# taz.de -- Pro & Contra Erdogan-Auftritt: Von Soma bis Köln | |
> Der türkische Premier Recep Tayyip Erdogan tritt am Samstag vor Tausenden | |
> Anhängern in Köln auf. Darf der das? Ein Pro & Contra. | |
Bild: Wird sie Erdogan wiedersehen wollen? AKP-Anhängerin in der KölnArena be… | |
## Der Hau-den-Türken-Affekt | |
Es gibt einiges, was man an Erdogan kritisieren kann – und fast täglich | |
wird es mehr, denn der türkische Premier lässt seit geraumer Zeit kaum eine | |
Gelegenheit aus, andere vor den Kopf zu stoßen. | |
Dass er öfter mal zu Wahlkampfzwecken nach Deutschland kommt, das kann man | |
ihm aber schwerlich vorwerfen, das ist sein gutes Recht. So, wie es das | |
gute Recht seiner vielen Kritiker ist, hierzulande gegen seinen Auftritt zu | |
demonstrieren. Beides gehört zur Demokratie. | |
Rund drei Millionen Menschen leben in Deutschland, deren familiäre Wurzeln | |
in der Türkei liegen. Mindestens die Hälfte von ihnen besitzt die türkische | |
– und zwar nur die türkische! – Staatsbürgerschaft. Die Regierung Erdogan | |
hat diesen Landsleuten nun erstmals die Möglichkeit eingeräumt, bei Wahlen | |
in der Türkei auch hierzulande ihre Stimme abzugeben. Schon allein dafür | |
sind ihm viele Wähler dankbar. | |
Dass es hier überhaupt eine so große türkische Minderheit gibt, ist nicht | |
zuletzt das Erbe einer deutschen Einwanderungspolitik, die es über | |
Jahrzehnte hinweg verhindert hat, dass sich diese Menschen in Deutschland | |
heimisch fühlen und als gleichberechtigter Teil dieser Gesellschaft | |
empfinden. Der Zuspruch, den ein Populist wie Erdogan bei vielen von ihnen | |
findet, zeigt auf schmerzhafte Weise auch die Versäumnisse der deutschen | |
Politik auf. | |
Weil sie davon ablenken wollen, heulen manche deutsche Politiker jedes Mal | |
reflexhaft auf, wenn Erdogan mal wieder vor der Tür steht. Der | |
Arbeitsminister von Nordrhein-Westfalen, Guntram Schneider (SPD), | |
behauptete jetzt, der Ministerpräsident der Türken in seinem Land heiße | |
nicht Erdogan, sondern Hannelore Kraft. Manche seiner Kollegen aus der | |
Union empfahlen gar, Erdogan solle lieber zu Hause bleiben. Dieser | |
Paternalismus ist anmaßend. Denn es ist Sache der türkischen Wähler, nicht | |
deutscher Politiker und Journalisten, Erdogan in die Wüste zu schicken. | |
Zumal bei deren populistischem Erdogan-Bashing immer auch ein | |
problematischer Hau-den-Türken-Affekt mitschwingt. | |
Denn es ist ja nicht einzusehen, warum Erdogan verweigert werden sollte, | |
was einem Barack Obama, einem François Hollande oder einem Silvio | |
Berlusconi ganz selbstverständlich zugestanden wird. Die wenden sich bei | |
ihren Besuchen in Deutschland immer auch an ihre potenziellen Wähler, hier | |
und zu Hause. Noch merkwürdiger ist es, Erdogan den Mund verbieten zu | |
wollen, nachdem Bundespräsident Joachim Gauck bei seinem Staatsbesuch in | |
der Türkei auch nicht gerade ein Blatt vor den Mund genommen hat. Das zeugt | |
von einem merkwürdigen Demokratieverständnis und von Doppelmoral – und ist | |
damit Wasser auf die Mühlen Erdogans. DANIEL BAX | |
*** | |
## Erdogan und seine Entourage gehören geächtet | |
Sechs Jahre ist es her, da hielt Recep Tayyip Erdogan eine Rede in Köln. Es | |
war weder seine erste Rede dort noch war es jene Rede, in der er | |
Assimilation zum Menschheitsverbrechen erklärte (das kam zwei Jahre | |
später). Die taz feierte ihn damals auf ihrer Titelseite als „Deutschlands | |
neuen Integrationsminister“ – eine Kritik an der für mangelhaft befundenen | |
deutschen Integrationspolitik, in der sich aber auch Bewunderung | |
widerspiegelte. | |
Denn so manche im linksalternativen Milieu waren ganz vernarrt in diesen | |
Konservativen. Er würde den Einfluss der Militärs zurückdrängen und | |
beweisen, dass Islam und Demokratie doch zusammenpassen. Und irgendwie | |
würde er irgendwas für die „Integration“ der Deutschtürken tun. | |
Nach zwölf Jahren Herrschaft der AKP muss man diese Hoffnungen an der | |
Realität messen. Tatsächlich hat Erdogan die Generäle zu Staatsdienern | |
degradiert. Aber je mehr er seine Gegner entmachtete, umso autoritärer | |
wurde seine Herrschaft. Der AKP-Staat ist ein Polizeistaat, der das Erbe | |
der alten Türkei nicht abgeschüttelt, sondern um den Faktor Islam ergänzt | |
hat und auf Kritik nur eine Antwort kennt: Gummigeschosse und Tränengas. | |
Erdogan selbst spielt inzwischen in jener Liga der Entrückten, in der | |
Mielke und Gaddafi ihre letzten Tage verbrachten. Mit einem, der nicht | |
zuhört, kann es keinen Dialog geben. | |
Wenn es dafür eines letzten Beweises bedurfte, hat er diesen mit seinem | |
Auftritt in der Unglücksstadt Soma geliefert: Erst sprach Erdogan in einer | |
wirren Rede über Unglücke im England des 19. Jahrhunderts, dann prügelten | |
sein Gefolge und offenbar auch er selber auf Demonstranten ein, einen | |
beschimpfte er als "Samen Israels". | |
Trotz allem hat er noch seine Fans in Deutschland. Einen Teil der | |
Deutschtürken. Aber auch Ex-Politiker wie Rezzo Schlauch oder Ole von | |
Beust, die als Lobbyisten ihre Rente aufstocken, oder den früheren | |
Europaabgeordneten Ozan Ceyhun, der inzwischen Erdogan berät und weiterhin | |
gute Kontakte ins Willy-Brandt-Haus unterhält. Und unentgeltliche | |
Lobbyisten, die sich nicht eingestehen wollen, sich geirrt zu haben. | |
Doch die Demokratisierung des politischen Islam ist bis auf Weiteres | |
gescheitert. Nicht die Türkei, aber Erdogan und seine persönliche Entourage | |
gehören geächtet. Man muss ihnen Einreiseverbote erteilen, ihre Konten im | |
Ausland sperren, Geschäfte mit ihnen meiden, alle Beziehungen zur EU | |
suspendieren. Und natürlich soll Erdogan nicht in Köln reden. Allein die | |
Vorstellung, dass nach türkischen auch deutsche Polizisten seinetwillen | |
Demonstranten niederknüppeln, ist unerträglich. | |
Erdogan würde es nicht verstehen. Aber nicht die ganze Türkei ist so | |
wahnhaft wie ihr Ministerpräsident. DENIZ YÜCEL | |
19 May 2014 | |
## AUTOREN | |
Daniel Bax | |
Deniz Yücel | |
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