# taz.de -- Romandebüt von Heinz Helle: Schnörkellose Gefühlsvorgänge | |
> Wie ein Mann aufhört, seine Freundin zu lieben: Heinz Helles | |
> Entwöhnungsroman „Der beruhigende Klang von explodierendem Kerosin“. | |
Bild: Über den Wolken... | |
SchriftstellerInnen finden die Bücher der anderen gut, wenn die sie zum | |
Schreiben animieren. Das Debüt von Heinz Helle ist so eins: Die Sätze sind | |
klar und hell, sie bringen den im Roman beschriebenen Alltag eines | |
Philosophie-Doktoranden, Fußballfans und Freund einer attraktiven Frau zum | |
Leuchten; sie beschreiben einfach und schnörkellos, was mit den | |
Empfindungen des Protagonisten nicht stimmt, und versuchen nachzuspüren, | |
woran das alles liegen könnte. | |
Anders gesagt: Heinz Helle schreibt in der Ich-Perspektive. Sein Ich | |
beschreibt, wie er seine Freundin kennen lernt, wie er mit ihr | |
zusammenkommt, wie er mit ihr zusammen ist und wie er sich schleichend, | |
aber unaufhaltsam von ihr entfernt, falls er ihr überhaupt je nah gewesen | |
ist. Und wie er sich schließlich von ihr trennt. Klingt banal, ist aber in | |
dieser Dimension eben auch noch nicht so oft beschrieben worden: wie leer | |
man sich auch in einer Beziehung fühlen kann. | |
„Der beruhigende Klang von explodierendem Kerosin“ ist eine umgekehrte | |
Liebesgeschichte. Eine Entwöhnungsgeschichte. Hier wird erzählt, wie ein | |
junger Mann Mitte zwanzig aufhört, seine Freundin zu lieben. Daneben werden | |
Alltagsszenarien geschildert: das Schauen von Fußballspielen, ein | |
Aufenthaltsstipendium in New York, der Besuch der Freundin, der gemeinsame | |
Ausflug nach Montauk. Das Studium der Philosophie, die Philosophie des | |
Alltags, das Ausgehen, die Erfahrungen mit anderen Frauen. Es scheint so, | |
als ob sich der junge Mann seiner Optionen bewusst ist und sie gerne auch | |
durchprobieren will, und warum auch nicht. | |
Die Sache mit der Moral in Gefühlsfragen wird in dem Buch, dessen Titel | |
etwas irreführend ist, weil es weniger um Flugzeuge oder | |
Katastrophenszenarien geht, obwohl, analog natürlich schon – also die Sache | |
mit der Moral wird in einem abgeklärten Stil verhandelt und mit einem | |
Ansatz, der nicht ohne Grund den Vergleich mit den Büchern des Franzosen | |
Michel Houellebecq aufruft. | |
## „Dass ich andere Frauen ficken will, heißt überhaupt nichts“ | |
„Dass ich andere Frauen ficken will, heißt überhaupt nichts. Es ist ganz | |
normal. Hormone. Kohlenstoff. Wasser“, heißt es dann zum Beispiel. Oder | |
auch: „Es tut mir leid, dass ich alle Frauen schön finde und dann, wenn ich | |
eine habe, alle anderen.“ Und klar, ähnlich biologisch argumentierte | |
Gefühlsvorgänge kann man moralisch verwerflich finden. Oder auch nicht. | |
Oder auch als Symptom für gewisse Umstände in der heutigen Gesellschaft | |
lesen, Gefühle in Zeiten des Spätkapitalismus. | |
Neben den Houellebecq-Vergleichen, die in einer logischen Welt Komplimente | |
wären, muss sich der Autor noch mit einem anderen Nimbus herumschlagen: dem | |
seiner eigenen Biografie. Er hat nicht nur selbst Philosophie studiert, und | |
das nicht nur in München und New York – sein Buch scheint also sehr dicht | |
an seinem Leben gestrickt zu sein. Außerdem ist er brav auf eine | |
Literaturschule gegangen, nämlich auf die in Biel in der Schweiz. Was nach | |
der Kessler-Debatte um die Gegenwartsliteratur ja eher ein Makel ist. | |
Auch in Klagenfurt ist Heinz Helle schon gewesen. Im vergangenen Jahr | |
reichte es für einen Ausschnitt aus dem Buch immerhin für Platz vier, also | |
den Ernst-Willner-Preis. Erstaunlich genug, dass ausgerechnet die ehemalige | |
Zeitschrift Literaturen, inzwischen nur noch eine Cicero-Beilage und in der | |
Gänze alles andere als kritisch, Helles Buch nahezu verrissen hat. Klar, | |
diese unterkühlte, distanzierte, dabei wohlformulierte Sprache, die | |
Menschen wie fremde Dinge zu behandeln scheint, muss nicht allen gefallen. | |
Einen Sog entwickelt sie doch. | |
Heinz Helle übrigens hat sich nach diesem Buch selbst für den normalen, | |
bürgerlichen Weg entschieden. Auf Facebook und anderswo sieht man Bilder | |
von ihm und der Autorin Julia Weber, mit der er ein Kind hat. Eine | |
glückliche Kleinfamilie. Sieht langweilig, aber einträchtig aus. | |
Spannend wäre die Frage, wie es dazu kam – vielleicht schreibt er ja davon | |
in seinem nächsten Buch. Ich würde es lesen. | |
2 Jun 2014 | |
## AUTOREN | |
Rene Hamann | |
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