| # taz.de -- WM-Kolumne Ordem e Progresso: Ein verfassungswidriges Turnier | |
| > Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen? Bei der WM 2006 hat das | |
| > nicht funktioniert. Auch Brasilien zeigte sich wenig vorbildhaft. | |
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| Ich glaube, die WM 2006 in Deutschland war verfassungswidrig und die WM | |
| heute ist es auch. Ich kann das mit Statistik erklären. Das ist noch nicht | |
| repräsentativ, aber, Leute, extrem signifikant. Allein auf den paar Metern | |
| an der Copacabana, fünf Minuten, barfuß, waren das 143 Männer, aber gerade | |
| mal 24 Frauen, die vorbeiliefen. Das sind 5,96-mal so viele Männer wie | |
| Frauen. Anders gesagt: Von 100 Leuten sind 85,63 Männer. | |
| Ich fang jetzt gar nicht mit den Schiedsrichtern und den Spielern und den | |
| Trainern und den Masseuren und den Managern und dann noch dem ganzen | |
| Fifa-Geschwärl an. Aber an wen gingen die vielen Milliarden, die die | |
| Brasilianer aus der Steuerkasse zahlten? An die Bauarbeiter, die | |
| Bauarbeiterbeaufsichtiger und die Bauarbeiterbeauftrager und natürlich an | |
| die Fußballangucker, unter denen es zwar auch ein paar Frauen gibt. Das | |
| heißt, dass auch die ganzen Schilder zum Maracanã-Stadion vor allem für | |
| Männer hingehängt wurden, auch wenn Frauen sie natürlich mitlesen dürfen. | |
| Da muss ich ja jetzt gar kein Statistiker sein oder Feminist, und das war | |
| 2006 ja auch schon so, aber in Deutschland ist das sogar illegal, weil es | |
| gibt da eine Sache in der Verfassung, die heißt Staatszielbestimmung, und | |
| die regelt, welches Ziel ein Staat erreichen muss, und diese Regelung ist | |
| von der Idee her krass totalitär, aber von der Idee her total geil, weil | |
| eigentlich überhaupt gar nichts, was der Staat so macht, seine eigene | |
| Staatszielbestimmung unterlaufen darf, und wenn, dann muss er es wieder | |
| ausgleichen und gutmachen, und die Gleichberechtigung der Geschlechter | |
| eines Tages einmal herbeizuführen, das ist eben auch so ein Staatsziel, und | |
| das ist nicht nur theoretisch gemeint, sondern ganz materiell. | |
| Wenn es dann zum Beispiel um die Umwelt geht, dann darfst du ja in | |
| Stuttgart keinen Bahnhof bauen wegen des Juchtenkäfers – | |
| Staatszielbestimmung Umwelt. Nur dass das bei der Gleichberechtigung halt | |
| immer noch niemanden kümmert, und aus irgendeinem Grund ist der Schutz des | |
| Juchtenkäfers jetzt wichtiger als der Schutz der Frau, obwohl die ja auch | |
| einige wichtige Aufgaben hat, und so haben die halt die ganze Kohle für | |
| Männer rausgeschmissen, auch wenn sie das gar nicht dürfen. | |
| Was anders ist als bei der taz, wo wir das zwar auch nicht dürfen, aber | |
| keinen Ärger mit der Verfassung bekommen, sondern nur mit unseren | |
| LeserInnen. Nicht dass man also kein Geld für Männer ausgeben dürfte, aber | |
| wenn schon, dann muss man halt auch was für Frauen tun, so ist das | |
| zumindest in Deutschland, und da frage ich mich jetzt, was das denn nach | |
| der WM 2006 gewesen sein soll, und ich denke daran, dass wir immerhin | |
| wieder ein paar Frauenministerinnen hatten, und es gibt jetzt eine Hotline | |
| gegen Frauengewalt, aber vielleicht gab es die auch schon vorher. | |
| In Brasilien haben sie natürlich noch alle Chancen, da was gutzumachen. | |
| Cool wäre natürlich, wenn nach der WM auf allen Maracanã-Schildern zum | |
| Beispiel schon mal irgendwas Frauenmäßiges stünde, aber wahrscheinlich | |
| würde es hier eh höchstens einen Mengenrabatt auf Nasen- und | |
| Tittenoperationen geben, weil das hier ein Megahobby von vielen Frauen ist, | |
| aber das wäre ja am Ende doch wieder nur (oder oft) für die Männer gut, und | |
| deshalb glaube ich, dass das ganze Fußballfest mir zwar großen Spaß macht, | |
| aber schon mal mindestens verfassungswidrig ist, wenn nicht mehr. | |
| 15 Jul 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Martin Kaul | |
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