# taz.de -- Kommentar Europawahl in Deutschland: Die neuen Ressentiments | |
> Der Abstieg der FDP und der Aufstieg der AfD zeigen, dass sich im | |
> liberalen Kernmilieu etwas verschiebt. Das ist eine Zäsur, aber kein | |
> Grund zur Hysterie. | |
Bild: Führt seine Partei nach Brüssel: AfD-Chef und Spitzenkandidat Bernd Luc… | |
Markiert diese Wahl eine Zäsur in der Geschichte des bundesdeutschen | |
Liberalismus? Der Erfolg der AfD und das klägliche Resultat der FDP deuten | |
dies an. Die FDP war ideologisch ziemlich dehnbar; mal nationalkonservativ, | |
dann sozialliberal, später unter Westerwelle auf bemerkenswert herzlose Art | |
neoliberal. Doch eins war die FDP nicht: populistisch und plump | |
ausländerfeindlich. | |
Der Abstieg der FDP und der Aufstieg der AfD zeigen, dass sich im liberalen | |
Kernmilieu etwas verschiebt. Es gibt schon lange Anzeichen dafür - etwa die | |
ruppige Begeisterung im Bildungsbürgertum für den Rassismus light a la | |
Sarrazin. Es gibt eine Szene von Besserverdienenden, denen die | |
Mulitkulti-Republik auf die Nerven geht und die sowieso keine Lust haben | |
für faulen Griechen zu zahlen. | |
Auch die atemlose Aufregung über den „veggie day“, als vermeintliches | |
Symbol für eine repressive political correctness zeigte, dass es einen | |
neuen Resonanzboden für Ressentiments gibt, der bis weit in die Mitte | |
reicht: Endlich Schluss mit diesem Gutmenschen-Getue. Oder sollte man mit | |
der Diagnose dieses Ergebnisses vorsichtiger sein? Bislang galt eine Art | |
ungeschriebenes Gesetz: Alle Rechtsausleger - von Schill bis zur DVU - | |
hatten eine Art eingebauten Selbstzerstörungsmechanismus. | |
Früher oder später überzogen sie sich gegenseitig mit Klagen und schlossen | |
sie aus den Fraktionen aus. Das war kein Zufall, sondern Ausdruck der | |
Unfähigkeit der Populisten im soliden Bürgertum Fuß zu fassen. Ob die AfD | |
über genug bürgerliche Substanz verfügt, mag ungewiss sein. Aber sich | |
darauf zu verlassen, dass die AfD sich schon selbst ruinieren wird, ist | |
naiv. So weit ins bürgerliche, professorale Milieu ist keiner ihrer | |
rechtspopulistischen Vorgänger vorgedrungen. | |
Aber: Steckt im Erfolg der Eurogegner nicht eine Art europäische | |
Normalisierung des deutschen Parteiensystems? Denn in Österreich, den | |
Niederlanden und anderswo hat die Ablösung wirtschaftsliberaler Parteien | |
durch rechtspopulistische längst stattgefunden. So gesehen ist der | |
AfD-Erfolg eine Art Angleichung an die EU-Norm. | |
Doch solche dialektischen Finessen dienen eher der Selbstberuhigung. Die | |
AfD strahlt schon jetzt auf die politische Mitte ab. Das konnte man bei SPD | |
und Union in den letzten Tagen beobachten. Merkel hielt es für nötig, | |
populistisch über EU-Arme herzuziehen, die SPD inszenierte Martin Schulz | |
mit einem peinlichen Plakat als deutschen Kandidaten. Dabei ist doch klar, | |
dass solche Signale keineswegs die eigene Wählerschaft gegen rechte Parolen | |
imprägnieren, im Gegenteil. | |
Was dieses Ergebnis andeutet, ist nichts weniger als eine Neuformierung des | |
Liberalismus hierzulande – die Aufspaltung in eine linksliberale, grüne | |
Partei und die AfD, die nach rechts weit offen ist. Ganz neu wäre das | |
nicht: Etwas Ähnliches gab es in der Weimarer Republik. Nein, es gibt | |
keinen Grund für Hysterie. Jetzt bloß nicht mit Nazivergleichen | |
herumfuchteln. Aber mit der AfD gibt es erstmals in der Bundesrepublik eine | |
erfolgreiche europaskeptische Kraft. Es ist ernst. | |
25 May 2014 | |
## AUTOREN | |
Stefan Reinecke | |
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