| # taz.de -- Die Wahrheit: Herumliegen in Rotorua | |
| > Scootermans große Fahrt endet vorerst mit platten Reifen in Neuseeland – | |
| > dafür gibt's heiße Quellen und eine sehr kräftige Masseurin. | |
| „Mein Gott, was haben sie mit Harry gemacht?“ | |
| Ich stand kurz vor dem Nervenzusammenbruch, als mein Scooter aus dem | |
| Stückguttransport am Flughafen Auckland gebracht wurde. Der Sitz war | |
| abmontiert. Die Motorklappe aufgeklappt. Aus allen vier Rädern hatte man | |
| komplett die Luft herausgelassen. | |
| „Tja“, sagte Frank, der Fotograf, „in Neuseeland nimmt man es scheinbar | |
| sehr ernst mit der Sicherheit.“ Kaputt schien allerdings nichts zu sein. | |
| Wir deponierten Harry zur Sicherheit im Lagerraum unseres Hotels und | |
| mieteten mir für die allerletzte Etappe einen Rollstuhl. Er passte | |
| problemlos in den Kofferraum des Mietwagens, der Frank und mich bis nach | |
| Rotorua brachte. | |
| Auf den ersten Blick ließ sich Rotorua mit einem Schweizer Skiort im Sommer | |
| vergleichen. Nur dass in Rotorua niemals Schnee liegt. Und dass der Ort an | |
| vielen Stellen nach Schwefel riecht. Das liegt an den Heilquellen. Heißes | |
| Wasser strömt hier an quasi jeder Ecke aus dem Boden, und das allermeiste | |
| wird zum Baden genutzt. | |
| „Wann warst du das letzte Mal baden?“, fragte Frank gewitzt, als wir an | |
| einem dieser Bäder vorbeifuhren. „Du meinst, außerhalb meines eigenen | |
| Badezimmers? Nicht mehr seit meinem letzten MS-Schub. Kann 18 Monate und | |
| mehr her sein.“ Frank bremste entschieden. 20 Minuten später befand ich | |
| mich nicht nur im Besitz einer Eintrittskarte, sondern hatte auch meine | |
| Kleider abgelegt und saß bis zum Hals im warmen Heilwasser. Außer uns | |
| badeten vier Leute zwischen Felsen und mit Blick auf einen | |
| sonnenbeschienenen Berghang. Beim Ausstieg boten alle Damen ausnahmslos | |
| ihre Hilfe an. Ich stellte mich ein bisschen ungeschickter an als nötig. | |
| Am nächsten Tag spendierte mir der Fremdenverkehrsverein Rotorua einen | |
| weiteren Einblick in traditionelle Heilkunst nach Art der Maori. Diesmal | |
| lag ich auf dem Balkon einer Frau, die Massagen anbot. Die Massage dauerte | |
| 90 Minuten. Kurz vor Schluss sagte die Masseurin: „Jetzt versuche ich einen | |
| bösen Geist aus deiner Brust zu vertreiben. Denk an was Schönes.“ Der | |
| Schmerz danach war genauso stark, wie man ihn sich vorstellt, wenn eine | |
| überaus erfahrene Masseurin einem mit voller Kraft den Ellenbogen aufs Herz | |
| drückt. Sie ließ mich ein wenig ausruhen. | |
| Hier lag ich also. 18.000 Kilometer von Berlin-Charlottenburg entfernt. | |
| Seit viereinhalb Wochen unterwegs. 48 Jahre alt. MS-krank seit 2003. Vor | |
| knapp zwei Jahren hatte mich ein Schub erfasst, nach dem ich wochenlang die | |
| Post nicht aus dem Kasten holen konnte. Nach Klinikaufenthalt und | |
| monatelanger Physiotherapie beschloss ich, für Strecken länger als zehn | |
| Meter einen Scooter zu benutzen. | |
| Gerade jetzt wusste ich selbst überhaupt nicht mehr, wie meine nächsten | |
| Monate aussehen würden. Ohne Hilfe hätte ich es nicht geschafft, das ist | |
| klar. Ohne meine Freundin. Den Fotografen. Und Harry natürlich. Und jetzt | |
| entschuldigen Sie mich bitte. Ich will noch ein wenig liegen bleiben, bis | |
| die Nacht kommt. Morgen beginnt die Rückreise nach Berlin. | |
| 15 Apr 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Knud Kohr | |
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