Spastis ohne
Apitur!" Ich knickte ein. Sollten die meinetwegen machen, was sie wollten,
solange sie meine Rechtschreibung in Ruhe ließen!
Das taten sie dann aber auch ausgiebig: Einer meiner Texte verteidigte
plötzlich Barack Obama als Mann, der sich mutig dem datenschutzhysterischen
Mainstream entgegenstellte; ein anderer verlachte alle Geheimdienstkritiker
als naiv. Ein dritter behauptete, Zensur sorge bei Texten ganz allgemein
für Qualität, weil sich die Autoren endlich mal wieder Gedanken machen
müssten, was sie da schrieben; und in einem vierten Text glorifizierte ich
die Geheimdienstmitarbeiter als liebenswerte Spaßvögel.
Und warum auch nicht? Waren sie denn nicht viel eher Schelme als
Verbrecher? Und machte es nicht auch ein bisschen Spaß, mit diesen
weltgewandten Aufpassern zusammenzuarbeiten? Diesen Text zum Beispiel hatte
ich ursprünglich anders begonnen: "Eine der skandalösesten Enthüllungen",
hatte ich geschrieben, was aber von den Herren Redakteuren aus Übersee
augenblicklich in "lustigsten" abgeändert worden war. Nach einigem Hin und
Her einigten wir uns schließlich auf die Vokabel "merkwürdigsten", worüber
ich im Nachhinein sehr froh bin. Sie klingt nicht so marktschreierhaft
kritisch, sondern eher bezaubernd mysteriös und besitzt außerdem einen
hübsch altertümelnden Glanz.
Wegen meiner schnellen Einsicht und Kompromissbereitschaft griff die NSA
auch nur so lange in den Prozess des Schreibens ein, bis ich tatsächlich
glücklich damit war, das Ganze als beschwingten Schmunzeltext für die
Satireseite eines kleinen Alternativblattes abzufassen, statt - wie anfangs
geplant - als investigative Titelgeschichte in einem großen
Nachrichtenmagazin. Denn diese Typen von der NSA sind zwar echte
Schlawiner. Doch wenn man sich erst an ihre Allgegenwart gewöhnt hat, kann
man ihnen einfach nicht mehr böse sein.
9 May 2014
## AUTOREN
Mark-Stefan Tietze
## TAGS
NSA
Guardian
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Lesen
Familie
Snowden
Kindheit
Sex
Haare
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