| # taz.de -- Die Wahrheit: Der hundertjährige Hund | |
| > Beim Kirchenbesuch wird nicht nur verschüttet geglaubtes Wissen | |
| > freigesetzt. Auch die Vornamen der Konfirmanden wissen zu erheitern. | |
| „Willst du mich jetzt eigentlich immer in der Welt rumscheuchen?“ Mein | |
| Elektroscooter Harry wirkte verstimmt, nachdem ich ihn in die | |
| Metronom-Privatbahn gezwängt hatte, die zwischen Hamburg und Cuxhaven | |
| pendelt. Meine Geburtsstadt am Ende der Gleise war allerdings nicht unser | |
| Ziel. Sondern Otterndorf-Niederelbe. Ein Ort von 7.000 Einwohnern, der | |
| selbst im hellsten Sonnenschein kaum aufregender wirkt als sein Name. | |
| Immerhin liefen wir dort nicht Gefahr, am Ende der Gleise direkt in der | |
| Nordsee zu versinken. Morgen hatte meine Nichte Sina Konfirmation. Das war | |
| Grund genug gewesen, meinen Scooter zu satteln. | |
| „Halt einfach mal die Stoßstange“, wies ich Harry zurecht. „Da steigt | |
| jemand ein. Den wollen wir nicht erschrecken.“ Die alte Dame schob eine Art | |
| Sport-Kinderwagen. Dieser hier war allerdings vorne und hinten mit | |
| schwarzem Netzwerk verschlossen und hatte eine alte Wolldecke im Innenraum. | |
| Darauf lag ein toter Hund, wie es schien. Die Dame schlug zärtlich und | |
| leicht auf den Rücken der Hundeleiche, die plötzlich zusammenzuckte und | |
| heiser bellte. „Rosie wird diesen Monat 17. Ich muss sie manchmal ans Atmen | |
| erinnern.“ 17 Jahre. Wenn ein Hundejahr wirklich sieben Menschenjahre sind, | |
| würde Rosie also bald 119. „Respekt“, murmelte ich freundlich. „Älter a… | |
| Johannes Heesters je war!“ „Riecht auch nicht besser.“ Harry konnte es | |
| nicht lassen. Also verschanzte ich mich bis Otterndorf hinter meinem Buch. | |
| ## Harrys Scheinwerfer blinkten angstvoll | |
| Am nächsten Vormittag um zehn marschierten die Konfirmanden in die Kirche. | |
| Harry hatte ich nahe bei der Tür geparkt und das Knebelpflaster an seiner | |
| Frontseite extra fest angezogen. Sina hatte sich souverän nach vorne | |
| gedrängt. Sie schwebte in der zweiten Reihe und überstrahlte zwei | |
| Nachwuchs-Bauerntölpel, die sie sich taktisch geschickt als Begleiterinnen | |
| ausgesucht hatte. Mein Vater Rudi saß neben mir. Die zwei Auftaktlieder zum | |
| Gottesdienst brummte er derart fehlerfrei mit, dass selbst in meinem Hirn | |
| einige Textpassagen freigeschaltet wurden, die seit 35 Jahren unbenutzt | |
| herumlagen. Rudi setzte sich entspannter. „Der Pastor hat uns das mit dem | |
| Stock eingeprügelt. Das vergisst du nie.“ | |
| Aus den Augenwinkeln sah ich, wie Harrys Scheinwerfer angstvoll blinkten. | |
| Aber nun war Zeit für das Aushändigen der Konfirmationsurkunden. Natürlich | |
| mit namentlicher Erwähnung jedes Einzelnen samt Konfirmationsspruch aus der | |
| Bibel. „Justin Dimitri. Ich in der Herr, Dein Gott …“ Ich biss mir fest a… | |
| die Hand. War ich denn der Einzige, der lachen musste? Immerhin – Rudi | |
| simulierte einen Hustenanfall. Ab sofort dachte ich mir Namen für die | |
| stolzen Konfirmanden aus. Petra Wladimirowna? Sven Torben al-Assad? Dash | |
| Drei Ulla? Leider lag ich immer falsch. | |
| Harry zitterte an der ganzen Verschalung, als ich ihm das Pflaster abnahm. | |
| „Justin Dimitri! Prügelnde Pastoren! Tote Hunde! Ich will sofort wieder | |
| abhauen!“ Das taten wir auch. Nach einer kurzen Feier im Haus meiner | |
| Schwester und einer kurzen Nacht. Denn die Saatkrähen neben dem Hotel | |
| begannen ihre Schicht um kurz nach drei. | |
| 23 Jun 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Knud Kohr | |
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