| # taz.de -- Theatertreffen in Berlin: Kämpfer für die Erinnerung | |
| > Auf Erzählungen von Überlebenden des Holocausts beruht das | |
| > Dokumentartheater „Die letzten Zeugen“. Es war jetzt nach Berlin | |
| > eingeladen. | |
| Bild: Die Zeugen sitzen im Hintergrund: Suzanne-Lucienne Rabinovici, Ari Rath, … | |
| Schauspieler sprechen. Sie sitzen am Rande der Bühne und treten einzeln ans | |
| Mikrofon vor. Während hinter ihnen, hinter einer transparenten Leinwand | |
| diejenigen sitzen, deren Texte sie lesen: Drei Damen und drei Herren, | |
| zwischen 80 und 100 Jahren alt, die über ihre Kindheit und Jugend | |
| geschrieben haben, in Wien und in Wilna und in den Konzentrationslagern von | |
| Auschwitz, Theresienstadt, Neuengamme. Eine Kamera fängt groß ihre | |
| Gesichter ein und projiziert sie auf die Leinwand, wenn ihre Erzählung zu | |
| hören ist. | |
| So ist die Bühne eingerichtet in dem Projekt „Die letzten Zeugen“ von | |
| Matthias Hartmann und Doron Rabinovici. Die Produktion aus dem Burgtheater | |
| Wien war jetzt Gast beim Theatertreffen in Berlin und wird am 17. Mai in | |
| Dresden aufgeführt. | |
| Was man hört, von Mavie Hörbiger, Dörte Lyssewski, Peter Knaack und Daniel | |
| Sträßer mit Zurückhaltung und Behutsamkeit gelesen, ist hart. 1938 setzen | |
| die Erzählungen ein, mit der plötzlichen Verwandlung bisher unauffälliger | |
| Nachbarn in begeisterte Anhänger des Nationalsozialismus. Die Ausgrenzung | |
| und Diskriminierung als Juden überfällt die Kinder ohne Vorwarnung. | |
| Eine der Zeitzeuginnen, Lucia Heilman, überlebte in einem Versteck in Wien | |
| und widmet ihren Text dem Mann, der sie und ihre Mutter beschützte. Die | |
| längsten Textpassagen aber gelten der Verschleppung und dem Leben im | |
| Konzentrationslager. Den Schlägen, die sie überlebt haben. Den Selektionen, | |
| denen sie entkommen konnten. Dem Hass, der auch nach der Befreiung 1945 | |
| nicht verschwunden war. Und der Erinnerung an die vielen Mitglieder der | |
| Familie, die ermordet wurden, darunter auch die Geschwister. | |
| ## Zur Mission geworden | |
| Natürlich ist das erschütternd. Man würde an der Wahrheit der Berichte über | |
| den Sadismus der deutschen und österreichischen Nazis, am Schmerz der | |
| Überlebenden und am Mut derer, die ihnen halfen, da rauszukommen, auch | |
| nicht zweifeln, säßen die, die das alles durchmachen mussten, nicht mit auf | |
| der Bühne. Ihre Zeugenschaft aber ist gewissermaßen ihre Mission. Deshalb | |
| haben sie sich entschieden, anwesend zu sein. Zumal ihnen die Zeit | |
| davonrennt. | |
| Trotzdem wünscht man sich manchmal, die Texte wären nicht so schnell | |
| geschnitten, fotografische Dokumente würden nicht zusätzlich eingeblendet | |
| oder die Hand einer jungen Frau, die alles noch einmal aufschreibt. Das | |
| bekommt etwas von Fernsehdokumentationsästhetik. | |
| ## Alle haben Bücher geschrieben | |
| Doch die alten Menschen, die auf der Bühne sitzen, sind noch viel mehr als | |
| Überlebende des Holocausts. Lucia Heilman wurde Ärztin, Vilma Neuwirth | |
| Fotografin und Mitarbeiterin eines Dokumentationsarchivs des | |
| österreichischen Widerstandes. Marko Feingold, am 28. Mai 1913 geboren, | |
| wurde Vorsitzender der jüdischen Gemeinde Salzburgs und leitete ein | |
| Modegeschäft. Im Programmheft kann man das nachlesen. | |
| Und sie sind alle Kämpfer geworden für die Erinnerung, haben Bücher über | |
| ihr Leben geschrieben. Möglich war ihnen das oft erst in hohem Alter. Dass | |
| sie zudem auch Persönlichkeiten mit Charme, Grandezza und Autorität sind, | |
| erfährt man glücklicherweise im Gespräch, dem zweiten Teil des Abends. | |
| ## Konstruktion von Authentizität | |
| Von hier aus betrachtet erscheint die Inszenierung auch als eine Reduktion. | |
| Ari Rath, Rudolf Gelbard und Ceija Stojka, die inzwischen gestorben ist und | |
| für die ein leerer Stuhl auf der Bühne steht, sind eben mehr als letzte | |
| Zeugen. Dass sie aber als Teil der Inszenierung die Zeit, in der ihre | |
| Familien ermordet wurden, jetzt an jedem Abend der Aufführung wieder | |
| durchleben müssen, das Gesicht groß eingefangen von einer Kamera, ist eine | |
| Konstruktion von Authentizität, die auch etwas von einer Zumutung hat. | |
| Der Schriftsteller Doron Rabinovici, der „Die letzten Zeugen“ zusammen mit | |
| dem Regisseur Matthias Hartmann, damals noch Intendant des Wiener | |
| Burgtheaters, initiiert hat, ist der Sohn von Suzanne-Lucienne Rabinovici, | |
| einer der Zeuginnen. Wenn sie vorher aus ihrem Buch gelesen habe, sagt sie | |
| im Gespräch, dann war das nach einer Stunde vorbei und das Leben konnte | |
| weitergehen. Jetzt hat sie mehr und mehr schlaflose Nächte vor jeder | |
| Aufführung. Damit hätten sie vorher nicht gerechnet. Aber dass man ihnen | |
| zuhört, dass so viele ihren Abend sehen wollen, lässt sie auch | |
| weitermachen. | |
| 15 May 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Katrin Bettina Müller | |
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